„Studienplatz-Chaos“: Professoren nehmen Schavan ins Visier

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BONN. Der Präsident des Deutschen Hochschulverbandes (DHV), Prof. Bernhard Kempen, hat mit scharfer Kritik auf die bislang gescheiterten Versuche reagiert, ein neues Verfahren für die Vergabe von Studienplätzen einzuführen. Er sprach von „absurdem Theater“.

„Den Universitäten steht angesichts doppelter Abiturjahrgänge und der Aussetzung der Wehrpflicht das Wasser bis zum Hals. Die Studienanfängerzahl hat eine weitere Höchstmarke mit mehr als einer halben Millionen Erstsemestern angesteuert“, klagte Kempen. „Immer mehr Hochschulen müssen angesichts ihrer chronischen Unterfinanzierung Zulassungsbeschränkungen erlassen, um einen halbwegs geordneten Lehrbetrieb aufrechterhalten zu können. Mit der Ausdehnung der Vorlesungszeiten in die Nachtstunden und auf Wochenendtage sowie der Ausgliederung von Lehrveranstaltungen in Zelte, Kinos und Kirchen und der Rückkehr von Videoübertragungen aus den Hörsälen ist das Ende der Zumutungen längst erreicht.“ Vor diesem Hintergrund sei es „desaströs“, sagte Kempen, dass sich das Chaos bei der Hochschulzulassung fortsetze.

"Auswechsel- statt Regierungsbank": Der Hochschulverband kritisiert Ministerin Annette Schavan scharf. Foto: Andreas Schepers / Wikimedia Commons(CC-BY-SA-3.0)
"Auswechsel- statt Regierungsbank": Der Hochschulverband kritisiert Ministerin Annette Schavan scharf. Foto: Andreas Schepers / Wikimedia Commons(CC-BY-SA-3.0)
Bereits im vergangenen Wintersemester seien 18.000 Studienplätze in zulassungsbeschränkten Fächern unbesetzt geblieben, weil Bund und Länder bei der Etablierung eines geordneten Nachrückverfahrens versagten. „Dass der für dieses Wintersemester geplante Start einer ohnehin abgespeckten Version des neuen Studienplatz-Vergabesystems wegen technischer Probleme verschoben werden musste, ist eine Blamage bis auf die Knochen“, betonte  Kempen. Beschämend sei, dass die Verantwortlichen die bislang erfolglose Investition von 15 Millionen Euro mit „einem müden Schulterzucken“ quittierten. „Bei dem nunmehr anvisierten Start zum Wintersemester 2012/13 muss es bleiben. Bund und Länder müssen ein Vertragswerk schnüren, das diejenigen, die für Verzögerung verantwortlich zeichnen, auch in Regress nimmt „, forderte der an der Universität Köln lehrende Jura-Professor.

„Der Bund muss die Reißleine ziehen“

Angesichts des angerichteten Chaos müsse der Bund die Reißleine ziehen und von der ihm verbliebenen Regelungskompetenz Gebrauch machen. Kempen nahm insbesondere Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) ins Visier. „Es ist vollkommen unverständlich, dass die Bundesministerin nach all den Debakeln um die Hochschulzulassung bislang nicht einmal den Versuch unternommen hat, ihre Zuständigkeit wahrzunehmen. Wenn sie weiterhin die Verantwortung von sich schiebt, sollte sie lieber auf der Auswechsel- statt auf der Regierungsbank Platz nehmen“, befand Kempen. Der Hochschulverband, dem er vorsteht, versteht sich als Vertretung der Hochschullehrer in Deutschland.

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„Dialogorientiertes Serviceverfahren“, kurz DoSV, heißt das geplante System, das Bewerbungen an Hochschulen verwalten soll. Es geht dabei um einen Nachfolger des bisherigen Systems der Zentralen Vergabestelle (ZVS). Das neue Bewerbungsverfahren ist für alle lokal zulassungsbeschränkten Studiengänge gedacht, das sind derzeit etwa die Hälfte. Bisher müssen sich Abiturienten dafür bei jeder einzelnen Hochschule bewerben; ein zentrales Verfahren gab es zuletzt nur noch für Pharmazie und die medizinischen Fächer.

Die dezentrale Bewerbung bringt jedoch Koordinationsprobleme mit sich. Weil sich viele Studierwillige bei mehreren Unis bewerben, wissen die Hochschulen zunächst nicht, wer am Ende wirklich kommt. Die Folge sind aufwendige Nachrückverfahren. In den vergangenen Semestern sind deshalb Zehntausende Studienplätze wochenlang oder ganz unbesetzt geblieben. Das soll die neue Software verhindern.

Ein erster Anlauf scheiterte bereits vor drei Jahren

Ein erster Anlauf zur Umsetzung des neuen Verfahrens scheiterte bereits 2008. Die Unis fürchteten laut „Hamburger Abendblatt“ um ihre Autonomie bei der Bewerberauswahl. Anfang 2011 sollte das überarbeitete Konzept dann getestet werden. Doch im April hieß es dann, dass der Probelauf scheitern würde. Technisch habe sich die Anbindung der Hochschulen an das DoSV als Schwachpunkt erwiesen; Probleme mit Support und Datenschutz habe es zudem gegeben, berichtete das Blatt. Der Bund finanzierte den – bislang gescheiterten – Anschub von DoSV mit 15 Millionen Euro; für den künftigen Aufwand werden die Länder aufkommen müssen.

Das Problem fällt mit einem Ansturm von Studierwilligen an die Universitäten zusammen. In Nordrhein-Westfalen beispielsweise strömten dem Internetportal „Der Westen“ zufolge in diesem Jahr rund 115.000 Erstsemester an die 69 Hochschulen des Landes – 18.000 mehr als 2010. Als Hauptgründe für den Boom gelten die Abschaffung der Studiengebühren sowie die parallele Aussetzung der Wehrpflicht. Auch der doppelte Abitur-Jahrgang in Niedersachsen spielt offenbar eine Rolle. Schon jetzt herrscht laut „Der Westen“ an vielen Hochschulen akute Platznot. Die Universität Duisburg-Essen verlege Vorlesungen bereits in ein Multiplex-Kino, die TU Dortmund lasse Container aufbauen, die Universitäten Paderborn und Bielefeld nutzten sogar Baumärkte und Autohäuser. Mit Zulassungsbeschränkungen, dem Numerus clausus, versuchen nun viele Hochschulen, den Studentenansturm zu bremsen. „Die Uni Köln hat beinahe jedes Fach mit einem NC belegt, ähnlich sieht es in Münster und Bochum aus. Auch in Essen und Dortmund wird der verlangte Notendurchschnitt strenger“, heißt es in dem Bericht. (red)

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