Urteil: Sexualkunde ist für alle Pflicht – auch für Baptisten

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STRASSBURG. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat die deutsche Schulpflicht in einem entscheidenden Punkt bestätigt: Auch der Sexualkunde-Unterricht ist verpflichtend und steht nicht dem Elternrecht auf Erziehung sowie der Religionsfreiheit entgegen, urteilten die Straßburger Richter.

Sie wiesen damit die Klage von fünf deutschen Baptisten-Familien aus Nordrhein-Westfalen zurück, die ihre Kinder zeitweilig aus der Schule fern gehalten hatten und deshalb mit Geldbußen belegt worden waren. Die Entscheidung ist rechtskräftig.

Die Schulpflicht kann die Religionsfreiheit einschränken: Kirche der Baptisten im US-Bundesstaat Florida. Foto: iwaswired Don Dearing / Flickr (CC-BY-SA-2.0
Die Schulpflicht kann die Religionsfreiheit einschränken: Baptistenkirche im US-Bundesstaat Florida. Foto: iwaswired Don Dearing / Flickr (CC-BY-SA-2.0

Bereits im Juni 2005 begann der Streit. Damals beantragten zwei der betroffenen Ehepaare, ihre Kinder, die damals die 4. Klasse einer Grundschule in Salzkotten besuchten, vom Sachkunde-Unterricht zu befreien.  Dem Lehrplan entsprechend stand Sexualkunde auf dem Programm. Die Eltern monierten insbesondere den Inhalt eines Buches, das für den Unterricht genutzt wurde, als teilweise pornografisch. Die Darstellung stehe ihrer religiösen Vorstellungen entgegen, wonach Sexualität nur in der Ehe stattfinden dürfe.  Die beiden Elternpaare gehören, wie auch die übrigen Kläger, einer evangelikalen Baptistenkirche an.

Die Schule lehnte eine Befreiung der Kinder vom Unterricht ab und begründete dies mit der bestehenden Schulpflicht und dem geltenden Lehrplan. Die Eltern hielten ihre Kinder daraufhin für eine Woche von der Schule fern, woraufhin alle vier Elternteile mit einem Bußgeld von jeweils 75 Euro belegt wurden.

Anfang 2007 weigerten sich dann drei weitere Elternpaare aus der Baptistengemeinde, ihre Kinder zur Schule zu schicken, weil dort Projektunterricht unter dem Titel „Mein Körper gehört mir“ auf dem Programm stand. Der Theater-Workshop sollte Kinder auf das Problem des sexuellen Missbrauchs hinweisen und damit zur Vorbeugung beitragen. Die Eltern argumentierten,  der Inhalt sei für die moralische Entwicklung ihrer Tochter schädlich. Das Theaterprojekt erziehe die Kinder zu einer „freien Sexualität“. Ihnen werde vermittelt, dass sie über ihre Sexualität allein zu bestimmen hätten und ihr einziger Ratgeber dabei, der sie niemals täusche, ihr Gefühl sei.  Jedes Elternteil bekam für die Verletzung der Schulpflicht eine Geldbuße von jeweils 120 Euro auferlegt.

Streit um Karnevalsfeier

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Schließlich durften Kinder der Familien nicht an einer Karnevalsfeier der Schule teilnehmen, weil diese mit ihren religiösen und moralischen Vorstellungen unvereinbar sein. Nach Ansicht der Eltern verletze eine Pflicht zur Teilnahme an einer Karnevalsveranstaltung die religiöse Neutralität der Schule, da Fastnacht ein Fest der katholischen Kirche sei. Es werde heute so gefeiert, dass „Katholiken sich vor der Fastenzeit Ess- und Trinkgelagen hingeben, sich maskieren und meist völlig enthemmt – befreit von jeglicher Moral – wie Narren benehmen“. Auch in diesem Fall gab es Geldbußen wegen Verletzung der Schulpflicht in Höhe von 40 und 80 Euro. In der Folge hielten drei der Ehepaare weitere Kinder vom Unterricht fern und verweigerten zudem die Zahlung sämtlicher, sich steigernder Bußgelder. Die sechs Väter und Mütter wurden daraufhin zu Gefängnisstrafen von bis zu 43 Tagen verurteilt.

Zwei Gerichte, das Amtsgericht Paderborn und das Oberlandesgericht Hamm, bestätigten die verhängten Strafen. Das Bundesverfassungsgericht nahm die Beschwerden der Eltern nicht zur Entscheidung an. Eine Grundrechtsverletzung sei nicht hinreichend dargelegt worden.  Das Grundrecht auf Glaubensfreiheit sei Einschränkungen zugänglich, die sich aus der Verfassung selbst ergeben, hieß es in der Begründung der Karlsruher Richter. Hierzu gehöre der dem Staat erteilte Erziehungsauftrag.

Deutsche Schulpflicht nicht zu beanstanden

Die Straßburger Richter bestätigten jetzt diese Linie: Das deutsche System der Schulpflicht, das das Unterrichten von Kindern zu Hause grundsätzlich ausschließe, ziele auf die Integration von Kindern in die Gesellschaft. Das Entstehen von Parallelgesellschaften solle damit verhindert werden.  Auch wenn diese Rechtsauffassung mit der Bedeutung von Pluralismus für die Demokratie abgewogen werden müsse, konnte  der Gerichtshof darin keine Verletzung der Menschenrechte erkennen. Auch in diesem besonderen Fall nicht. Es gebe keinen Hinweis darauf, dass der erteilte Unterricht die von den Eltern vertretene Sexualmoral infrage gestellt hätte. Religionsfreiheit und das Erziehungsrecht von Eltern auf Erziehung bedeute nicht, dass ein Recht darauf bestehe,  von Meinungen verschont zu bleiben, die der eigenen Überzeugung entgegenstehen. Die Kläger seien frei, ihre Kinder nach der Schule und am Wochenende entsprechend ihrer religiösen Überzeugungen zu erziehen. Es gebe auch keinen Hinweis darauf, dass die verhängten Geldbußen unverhältnismäßig gewesen seien. Die Gefängnisstrafe sei verhängt worden, weil die Bußgelder nicht gezahlt wurde, nicht wegen der ursprünglichen Verletzung der Schulpflicht.

Die Entscheidung wurde von einer Kammer mit sieben Mitgliedern gefällt, darunter Richter aus Luxemburg, Schweden, Tschechien, Slowenien, Lichtenstein, der Ukraine und Deutschland. (red)

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Reinhard
10 Jahre zuvor

Ich glaube nicht, dass der Staat diese Leute kleinkriegen kann. Diese Glaubensrichtung hat den sowjetischen Kommunismus überlebt, und einen stärkeren Druck als diesen wird unsere Gesellschaft kaum ausüben. Warum muss man sie überhaupt zwingen ?

Markus
9 Jahre zuvor

Aus dem gleichen Grund, aus dem Kinder mit der allgemeinen Schulpflicht in jeden anderen Unterricht gezwungen werden.

Dinara
6 Jahre zuvor

Gott hat eigene Gesetze, die felsenfest sind!
Diese Menschen halten sich dran.
Und Keiner schafft sie davon abzubringen.
Warum? Weil Gott Selbst dahintersteht!
Die Zeit wird es beweisen.
Und sie haben wirklich recht.