Interview: Jugendarmut: «Sie können sich nichts aufbauen»

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BERLIN. Jugendarmut ist nach Meinung der Bundesarbeitsgemeinschaft Katholische Jugendsozialarbeit ein unterschätztes Phänomen in Deutschland. Ohne individuelle Hilfen drohe vielen jungen Leuten lebenslang Hartz IV, warnt der Vorsitzende Simon Rapp im Interview.

Ist Arbeitslosigkeit der Hauptgrund für Jugendarmut?

Rapp: «Es ist oft ein Aufeinandertreffen unterschiedlicher Gründe. Schlechte Bildungsabschlüsse oder gar kein Schulabschluss, eine fehlende abgeschlossene Berufsausbildung, prekäre Beschäftigung. Dazu kommen häufig problematische Elternhäuser. Oft haben diese jungen Menschen in ihrem Leben nur wenig Anerkennung und Wertschätzung erfahren. Jugendliche mit ausländischen Wurzeln haben es bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz sogar noch schwerer. Ein Meyer wird eher eingestellt als ein Yilmaz.»

Woran liegt es noch?

Rapp: «Es ist diese Gleichgültigkeit unserer Leistungsgesellschaft. Jugendarmut wird oft pauschal abgetan mit Sätzen wie: „Wenn der sich anstrengen würde, könnte er auch was erreichen.“ Es ist kaum im Blick, dass diese jungen Menschen eine besondere Unterstützung brauchen, um nicht lebenslang Hartz-IV zu beziehen.»

Sie sagen, zwischen 14 und 27 Jahren herrscht die größte Armutsquote, verglichen mit allen anderen Lebensaltern. Aber ist das nicht logisch, weil es die klassische Zeit von Lehre oder Studium ist?

Rapp: «Im Prinzip ist das eine temporäre Armut, weil die Einkommen durch die Ausbildung nicht hoch sind. Aber es ist auch eine ganz wichtige Phase der Persönlichkeitsentwicklung. Es ist eine soziale und emotionale Herausforderung, wenn man nicht die selben Dinge wie Gleichaltrige machen kann, weil alles für den Lebensunterhalt draufgeht. Bei Hartz IV sprechen wir hier von maximal 300 Euro im Monat.»

Warum gibt es Jugendarmut vor allem in Städten?

Rapp: «Es lassen sich nur Hypothesen aufstellen. Junge Menschen, die in Schwierigkeiten stecken, wenden sich wohl eher Städten zu. In einem relativ anonymen Umfeld mit sozialen Brennpunkten kann man dazu eher in Armut abrutschen. Auf dem Land herrschen vermutlich noch andere soziale Komponenten, um junge Leute aufzufangen.»

Trifft das auch auf das ländliche Ostdeutschland zu? Da werden doch immer mehr Jugendeinrichtungen aus Geldmangel geschlossen, oder?

Rapp: «Das stimmt. Die Werte für Stadt und Land sind in Ostdeutschland auch relativ ähnlich – ähnlich hoch. In Westdeutschland schwankt es auffälliger zwischen Stadt und Land.»

Wie kann man das Thema Jugendarmut aus Ihrer Sicht angehen?

Rapp: «Wir brauchen eine Debatte darüber. Leider herrscht bei uns oft eine starre ökonomische Sicht vor. Man orientiert sich nicht an den Kompetenzen eines jungen Menschen. Sondern man schaut, was ihm fehlt, um ihn in ein vorhandenes System einzugliedern.»

Sie kritisieren, dass Jobcenter Jugendlichen die Bezüge streichen, wenn sie gegen Pflichten verstoßen. Aber ist das nicht verständlich – sozusagen als pädagogische Maßnahme?

Rapp: «Das Fatale ist, dass bei Jugendlichen das Geld sofort zu hundert Prozent gestrichen wird. Bei anderen Hartz-IV-Beziehern geschieht das stufenweise. Uns geht es um eine Angemessenheit – von der Anzahl der Bewerbungen pro Woche bis hin zu einer zumutbaren Arbeit. Wenn das nicht sensibel gemacht wird, wandern junge Leute von einer befristeten Stelle in die nächste. Sie können sich nichts aufbauen.»

Gab es denn gar keine Fortschritte in der jüngsten Zeit?

Rapp: «Das Bildungspaket, das Teilhabe an Sportvereinen oder kulturellen Aktivitäten vorsieht, geht in die richtige Richtung. Es ist noch viel zu bürokratisch und zu kurz gesprungen, aber der Ansatz war gut. Es bleibt aber ein Problem: Dieses Paket ist in erster Linie auf Kinder ausgerichtet, nicht auf junge Erwachsene.» ULRIKE VON LESZCZYNSKI, dpa

(16.6.2012)

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