Studie: Ganztagsbetreuung von Grundschülern liegt im Argen

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GÜTERSLOH. Während eine flächendeckende Ganztagsbetreuung von Grundschulkindern in Europa Standard sei, herrsche in Deutschland noch immer Mangel – insbesondere im Westen, kritisiert die Bertelsmann Stiftung.

Die Bertelsmann Stiftung fordert einen Rechtsanspruch auf einen Ganztagsplatz in der Grundschule. Foto: Stefan Eissing / Flickr (CC BY-SA 2.0)
Die Bertelsmann Stiftung fordert einen Rechtsanspruch auf einen Ganztagsplatz in der Grundschule. Foto: Stefan Eissing / Flickr (CC BY-SA 2.0)

In den ostdeutschen Bundesländern besuchten Anfang 2010 zwar gut drei Viertel (75,4 Prozent) der Grundschulkinder ein Ganztagsangebot, in den westdeutschen Ländern war es aber nur etwas mehr als jedes fünfte Kind (21,4 Prozent), heißt es im „Länderreport Frühkindliche Bildungssysteme 2011“, den die Bertelsmann Stiftung vorgestellt hat. Die Betreuung findet danach in Deutschland einerseits in Kindertageseinrichtungen, den Horten, statt, andererseits in Ganztagsschulen. Verbindliche Qualitätsstandards für Betreuungsumfang und für pädagogisches Fachpersonal gebe es jedoch fast nur in den Horten.

„Wir brauchen in Deutschland einen Rechtsanspruch auf einen Platz in einer Ganztagsschule“, forderte Jörg Dräger, für Bildung zuständiges Vorstandsmitglied der Bertelsmann Stiftung. „Ein verlässliches Ganztagsangebot verbessert die Bildungschancen der Kinder und für die Eltern die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.“ Von einem entsprechenden Angebot für alle Grundschulkinder seien viele Bundesländer jedoch noch weit entfernt: In jedem ostdeutschen Bundesland nutzten mehr als 60 Prozent der Grundschüler ein Ganztagsangebot, auch in Berlin liege der Anteil bei fast 70 Prozent. Im deutschlandweiten Vergleich liegen der Studie zufolge die Teilhabequoten von Hamburg (fast 48 Prozent), Bremen (knapp 37 Prozent), dem Saarland und Nordrhein-Westfalen (jeweils knapp 29 Prozent) im Mittelfeld. Nur etwas weniger als ein Viertel der Grundschüler nutzen danach in Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und Hessen (jeweils 24 Prozent) ganztägige Angebote. Den größten Aufholbedarf haben dem Papier zufolge Bayern (knapp 16 Prozent), Niedersachsen (knapp 15 Prozent) und Baden-Württemberg (knapp 13 Prozent).

Horte besser als der offene Ganztag

Während die Grundschulkinder in Ostdeutschland überwiegend in Horten betreut würden, sei im Westen die offene Ganztagsschule das am weitesten verbreitete Angebot. Der Länderreport zeige, dass die Horte im Vergleich zu den Ganztagsangeboten an Schulen die umfangreichere Betreuung und besser qualifiziertes Personal böten: Im Hort bestehe an vier bis fünf Tagen in der Woche bis mindestens 17 Uhr ein Angebot. Demgegenüber sei eine Schule laut Kultusministerkonferenz bereits dann eine Ganztagsschule, wenn an mindestens drei Tagen in der Woche für täglich sieben Zeitstunden ein Angebot bestehe. Für die gebundenen Ganztagsschulen in Bayern, Berlin, Hamburg, Rheinland-Pfalz und Thüringen würden wiederum andere Regeln gelten: Sie seien an mindestens vier Tagen mindestens je acht Stunden geöffnet. In Berlin, Rheinland-Pfalz und Thüringen müssten sie zudem eine Ferienbetreuung anbieten – Horte müssten dies grundsätzlich.

Auch verbindliche Mindeststandards für die Qualifikation und Anzahl des Personals seien in den meisten Bundesländern nur bei der Hortbetreuung fest verankert. Für die offene Ganztagsschule bestünden dagegen nur in etwa der Hälfte der Bundesländer Regelungen zur Personalausstattung, Anforderungen an die Qualifikation des Personals oder zur maximalen Gruppengröße. In zwei Bundesländern dürften ausnahmslos pädagogische Fachkräfte für außerunterrichtliche Angebote tätig werden: in Sachsen-Anhalt nur Lehrkräfte und staatlich anerkannte Erzieherinnen und in Berlin ausschließlich Erzieherinnen. „Die in den Horten bereits etablierten Qualitätsstandards sind erfreulich“, kommentierte Dräger die Ergebnisse. „Mittelfristig brauchen wir in Deutschland jedoch überall gebundene Ganztagsschulen, denn davon profitieren die Kinder am meisten. Die enge Verzahnung der Vor- und Nachmittagsangebote ermöglicht, alle Kinder individueller und damit besser zu fördern.“

Grundlage der Auswertungen sind Daten der statistischen Ämter des Bundes und der Länder aus der Kinder- und Jugendhilfestatistik sowie der Kultusministerkonferenz des Jahres 2010 sowie einer Befragung aller zuständigen Fachministerien der Bundesländer durch die Bertelsmann Stiftung.

„Schallende Ohrfeige für Spaenle“

Die Studie löste zum Teil heftige Debatten in den Bundesländern aus. „Gerade bei den Ganztagsangeboten an den Grundschulen müssen wir aufholen“, sagte etwa baden-württembergs Kultusministerin Gabriele Warminski-Leitheußer (SPD). Sie kündigte an: „Alle Grundschulen, die das wollen, sollen bis 2020 zu Ganztagsschulen werden können.“ „Bayern setzt den bedarfsgerechten Aufbau von Ganztagsangeboten an den staatlichen Schulen konsequent weiter fort. Dies gilt für alle Schularten, auch für die Grundschulen“, betonte Bayerns Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU) – ohne genauer auf die Ergebnisse des Berichts einzugehen. Das übernahm dann die oppositionelle SPD-Fraktion im bayerischen Landtag. „Der Länderreport über frühkindliche Bildungssysteme ist eine schallende Ohrfeige für Kultusminister Spaenles Bildungspolitik“, meinte der bildungspolitische Sprecher, Martin Güll.

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