PCB – der vergessene Skandal? Noch immer lauert das Gift in Schulen

0

NEUSS. In einer Grundschule im rheinischen Neuss wurden vor elf Jahren erhöhte PCB-Werte gemessen und „mittelfristig“ eine Sanierung empfohlen. Das Gutachten geriet offenbar in Vergessenheit. Ein Einzelfall?

Das Umweltgift PCB lauert in Schulgebäuden aus den 70-er und 80-er Jahren - wie hier in Neuss. Foto: Priboschek
Das Umweltgift PCB lauert in Schulgebäuden aus den 70-er und 80-er Jahren - wie hier in Neuss. Foto: Priboschek

In Deutschland sind Polychlorierte Biphenyle, kurz PCB genannt, seit 23 Jahren verboten. Die giftige Chlorverbindung wurde vor allem in den 70-er Jahren im Bau verwendet. Das Gift steckt einem Bericht des „Südwestrundfunks“ zufolge zum Beispiel in den Kabelummantelungen der Haustechnik, in Lacken oder Betonfugen. Experten warnten auch heute noch vor den Altlasten der Giftstoffe in Betongebäuden. PCB gelange über die Atemwege in den Organismus und könne den Körper schwer schädigen, es gelte auch als krebserregend und erbgutschädigend.

Ende der 90-er Jahre schätzten Experten, dass bis zu einem Drittel aller Schulgebäude in Deutschland mit dem Umweltgift belastet sein könnten. Mittlerweile sind etliche der betroffenen Schulen saniert – aber wohl längst nicht alle. Vor allem Gebäude, deren Belastung seinerzeit als zeitweilig tolerabel angenommen wurde, dürften noch immer auf ihre Sanierung warten. Alles andere wäre bei einem unlängst vom Deutschen Institut für Urbanistik errechneten Investitionsstau von bundesweit 27 Milliarden Euro bei Schulgebäuden und Kindergärten ein Wunder.

Der aktuelle Fall einer bei der PCB-Sanierung offenbar „vergessenen“ Schule spielt im rheinischen Neuss. Dort, genauer: an der Dreikönigen-Grundschule, wurden einem Bericht der „Neuss-Grevenbroicher Zeitung“ zufolge bereits 2001 erhöhte PCB-Werte gemessen. In dem damaligen Gutachten wurde festgehalten, dass das Gebäude „mittelfristig“ zu sanieren sei. Davon könne nun, nach elf Jahren, ja wohl keine Rede mehr sein, sagt die Schulpflegschaftsvorsitzende heute. Nur durch einen Zufall habe sie überhaupt von dem alten Gutachten erfahren. Lehrer und Eltern seien in der ganzen Zeit nie ausführlich über die PCB-Belastung informiert worden. „Dabei hätte man die Werte durch Lüften und Putzen senken können. Aber wie sollte das geschehen, wenn keiner von dem Problem wusste?“, fragt die Schulpflegschaftsvorsitzende gegenüber dem Blatt. Sie fordert jetzt eine umgehende Sanierung oder Bereitstellung eines Ersatzgebäudes durch die Stadt.

Immerhin: Die Verwaltung hat reagiert – und wieder messen lassen. Bei der kürzlich erfolgten neuen Untersuchung an 38 Messpunkten in der Schule seien ausschließlich Werte festgestellt worden, die unter dem Grenzwert von 3000 Nanogramm pro Kubikmeter Raumluft gelegen hätten, heißt es. Allerdings: In einem Flur wurden 2133 Nanogramm gemessen. Ab einer Belastung von 3000 Nanogramm sind laut nordrhein-westfälischem Bauministerium unverzügliche Maßnahmen erforderlich.

Giftwirkung bei niedrigen Konzentrationen umstritten

„Während die Giftigkeit von PCB in hohen Konzentrationen unstrittig ist, ist die mögliche Giftwirkung in niedrigen Konzentrationen sehr umstritten. Für diesen Bereich fehlen genügend wissenschaftliche Studien und damit die wissenschaftliche Absicherung“, erklärt der Chemielehrer und PCB-Experte Hans-Joachim Gärtner. Dennoch bleibe festzuhalten, dass sich selbst bei niedrigen Konzentrationen ein hochwirksamer Giftstoff in der Umwelt des Menschen befinde, den es so weit wie möglich zu beseitigen gilt. Gärtner: „Aus diesem Grunde sollten nicht Hysterie oder Panikmache im Vordergrund stehen, sondern die Minimierung dieser Umweltgifte.“ Dabei sei zu berücksichtigen, dass Lehrkräfte mitunter über Jahrzehnte an einer Schule tätig seien. „Die PCB-Giftstoffproblematik ist zu lange bekannt und zu brisant, um einen Handlungsbedarf bei PCB-Konzentrationen oberhalb von 300 Nanogramm pro Kubikmeter Luft zu verneinen“, sagt der Experte.

Das sieht der Bürgermeister von Neuss, Herbert Napp (CDU), jetzt offenbar genauso. Wie er einem Bericht der „Westdeutschen Zeitung“ zufolge ankündigte, sollen nun auch die in gleicher Zeit wie die Dreikönigsschule entstandenen Gebäude von zwei benachbarten Schulen neu untersucht werden. Napp: „Sind die Werte entsprechend, werden wir die Sanierungskosten prüfen. Und dann vielleicht alle drei Schulen abreißen lassen.“ NINA BRAUN
(20.5.2012)

Zum Bericht: „Forscher schlagen Alarm: Pleite-Kommunen lassen Schulen verfallen“

Anzeige


Info bei neuen Kommentaren
Benachrichtige mich bei

0 Kommentare
Inline Feedbacks
View all comments