Hand in Hand

0

Was macht Elternarbeit erfolgreich? Ein Beitrag des Erziehungswissenschaftlers Werner Sacher zum Stand der Forschung.

Die PISA-Begleitforschung hat einmal mehr bestätigt, was in Fachkreisen längst bekannt ist: Der Einfluss der Familie auf die Leistungs- und Verhaltensentwicklung von Kindern ist mehr als doppelt so stark wie derjenige von Schule, Unterricht und Lehrkräften zusammen. Die Lesekompetenz von 15-Jährigen hängt zu 66,1 Prozent von Einflüssen der Familien und nur zu 31,0 Prozent von solchen der Schule, des Unterrichts und der Lehrkräfte ab. Bei der mathematischen und naturwissenschaftlichen Kompetenz beträgt das Verhältnis 62,0 Prozent bzw. 62,6 Prozent zu 28,3 Prozent bzw. 29,4 Prozent. Man sollte also alles daran setzen, dieses enorme Potenzial der Familie durch Elternarbeit zu aktivieren. Nur – wie sieht Elternarbeit aus, die dies vermag?

Erfolgreiche Elternarbeit erschöpft sich nicht darin, Eltern zum zahlreichen Besuch entsprechender Kontaktveranstaltungen in der Schule zu bewegen und einen freundlichen und wohlwollenden Umgangston zwischen Eltern und Lehrkräften zu erreichen. Elternarbeit muss sich für die Schülerinnen und Schüler auszahlen – in besseren Lernerfolgen und in der Entwicklung positiven Verhaltens.

Zu den Schwerpunkten erfolgreicher Elternarbeit gehören:

› die Kontaktpflege: Kontakte zwischen Lehrkräften und Eltern sollten etwas ganz Alltägliches sein und auch aus erfreulichem Anlass aufgenommen werden. Die verbreitete Praxis „defizitorientierter“ Kontakte, die erst aufgenommen werden, wenn es Probleme gibt, ist kontraproduktiv. Elternarbeit ist dann erfolgreicher, wenn Lehrkräfte nicht nur darauf warten, dass Eltern Kontaktangebote nutzen, sondern auch von sich aus Kontakt mit dem Elternhaus aufnehmen über individuelle Briefe, Anrufe, E-Mails, SMS, Gespräche bei zufälligen Begegnungen, bewussten Besuchen von Veranstaltungen und Stadtteilen, wo bestimmte Eltern anzutreffen sind, an der Wohnungstür ausgesprochene Einladungen und Hausbesuche. Zur Kontaktpflege gehört auch die Pflege von Kontakten der Eltern einer Klasse und einer Schule untereinander – normalerweise eine wichtige Aufgabe der gewählten Elternvertreter. Elternvertreter leisten einen erfolgreicheren Beitrag zur Elternarbeit, wenn sie sich nicht primär als Unterstützer der Schulleitung, sondern als Vertreter der Elternschaft und als Moderatoren gruppendynamischer Prozesse in der Elternschaft verstehen.

› der Informationsaustausch: Ein wirklicher Austausch ist wesentlicher Bestandteil erfolgreicher Elternarbeit, das heißt Eltern sollten nicht nur alle wichtigen Informationen über die Schule, den Unterricht und das Verhalten und die Leistungen ihres Kindes, sondern auch Informationen über den familiären Hintergrund und das soziale Umfeld der Kinder, über ihre Interessen, ihre Hobbys, ihren Medienkonsum usw. erhalten und einholen. Beide Seiten sollten einander bedeutsame Informationen auch unaufgefordert geben und auch dann erbitten, wenn sie nicht spontan angeboten werden.

Prof. Dr. Dr. habil. Werner Sacher: „Man sollte alles daran setzen, das enorme Potenzial der Familie zu aktivieren.“
Prof. Dr. Dr. habil. Werner Sacher: „Man sollte alles daran setzen, das enorme Potenzial der Familie zu aktivieren.“

› die Lern- und Erziehungskooperation:

› Elternarbeit ist vor allem dann erfolgreich, wenn sie in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Lernen der Kinder steht, das heißt, wenn es gelingt zu erreichen, dass Eltern das häusliche Lernen ihrer Kinder unterstützen, zuhause eine lernförderliche Umgebung bereitstellen und im Unterricht mitarbeiten.

› Wichtiger als inhaltliche Hilfe der Eltern bei der Aneignung des Lernstoffs ist dabei die Unterstützung der Selbstständigkeit der Kinder und Kooperation im Hinblick auf Erziehungsmaßnahmen und zu vermittelnde Werte.

