Grundschüler gehen im Wald auf Entdeckungsreise

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KASSEL. Wald statt Klassenzimmer, laufen statt stillsitzen, entdecken statt pauken: An einer Kasseler Schule lernen Grundschüler beim Wandern. Das soll Aufmerksamkeit und Bewegungsgefühl steigern.

Kinder lernen im Wald; Foto: Gregor Sticker - Waldkindergarten Duesseldorf /Wikimedia Commons (CC BY-SA 2.0)
Kinder lernen im Wald; Foto: Gregor Sticker – Waldkindergarten Duesseldorf /Wikimedia Commons (CC BY-SA 2.0)

Zara und Chelsey suchen auf dem Waldboden nach Tannenzapfen und Blättern zum Basteln. «Heute behandeln wir das Thema Maus», sagt ihre Lehrerin Sonja Timmer. Auch echte Mäuse sind den beiden Grundschülerinnen aus Kassel schon im Wald begegnet. Fasziniert beobachten sie die kleinen Nager: «Was fressen Mäuse?», «Wo schlafen die?» und «Wie viel kann so eine Maus überhaupt essen?»

Statt Unterricht im Klassenzimmer macht die Klasse der Schule am Wall in Kassel mehrmals im Monat Wanderausflüge in den Habichtswald. Die Stadtkinder steigen auf Berge, klettern über Baumstämme oder schlendern eine Wiese entlang. Das Laufen über unebene Wege ist für viele eine völlige neue Erfahrung. «Ich falle oft hin», sagt Zara und zeigt auf ihre Hose. An den Knien hat sie zwei große Matschflecken. Schlimm findet die Achtjährige das nicht. «Die anderen helfen mir dann.» Obwohl der Weg ins Grüne nicht weit ist, verbringen die meisten der Erst- und Zweitklässler ihre Freizeit in der Wohnung. «Ich gehe eigentlich nur mit der Schule in den Wald», sagt Chelsey.

«Das Wandern kann für die Kinder am Anfang motorisch eine Überforderung sein», sagt Robert Gräfe. Der Erziehungswissenschaftler arbeitet an der Universität Marburg gerade an seiner Doktorarbeit zum Thema Schulreisen und Schulwanderungen. In Norwegen lernte Gräfe das Konzept der Uteskole kennen – einer Draußenschule, bei der die Schulkinder regelmäßig Wandern gehen. «Gerade draußen werden Lernprozesse angeregt», konstatiert er.

Diese Erfahrung macht auch Lehrerin Timmer. «Die Kinder gucken draußen genauer hin.» Statt etwas in einem Klassenraum auswendig zu lernen, machen die Schüler auf den Wanderungen ihre eigenen Erfahrungen. Daran knüpft die Lehrerin dann im Unterricht an. «Im nächsten Schuljahr werden wir wieder wandern gehen», sagt Timmer.

Auch andere Schulen in Hessen wagen sich ins Freie. In Frankfurt beispielsweise war an der Integrierten Gesamtschule Carl-von-Weinberg noch vor den Sommerferien ein Freiluftklassenzimmer eingeweiht worden. Es soll Sechstklässlern das Thema Architektur näherbringen.

Studien mit repräsentativen Ergebnissen zum Schulwandern gibt es nach Angaben von Gräfe noch nicht. «Es gibt viele Indizien dafür, dass Wandern die Motorik verbessert und sich das Sozialverhalten besser entwickelt», sagt er. An der Uni Marburg arbeitet er mit dem Deutschen Wanderverband zusammen und unterstützt dessen Projekt Schulwandern, bei dem sich Lehrer zu Schulwanderführern ausbilden lassen können.

Ziel sei es, das Wandern wieder stärker in den Schulalltag zu integrieren, sagt Gabi Diethers, Referentin für das Projekt Schulwandern beim Deutschen Wanderverband. «Wanderungen für Kinder sollen den Forschertrieb anregen.» Im Juni wurde das Projekt von der deutschen UNESCO-Kommission als «Offizielle Maßnahme der UN-Dekade für nachhaltige Entwicklung» ausgezeichnet. VERENA KOCH, dpa

(4.8.2012)

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