Immer mehr Pflegekinder: Projekt «Haus mit Aussicht» betreut vernachlässigte Kinder

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FRANKFURT/MAIN. Seit eineinhalb Jahren kümmern sich in Frankfurt drei Familien um Kinder, die das Jugendamt in seine Obhut genommen hat. Das Besondere bei diesem «Haus mit Aussicht»: Geschwister werden nicht getrennt, sondern kommen immer gemeinsam in eine Gastfamilie.    

Sie wurden missbraucht, geprügelt oder einfach nur vergessen – hessische Jugendämter nehmen immer mehr Jungen und Mädchen in Obhut, weil die Eltern mit der Erziehung überfordert sind. In Frankfurt kümmern sich seit eineinhalb Jahren drei Pflegefamilien um diese Kinder und versuchen, ihnen mit dem Projekt «Haus mit Aussicht» eine Perspektive zu geben.

Immer mehr Kinder, hier mit Puppen nachgestellte Familien, müssen in Pflegefamilien leben. (Foto: Hegemony77 doll clothing/Flickr CC BY-NC-SA 2.0)
Immer mehr Kinder, hier mit Puppen nachgestellte Familien, müssen in Pflegefamilien leben. (Foto: Hegemony77 doll clothing/Flickr CC BY-NC-SA 2.0)

«Drei Mahlzeiten am Tag, das kennen viele Kinder gar nicht. Da gab’s immer nur Essen, wenn Geld da war», schildert Angelika Kurz die Zustände in vielen Problemfamilien. Sie und ihr Mann Gerhard arbeiten seit der ersten Stunde als Pflegeeltern für das «Haus mit Aussicht». «Ich sehe in den Eltern der Kinder, die das Jugendamt in unsere Obhut gibt, immer erst Mama und Papa, die aber im Moment Schwierigkeiten haben», meint sie.

Die fünf Kinder bei Familie Kurz sind zwischen vier bis neun Jahre alt. Sie stehen unter der Obhut des Jugendamtes und bleiben bis zu einem halben Jahr bei den Pflegeeltern. Danach können die Kinder bestenfalls zu ihren Eltern zurück – oder sie werden dauerhaft an eine Pflegefamilie vermittelt. Die leiblichen Eltern haben dabei weiterhin das Sorgerecht.

Diese hätten einen Antrag auf Erziehungshilfe gestellt – seien also damit einverstanden, dass sich Familie Kurz um die Kinder kümmert, erklärt Ute Khodakast. Sie ist Sozialpädagogin beim Jugendamt Frankfurt und arbeitet im Bereich Pflegekinderhilfe und Adoption. Ihre Bilanz nach eineinhalb Jahren: Es laufe sehr gut bisher, auch wenn man nicht alle Anfragen erfüllen könne. Denn «Kinder, die an Bereitschafts- oder Vollzeitpflegeeltern vermittelt werden müssen, gibt es leider immer».

Leo ist das jüngste der fünf Pflegekinder der Familie Kurz. Er spielt mit den anderen im Hof, kommt aber plötzlich angerannt und will etwas erzählen. Doch statt ganzen Sätzen kommen nur einzelne Worte aus seinem Mund – für einen Vierjährigen sei das nicht normal, meint Khodakast. Leo darf seine leiblichen Eltern in der Regel einmal in der Woche sehen. «Diese Woche haben wir uns dreimal zu Besuchen mit den Eltern der Fünf getroffen», erzählt Angelika Kurz.

«Wir schauen bei diesen Besuchen im Jugendamt wie die Eltern mit den Kindern umgehen», sagt Khodakast. Denn die Eltern der Kinder haben oft Alkohol- oder Drogenprobleme, Eheprobleme, sind psychisch krank oder mit den Kindern überfordert. Das Jugendamt der Stadt Frankfurt hat zurzeit 329 Kinder und Jugendliche unter seiner Obhut.

Initiiert hat das Projekt «Haus mit Aussicht» im Februar 2011 Sozialamt-Bereichsleiterin Christiane Steinwedel. Ihre Eindrücke damals: Es gibt immer mehr Eltern, die mit ihren Kindern aus unterschiedlichen Gründen nicht zurecht kommen. Steinwedel fragte sich, ob man diese Kinder nicht auch vermitteln könne, ohne sie von ihren Geschwistern zu trennen. Sie wollte damit die Trennung so angenehm wie möglich machen. Infrage kamen Familien, die Erfahrungen in der Kinderbetreuung hatten und die bereit waren, für das Projekt in ein größeres Haus zu ziehen. Denn Kinder brauchen Platz.

Immer wieder kommt es vor, dass sich bei den Gesprächen mit den leiblichen Eltern herausstellt, dass diese die Erziehung wieder selbst übernehmen können. Als nächstes stehen Gespräche der Familie Kurz mit der Mutter eines weiteren ihrer Pflegekinder an. «Die Mutter hat auch schon eine Idee, wie sie die Probleme daheim in den Griff bekommen will», meint Khodakast. Dann könnte sich Familie Kurz erstmal eine Pause gönnen. «Manche machen auch nur eine ganz kurze Pause», sagt sie und lächelt. Nina Nickoll/dpa

(26.7.2012)

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