› Besonders förderlich ist es, wenn man die Eltern dazu bewegen kann, hohe (aber nicht unrealistische) Leistungserwartungen zu äußern, am besten selbst ein positives Modell der Wertschätzung von Lernen, Selbstdisziplin und harter Arbeit vorzuleben.

› Eltern unterprivilegierter und „bildungsferner“ Schichten und Gruppen muss man oft erst davon überzeugen, dass sie etwas zum Schulerfolg ihrer Kinder beitragen können.

› Eltern sind nur dann in größerem Umfang kooperationsbereit, wenn sie als gleichwertige Partner behandelt werden.

› Schulvereinbarungen und Schulverträge sind vor allem dann effektiv, wenn sie die Gestalt von zielstrebig verfolgten Plänen haben und nicht nur die Form von feierlichen „Gelöbnissen“.

› Die Leistungen und das Verhalten der Kinder werden stärker verbessert, wenn die Eltern durch Trainings die Möglichkeit erhalten, konkrete Möglichkeiten kennen zu lernen und einzuüben, wie sie ihr Kind unterstützen können. Schulen sollten zumindest mit Anbietern von Elterntrainings kooperieren und auf ihre Angebote verweisen.

› die Atmosphäre zwischen Schule und Elternhaus: Von grundlegender Bedeutung ist eine Atmosphäre zwischen Schule und Elternhaus, die durch wechselseitige Achtung, gegenseitiges Vertrauen, offenen Informationsaustausch, Kooperationsbereitschaft und eine gute Gesprächskultur gekennzeichnet ist. Eine solche Atmosphäre lässt sich mehr durch geduldige Pflege von Einzelkontakten und Einzelgesprächen erreichen als durch kollektive Kontakte bei Elternabenden und Schulfesten.

› die Elternmitbestimmung: Individuelle Mitbestimmungsmöglichkeiten für alle Eltern haben weitaus größeren Einfluss auf den Erfolg von Elternarbeit als die kollektive Mitbestimmung gewählter Elternvertreter, obwohl diese natürlich aus Gründen der politischen Korrektheit unverzichtbar ist. Die individuelle Mitbestimmung kann zum Beispiel dadurch verbessert werden, dass häufiger zu Fragen des Schul- und Unterrichtsalltags Elternfeedbacks eingeholt werden.

› die Einbeziehung der Schüler: Elternarbeit ist erfolgreicher, wenn Eltern und Lehrkräfte nicht über die Schüler hinweg kommunizieren und kooperieren, sondern sie einbeziehen. Erfolgreiche Elternarbeit ist Arbeit an der Partnerschaft zwischen Eltern, Lehrkräften und Schülern. Schüler können beispielsweise einbezogen werden durch Eltern-Lehrer-Schüler-Gespräche, durch Elternabende, bei denen auch Schüler anwesend sind und mitwirken oder durch Thematisierung der Elternarbeit im Unterricht.

› die Stärkung der Klassenleiter: Schularten mit differenziertem Fachlehrersystem, in denen es den einzelnen Lehrkräften nahezu unmöglich ist, mit allen Schülereltern Kontakt zu halten, haben dann größeren Erfolg mit ihrer Elternarbeit, wenn sie die Position des Klassenleiters zur maßgeblichen Schnittstelle zwischen Eltern und Lehrkräften ausgestalten. Der Klassenleiter bzw. die Klassenleiterin sollte sowohl einen Überblick über die Entwicklung der Leistungen und des Verhaltens der Schüler in den verschiedenen Fächern als auch über ihren familiären und kulturellen Hintergrund haben, so dass er bzw. sie erste Anlaufstelle für Eltern und für Kollegen und Kolleginnen sein kann.

Nicht die Menge ergriffener Maßnahmen, sondern das Konzept der Elternarbeit ist für ihren Erfolg entscheidend. Erfolgreich sind Konzepte der Elternarbeit, die präzise Zielsetzungen verfolgen, klare Vorstellungen von den Aufgaben der Elternarbeit haben und allen Eltern vielfältige Beteiligungsmöglichkeiten in einem möglichst früh einsetzenden, gut organisierten langfristigen Programm anbieten, das vom gesamten Kollegium getragen und regelmäßig evaluiert wird.

Werner Sacher

Aus: Forum Schule 2/2009

Anzeige


Info bei neuen Kommentaren
Benachrichtige mich bei

0 Kommentare
Inline Feedbacks
View all comments