Studie: Schule kann familiäre Defizite nur begrenzt ausgleichen

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DÜSSELDORF (Mit Kommentar). Nehmen Eltern am Arbeitsleben teil, wirkt sich das positiv auf das Wohlbefinden und die Schulleistungen der Kinder aus. Armut hingegen beeinträchtigt den Schulerfolg. Das zeigt der aktuelle Unicef-Bericht zur Lage der Kinder in Deutschland, der heute vorgelegt wurde. Dafür werteten Wissenschaftler der Berliner Humboldt-Universität Daten von bereits durchgeführten Studien, wie beispielsweise der PISA-Studie, des Mirkozensus und des Kinderbarometers, aus. In den vergangenen Tagen hatte bereits eine Untersuchung der Vodafone-Stiftung belegt, dass Schüler aus armen Familien häufig schlechtere Noten bekommen.

Der aktuellen Studie des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen zufolge können Kindertagesstätten und Schulen die Defizite, die durch die fehlende Teilhabe der Eltern bedingt wird, trotz guter Förderung nur begrenzt ausgleichen. Eltern seien wichtige Vorbilder. Wie gut es den Kindern und Jugendlichen geht, ist innerhalb Deutschlands sehr unterschiedlich.

Arbeitslosigkeit der Eltern und Armut wirken sich negativ auf Wohlbefinden und Schulleistungen der Kinder aus; Foto: steve prinz / pixelio.de
Arbeitslosigkeit der Eltern und Armut wirken sich negativ auf Wohlbefinden und Schulleistungen der Kinder aus; Foto: steve prinz / pixelio.de

„Die Lebenssituation der Kinder und Jugendlichen, ihre Schulleistungen, Hoffnungen und Ängste unterscheidet sich gravierend – je nachdem wo in Deutschland sie aufwachsen, wovon ihre Familie lebt und welche Unterstützung sie in ihrem konkreten Lebensumfeld, durch die Politik und ihre Gemeinden erfahren“, heißt es in dem Bericht. Teilweise seien diese Unterschiede innerhalb Deutschlands größer als zwischen den einzelnen OECD-Staaten. Wie wohl sich Kinder fühlen, hängt laut Untersuchung stark davon ab, ob ihre Eltern am Arbeitsleben teilhaben. Für den schulischen Erfolg sowie das Wohlbefinden sei es wichtig, dass den Jugendlichen die Perspektive eröffnet wird, eine berufliche Ausbildung in ihrer Region zu machen.

Der Bericht von Unicef hat darüber hinaus Folgendes gezeigt:

  • 14 Prozent der Kinder in Deutschland wachsen in relativer Armut auf.
  • Das Wohlbefinden der Kinder ist in den großen urbanen Zentren tendenziell schlechter als in den Flächenländern. Aus der Sicht der Kinder sind die vier südwestdeutschen Länder Baden-Württemberg, Bayern, Rheinland-Pfalz und das Saarland offensichtlich besonders lebenswerte Bundesländer.
  • Mecklenburg-Vorpommern, Berlin, Sachsen-Anhalt und Bremen liegen beim materiellen Wohlbefinden, bei der Bildung und – mit Ausnahme von Mecklenburg-Vorpommern – auch bei den Beziehungen zur Familie und zu Gleichaltrigen im unteren Drittel. Insgesamt gibt es der Studie zufolge aber kein Ost-West-Gegensatz, denn Brandenburg liegt beispielsweise im Gesamtranking auf Platz sechs, und damit vor Nordrhein-Westfalen oder Hessen.
  • Die meisten Kinder in Deutschland sagen, dass sie sich subjektiv gut fühlen. Jedoch schätzen je nach Bundesland zwischen elf und 17 Prozent der Kinder ihr schulisches Wohlbefinden als schlecht ein.
  • Kinder von Alleinerziehenden haben schlechtere Chancen, eine weiterführende Schule zu besuchen.
  • In Berlin, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg Vorpommern verlassen doppelt so viele Jugendliche die Schule ohne Abschluss, wie es in Bayern, Baden-Württemberg und dem Saarland der Fall ist.
  • Bei weiterhin unterschiedlichem Niveau in den Bundesländern sind die gemessenen Schulleistungen insgesamt gestiegen. Gleichzeitig zeigt die Studie einen starken negativen Einfluss von Arbeitslosigkeit der Eltern, mangelnden Ausbildungsplätzen sowie relativer Armut auf den Schulerfolg. In Bundesländern mit einem hohen Anteil von arbeitslosen Eltern und Alleinerziehenden sind auch die Schulleistungen eher niedriger.
  • Dass eine bestimmte Schulstruktur, wie beispielsweise längeres gemeinsames Lernen oder ein zweigliedriges Schulsystem, die familiären Defizite der Kinder automatisch ausgleicht, lässt sich auf der Basis der vorliegenden Daten nicht belegen. Laut den Autoren ist das schlechte Abschneiden der Kinder in manchen Bundesländern nicht allein auf das Schulsystem zurückzuführen, sondern auch auf ihre konkreten Lebensbedingungen.

„Ein politischer Ansatz, der allein auf Verbesserungen in Kindergarten und Schule setzt, greift zu kurz“, sagt Professor Hans Bertram von der Humboldt-Universität in Berlin, Hauptautor des Unicef-Berichts. Für die Selbstachtung und das Selbstvertrauen der Kinder sei es von zentraler Bedeutung, dass ihre Eltern den Lebensunterhalt selbst bestreiten können. Jürgen Heraeus, Vorsitzender von „Unicef Deutschland“, betont: „Kein Kind darf ausgeschlossen werden. Eine gute Förderung der Kinder muss Hand in Hand gehen mit einer Stärkung der Eltern.“ Er fordert, die Bildungspolitik durch eine gezielte Arbeits- und Sozialpolitik zu ergänzen.

Die Autoren der Studie sind sich einig, dass die Entwicklung von sozialer Kompetenz, Verantwortung und Werten in der Schule genauso wichtig ist wie kognitive Fähigkeiten. Gute Schulnoten seien nur ein Element für die Teilhabe der Kinder in der Gesellschaft. Genauso zentral sei es, ob die Mädchen und Jungen in der Lage sind, sich selbst und andere persönlich zu achten und am Wohlergehen anderer interessiert zu sein. Eine ausschließliche Konzentration auf Leistungssteigerung in der Schule führe dazu, dass einzelne Gruppen von Kindern systematisch ausgeschlossen würden. FRAUKE KÖNIG

Zum Kommentar „Trau keiner Statistik …“

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