40 Jahre VBE in NRW: Ein Gespräch mit Udo Beckmann

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Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) in Nordrhein-Westfalen hat gestern sein 40-jähriges Bestehen gefeiert. Ein Gespräch mit dem Vorsitzenden, Udo Beckmann, über die derzeitige Schul- und Bildungspolitik, über schöne Geschenke zum 40. Geburtstag und große Baustellen im Bildungsbereich.

Herr Beckmann, der VBE NRW feiert sein 40-jähriges Bestehen. Sie verfolgen die Bildungspolitik seit mehreren Jahrzehnten intensiv mit. Wie bewerten Sie die derzeitige Schul- und Bildungspolitik?

Der VBE hat seit seiner Gründung eigentlich vier Kernziele verfolgt: zum einen die wissenschaftliche, achtsemestrige Ausbildung für alle Lehrkräfte zu erreichen; dann mehr Chancen- und Bildungsgerechtigkeit für die Schülerinnen und Schüler, aber auch die Beseitigung der ungleichen Besoldungsstellung zwischen den Lehrkräften der einzelnen Gruppen sowie die Weiterentwicklung des Sonderschulwesens. Wenn man diese Ziele – bezogen auf Nordrhein-Westfalen – Revue passieren lässt, dann haben wir in Bezug auf die wissenschaftliche Ausbildung einen Riesenfortschritt erreicht. Durch das neue Lehrerausbildungsgesetz erhalten alle Lehrer – ganz gleich, für welche Schulform und Schulstufe sie ausgebildet werden, eine vollständige, wissenschaftliche, universitäre Ausbildung, die für alle mit einem vollständigen Master abschließt. Es wird nicht mehr zwischen einem kürzeren oder längeren Studium für die eine oder andere Schulform unterschieden, sondern alle sind gleich. Das ist ein großer Durchbruch für die Emanzipation des Lehrerberufs.

Wie steht es denn um die Bildungsgerechtigkeit und die Forderung nach mehr Chancengleichheit?

Im Hinblick auf diese Themen hat der VBE schon seit den achtziger Jahren favorisiert, dass es in Deutschland – aber auch in Nordrhein-Westfalen – ein zweigliedriges Schulsystem geben müsste, mit einer attraktiven Säule neben dem Gymnasium. 2005 haben wir in Nordrhein-Westfalen, gemeinsam mit Dr. Rösner, das Konzept „Modellkonzept – Allgemeine Sekundarschule für Nordrhein-Westfalen“ eingebracht. Dies wurde von der damaligen schwarz-gelben Landesregierung mit dem Schlagwort „Einheitsschule“ abgewiesen. Das, was wir dort konzeptionell niedergeschrieben haben, ist im Prinzip das, was die Landesregierung nun im Rahmen des Schulkonsenses beschlossen hat: nämlich die Möglichkeit einer Sekundarschule, die die Bildungsgänge von Haupt-, Realschule und Gymnasium zusammenfasst und die Klassen 5 bis 10 betrifft. Zum 40. Geburtstag haben wir mit dem Voranschreiten in der Lehrerausbildung und der Veränderung in der Schulstruktur also zwei schöne Geschenke bekommen.

VBE-Chef Udo Beckmann fordert die Demografiegewinne im System zu lassen. Foto: VBE
VBE-Chef Udo Beckmann fordert die Demografiegewinne im System zu lassen. Foto: VBE

Können Sie sich noch über weitere Geschenke freuen?

Wir haben in diesem Jahr ein Gutachten zum Thema „Kurze Beine – kurze Wege“ herausgebracht, das sich damit beschäftigt, wie kleine Grundschulstandorte erhalten werden können. Auch diese Idee ist von der Landesregierung durch eine gleichnamige Entschließung im Landtag von SPD, CDU und Bündnis 90/Die Grünen aufgegriffen worden, die festhält, dass die Landesregierung zusätzliche Anstrengungen unternehmen will, um kleine Grundschulstandorte bestehen zu lassen.

Alles in allen scheint das ein erfolgreiches Geburtstagsjahr für den VBE zu sein, oder?

Ja, das stimmt. Aber es darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es nach wie vor zwei Baustellen gibt. Erstens gibt es immer noch ein starkes soziales Ranking in der Bezahlung zwischen den einzelnen Lehrergruppen. Grundschullehrer verdienen immer noch weniger als Gymnasiallehrer. Wir als Lehrergewerkschaft sind der Auffassung, dass alle Lehrer den gleichen Lohn für die gleiche Arbeit bekommen sollten. Die zweite Riesenbaustelle, die zurzeit in allen Ländern diskutiert wird, ist die Weiterentwicklung des Sonderschulwesens und das Thema „Inklusion“. Dies ist ein sehr sensibles und gesellschaftspolitisches Thema und führt auch dazu, dass – insbesondere in den allgemeinbildenden – Schulen ein Riesendruck entsteht, sich dieser Aufgabe zu stellen. Die notwendigen Rahmenbedingungen für dieses Ziel sind noch nicht da. Das ist ein Thema, was uns in den nächsten Jahren beschäftigen wird. Wir fordern, dass die Rahmenbedingungen geschaffen werden. Wir sagen ein klares „Ja“ zum Thema Inklusion, der VBE steht zu einem inklusiven Schulsystem und zur Umsetzung der UN-Konvention, aber die Rahmenbedingungen müssen so sein, dass sowohl die Kinder mit als auch ohne Behinderung zu den Gewinnern eines solchen Schulsystems werden.

