Pablo-Neruda-Schule: Streit um den Namenspatron

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CHEMNITZ. (Mit Leserkommentaren) Darf man so mit einem Literaturnobelpreisträger umgehen? Eltern und Lehrer der Chemnitzer «Pablo-Neruda-Grundschule» wollten einen neuen Namen, weil die Schüler – wie sie sagen – keinen Bezug zum chilenischen Schriftsteller hätten. Nun hat der Stadtrat entschieden. Und das Ansinnen abgelehnt.

Pablo Neruda Anfang der 70er Jahre. Foto: Wikimedia Commons
Pablo Neruda Anfang der 70er Jahre. Foto: Wikimedia Commons

Vor 41 Jahren bekam er den Literaturnobelpreis – Pablo Neruda. Zwei Jahre später erlag der chilenische Nationaldichter seinem Krebsleiden. Im damaligen Karl-Marx-Stadt wurde eine gerade neu errichtete Polytechnische Oberschule nach ihm benannt. Nach der Wende wurde zwar aus Karl-Marx-Stadt Chemnitz, aber das berühmte Karl-Marx-Monument durfte bleiben – so wie auch Pablo Neruda.

Er wurde, so beschlossen es die Chemnitzer Stadtverordneten im Januar 1993, zum Namensgeber der neuen Grund- und Mittelschule. Die Mittelschule wurde 2002 aufgelöst. Die Grundschule überlebte das sächsische Schulsterben, gerade wird sie frisch saniert. Wenn die Erst- bis Drittklässler, die wie auch die Viertklässler wegen der Bauarbeiten gerade in eine Nachbarschule ausweichen, nach den Sommerferien wieder zurückkommen, sollen sie einen neuen Namen sehen: «Grundschule Kaßberg».

So wollen es zumindest Eltern und Lehrer. In der Schulkonferenz beschlossen sie Ende November 2011 einstimmig die Namensänderung. «Grundschüler der jetzigen Generation haben keinen Bezug mehr zu Pablo Neruda», schrieb Schulleiterin Martina Schwermer in der Begründung des Antrags, über den der Chemnitzer Stadtrat nun entschieden hat. Nur neun Stadträte befürworteten den Antrag, 37 stimmten dagegen, sechs enthielten sich.

Offener Brief von Künstlern

Die kommunistische Gesinnung von Neruda stand für die Gegner der Namensänderung  nicht im Vordergrund. «Die Benennung einer Schule nach einem der bedeutendsten Dichter dieser Erde ist nicht nur eine Würdigung des Künstlers, sondern sendet auch einen Reiz aus an die, welche täglich in die Schule hinein oder an ihr vorbei gehen», heißt es in einem von Chemnitzer Künstlern verfassten offenen Brief an die Stadträte.

Der Brief ist nach Angaben von Mit-Initiatorin Sabine Kühnrich inzwischen von mehr als 450 Menschen aus elf Ländern unterzeichnet worden. Kühnrich liegt Neruda besonders nahe: Seit Jahren arbeitet sie an einer deutschsprachigen Übersetzung des von Mikis Theodorakis als Oratorium vertonten Gedichtzyklus «Canto General» – im nächsten Jahr könnte es die Uraufführung in Chemnitz geben.

Pablo Neruda (1904-1973) war 1971 mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet worden. Während der Pinochet-Diktatur standen seine Bücher auf dem Index. Schulleiterin Schwermer begründete den Wunsch auf Namensänderung auch damit, dass Neruda angeblich «in der damaligen DDR bekannt gemacht wurde durch sein Engagement als Schriftsteller gegen die Militärdiktatur Pinochets in Chile». So intensiv scheint sie sich mit Neruda nicht befasst zu haben: Als Pinochet an die Macht kam, hatte der schwerkranke Poet nur noch zwölf Tage zu leben. TINO MORITZ, dpa
(24.4.2012, aktualisiert 25.4.)

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Claus-Ulrich Heinke
11 Jahre zuvor

Man kann nur den Kopf schütteln. Da trägt eine Schule den Namen eines der bedeutendsten Dichters der Welt und die Eltern und Lehrer (!!!) meinen, dass die Kinder keinen Bezug zu ihm haben. Erkennen die Lehrer hier keine Aufgabe? Erstaunlich. Oder habe sie selbst keinen Bezug zum dem großen Meister? Da ist doch hoffentlich nicht das letzte Wort gesprochen. Oder? Ich bin Dirigent und habe 2010 zu Ehren von Mikis Theodorakis 85. Geburtatag in Griechenland in Anwesenheit des Komponisten seine Vertonung des „Canto General“ dirigieren dürfen. Ich stehe leidenschaftlich hinter der Sprachgewalt, der Aussagekraft, der Naturliebe, der Heimatverbundenheit, dem Freiheitsethos und der großen Humanität des Dichters. In Theodorakis fand er einen adäquaten Partner. Führen Sie das den Kindern vor, lassen sie teilhaben an den rhythmischen Dingen und den herrlichen Melodien. Die Kinder werden es ihr Leben lang nicht vergessen. Sie legen Wurzeln, die wachsen werden. Also keine Scheu zu diesem wunderbaren programmatischen Namen für eine Schule.

Prof. Dr. Stiefel
11 Jahre zuvor

Die Absicht ist doch durchsichtig – antikommunistische Hysterie. Hat man doch auch 1990 in Sachsen Straßen umbenant, die nach Alexander Puschkin benannt waren, ebenfall einem der Großen der Dichtkunst des 19. Jahrhunderts nur weil er ein Russe war. Angesichts Krise und Kriegs muß die Vergangenheit ohne Rücksicht auf Bedeutung und Inhalte verteufelt werden. Wehren wir uns dagegen!

Dieter Bernecker
11 Jahre zuvor

Den beiden Kommentaren schließe ich mich an und füge noch hinzu: Lassen wir den Dichter sprechen: „Der Böse soll nicht den Guten töten und nicht der Gute den Bösen. Ich bin nur ein Dichter, nichts weiter, aber ich sage euch, ohne jeden Zweifel: es gibt keine guten Mörder.“
Ich hoffe, dass die Dummheit nicht siegt und der Name der Schule nicht „gemordet“ wird.