Benachteiligte Jugendliche für den Freiwilligendienst gewinnen

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MÜNCHEN. Im Freiwilligendienst können junge Menschen wichtige soziale und berufliche Fähigkeiten erwerben. Dies zeigt eine neue Studie. Heranwachsende mit niedrigen Bildungsabschlüssen oder mit Migrationshintergrund werden jedoch noch kaum erreicht.

Absolventen eines freiwilligen sozialen Jahres im Lebenszentrum Adelshofen, einer ordensähnlichen evangelischen Gemeinschaft im nordbadischen Eppingen. Foto: Lebenszentrum Adelshofen / Flickr (CC BY-NC 2.0)
Absolventen eines freiwilligen sozialen Jahres im Lebenszentrum Adelshofen, einer ordensähnlichen evangelischen Gemeinschaft im nordbadischen Eppingen. Foto: Lebenszentrum Adelshofen / Flickr (CC BY-NC 2.0)
Seit es mit Abschaffung der Wehrpflicht keine Zivildienstleistenden mehr gibt, muss intensiv um freiwillige Kräfte geworben werden, die sich ehrenamtlich in sozialen Bereichen engagieren. Die Zivildienst-Studie des Deutschen Jugend Instituts (DJI) bietet hier Argumentationshilfe, denn das Gros ehemaliger vom DJI befragter Zivildienstleistender zieht eine insgesamt positive Bilanz ihres Dienstes – und berichtet von wichtigen Lernerfahrungen.

In den vergangenen fünf Jahren waren im Schnitt jährlich gut 63.000 Zivildienstleistende im Einsatz – meist in Einrichtungen für ältere, kranke und behinderte Menschen. Für Wohlfahrtsverbände wie AWO, Caritas oder Diakonie eine verlässliche Größe, mit der zu rechnen war, doch mit Abschaffung der Wehrpflicht im Juli 2011 gibt es diese nun nicht mehr. Stattdessen sollen sich nun Männer und Frauen aller Altersgruppen ehrenamtlich im Bundesfreiwilligendienst (BFD) engagieren, nicht nur in Altersheimen, sondern auch im Sport oder in Kultur- und Bildungseinrichtungen. Um diese ehrenamtlichen Kräfte muss heute nicht nur wegen des Wegfalls des Zivildienstes geworben werden. In den kommenden 15 Jahren wird es aufgrund des demografischen Wandels in Deutschland 20 Prozent weniger junge Menschen geben. Diese werden zudem vom Arbeitsmarkt dringend als Fachkräfte benötigt. „Umso wichtiger ist es, dass Freiwilligendienste attraktiv bleiben, ihren Mehrwert für die Gesellschaft und die jungen Menschen deutlich machen und neue Zielgruppen erschließen“, betont DJI-Direktor Prof. Dr. Thomas Rauschenbach.

Dass sich freiwilliges oder ehrenamtliches Engagement gerade für junge Menschen lohnt, belegen aktuelle Auswertungen des DJI. Von den über 800 (ehemaligen) Zivildienstleistenden, die befragt wurden, bestätigen drei Viertel positive Effekte des Dienstes sowohl auf die persönliche Entwicklung als auch auf den Einstieg ins Arbeitsleben durch den Erwerb sogenannter Soft Skills.

Zivildienstleistende verbesserten ihre Soft Skills

Besonders die praktische Arbeit bot den Zivildienstleistenden viele Lernmöglichkeiten. So sahen es 91 Prozent der Befragten. Daneben waren Fort- und Weiterbildungsveranstaltungen der Dienststelle oder des Trägers für 61 Prozent der jungen Männer lehrreich, während der Einführungslehrgang an der Zivildienstschule nur knapp einem Drittel die Gelegenheit bot, etwas Neues zu lernen. Als für sie am wertvollsten stuften die Zivildienstleistenden das Gespräch und den Kontakt mit Kolleginnen und Kollegen ein. 85 Prozent sahen hierin den größten Lerneffekt.

Nur für 15 Prozent der ehemaligen Zivildienstleistenden war der Zivildienst rückblickend eine „vertane Zeit“. Vielmehr konnten 88 Prozent der jungen Männer nach eigenen Angaben ihre Teamfähigkeit ausbauen. 82 Prozent erklärten, die Fähigkeit weiterentwickelt zu haben, für andere Personen Verantwortung zu übernehmen. Außerdem verbesserten 87 Prozent ihre Empathie und ihr Verständnis für die Probleme Anderer. 80 Prozent der Männer gaben an, während ihres Dienstes selbstständig gearbeitet zu haben. 75 Prozent der Zivildienstleistenden konnten ihre Kenntnisse in den Bereichen Betreuung, Pflege und Haushalt erweitern; das Verständnis für ältere, behinderte oder gesellschaftlich benachteiligte Menschen ist bei 84 Prozent der Zivildienstleistenden gewachsen.

Abiturientinnen sind die größte Gruppe im Freiwilligendienst

Die Chance, im Freiwilligendienst ähnliche Erfahrungen zu machen, wird jedoch bislang vorwiegend von jungen Menschen mit hohem Bildungsniveau genutzt. Junge deutsche Frauen mit Abitur bilden bislang die größte Gruppe der ehrenamtlich tätigen jungen Menschen. In der Gesamtbetrachtung lassen sich junge Männer und Frauen mit Realschulabschluss (30 Prozent) und Abitur (rund 50 Prozent) am ehesten für den Freiwilligendienst gewinnen.

Der Anteil von Personen mit Hauptschulabschluss ist bei den Freiwilligendiensten mit zehn Prozent dagegen auffällig gering. Die Quote von jungen Menschen mit Migrationshintergrund liegt bei den Freiwilligendiensten mit zehn Prozent ebenfalls weit unter den altersentsprechenden Anteilen. Einen Grund für diese niedrige Nachfrage sieht DJI-Direktor Rauschenbach in den sehr unterschiedlichen Möglichkeiten von Jugendlichen, sich einen Freiwilligendienst zeitlich, biografisch und finanziell leisten können. So blieben die Chancen, die der Freiwilligendienst biete, vielen benachteiligten jungen Menschen aufgrund ihrer sozialen Herkunft noch verschlossen.

Junge Menschen gezielter ansprechen

Um junge Menschen besser ansprechen zu können, sollte laut Rauschenbach bei der Rekrutierung den unterschiedlichen Erwartungen und Voraussetzungen besser berücksichtigt werden. Für sozial benachteiligte Jugendliche müssten zudem Bereiche gefunden werden, in denen eine intensivere Betreuung gewährleistet und eine größere Fehlertoleranz möglich sei. Für die erfolgreiche Absolvierung eines Freiwilligendienstes, auch dies ein Ergebnis von DJI-Studien, müsse bei der Gruppe der benachteiligten jungen Menschen zur gegebenen pädagogischen Begleitung eine kontinuierliche persönliche sozialpädagogische Betreuung hinzu kommen. (pm)
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