In NRW wurde im Sommer 2011 nach 40 Jahren ein Schulkonsens vereinbart. Ist NRW ein Vorbild für ganz Deutschland?

Nordrhein-Westfalen war ja nicht das erste Land mit einem Schulkonsens. Den gab es schon im Stadtstaat Bremen. Nordrhein-Westfalen war aber das erste Flächenland. Hier ist es gelungen, die ganz Konservativen und die – ich nenne sie jetzt mal – Fortschrittlichen und Innovativen zusammenzubringen. Das ist ein historisches Ereignis, das aber durch die Bildungskonferenz, zu der Schulministerin Sylvia Löhrmann und Ministerpräsidentin Hannelore Kraft alle Vertreter der gesellschaftlichen Gruppen eingeladen hatten, für die Politik vorbereitet wurde. In der Bildungskonferenz sind die Kernpunkte, wie das Schulwesen in Nordrhein-Westfalen zukünftig aussehen sollte, beschrieben worden, und das hat die Politik aufgegriffen.

Glauben Sie, dass so ein Kompromiss auch in anderen Bundesländern funktionieren könnte, wenn man alle Beteiligten an einen Tisch holt?

Ich glaube, es geht nur, wenn man eine breite Beteiligung der gesellschaftlichen Gruppen hinkriegt und versucht, in einem breiten Dialog alle Themen offen anzusprechen, ohne Häme die Position des anderen auch anzunehmen, mit ihm zu diskutieren und nach Kompromissen zu suchen. Genauso ist es in der Bildungskonferenz gewesen.

Deutschlandweit gibt es immer weniger Schüler. Die Demografiegewinne, die durch den Rückgang der Schülerzahlen erzielt werden, sollen im System bleiben – so die Zusage seitens der Politik. Reicht das aus, um die Lernbedingungen an den Schulen zu verbessern?

Nein, das reicht nicht, aber die Demografiegewinne sind zumindest eine gute Teilfinanzierung zum Beispiel für Projekte zum Thema „Inklusion“ oder „Kleine Klassen“. Die Demografiegewinne sind eine Riesenhilfe, das darf man nicht unterschätzen. Aber man darf sich auch nicht vormachen, dass damit alle Probleme, die anstehen, gelöst werden können.

Halten sich die Regierungen der Länder denn überhaupt an ihr Versprechen, die Demografiegewinne im System zu belassen?

Nein. Nordrhein-Westfalen tut es. Aber es gibt erste Signale, beispielsweise aus Hessen und Baden-Württemberg, dass man überlegt, ob die Demografiegewinne nicht doch zum Schuldenabbau herangezogen werden müssten. Das ist ein fatales Signal, weil man auf diese Zusage gesetzt hat. Im Rahmen des Dresdner Bildungsgipfels ist erklärt worden, dass die Demografiegewinne im System bleiben und noch mehr Geld oben draufgelegt wird, damit wir für Bildung und Forschung zehn Prozent des Bruttoinlandproduktes ausgeben. Davon hört man eigentlich nur noch relativ wenig. Einige Finanzminister haben beispielsweise die Pensionen der Lehrer mit in ihre Bildungsausgaben reingerechnet. Aber das sind natürlich keine Bildungsausgaben, sondern nur billige Rechentricks, um der Bevölkerung vorzugaukeln, man täte schon genug.

Sie klingen enttäuscht.

Ja, ich bin enttäuscht über die Zusagen, die 2008 auf dem Dresdner Bildungsgipfel gemacht wurden und bis heute nicht eingehalten wurden, weil weder die Bundeskanzlerin noch die Ministerpräsidenten zurzeit erkennen lassen, dass sie ernsthaft an diesem Ziel arbeiten.

Sie sind seit 1979 Mitglied im VBE und haben seit 15 Jahren verschiedene Leitungspositionen, aktuell sind Sie Landesvorsitzender in NRW und haben auch den Bundesvorsitz inne. Was war das bedeutendste Ereignis, seit Sie sich im VBE engagieren?

In der Verantwortungsposition war für mich das Bedeutendste, dass wir intensiv in der Bildungskonferenz mitgearbeitet und konkrete Vorschläge an die Politik gemacht haben: Erstens zur Neustrukturierung der Sekundarstufe, zweitens für die Erhaltung kleiner Grundschulstandorte und drittens ein Gutachten zum Thema „gerechte Besoldung“ vorlegt haben. Ich stelle nun fest, dass eins nach dem anderen, in der Politik auf positive Resonanz stößt und schließlich zum Erfolg für Lehrerinnen und Lehrer und Schülerinnen und Schüler führt.

Herr Beckmann, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Die Fragen stellte FRAUKE KÖNIG.

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