Nach Olympia gerät der Schulsport in die Kritik

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LONDON. Angesichts der durchwachsenen deutschen Bilanz bei den Olympischen Sommerspielen rückt die Sportförderung in den Mittelpunkt der Diskussion – und die Schule. Vor allem der Sportunterricht gerät in die Kritik.

Wie lassen sich Olympiasieger hervorbringen? Das Foto zeigt die australischen Silbermedaillen-Gewinnerinnen Kate Hornsey und Sarah Tait. Foto: Steve Selwood / Flickr (CC BY-NC-SA 2.0)
Wie lassen sich Olympiasieger hervorbringen? Das Foto zeigt die australischen Silbermedaillen-Gewinnerinnen Kate Hornsey und Sarah Tait. Foto: Steve Selwood / Flickr (CC BY-NC-SA 2.0)

Diskus-Olympiasieger Robert Harting setzte sich unmittelbar nach seinem Goldwurf im Londoner Olympiastadion mit der Nachwuchspflege auseinander. Er schoss laut „Welt online“ auch gegen die Fernsehsender, die außer Fußball kaum noch Sport zeigen würden. „Sie setzen unsere sportliche Zukunft aufs Spiel“, sagte der Berliner. „Auch Lehrer gucken Fernsehen und lassen ihre Schüler nur noch Fußballspielen“, meinte er, „dadurch geht viel Potenzial für Deutschland verloren.“

Noch deutlicher wurde der ehemalige Zehnkämpfer Jürgen Hingsen. „Wir müssen uns gravierende Gedanken machen“, sagte Hingsen dem Nachrichtensender N24. Er kritisierte insbesondere die eingefahrenen Strukturen der Förderungssysteme. „Die Sportler müssen eingebettet sein in ein System, in dem sie und die Trainer sich hundertprozentig auf ihren Sport konzentrieren können.“ Die Sportförderung müsse bereits in der Schule beginnen, um optimale Leistungen der Athleten zu ermöglichen, so Hingsen weiter. „Wir brauchen schon in der Schule viel mehr leichtathletische Schulwettkämpfe, das findet dort doch alles nicht mehr statt“, so der ehemalige Athlet.

Die ehemalige Hochsprung-Olympiasiegerin Ulrike Nasse-Meyfarth meinte in einem Beitrag für die „Welt“: „Nicht alles ist enttäuschend verlaufen, denn immerhin sind ja noch einige Medaillen herausgesprungen. Aber natürlich muss die Frage erlaubt sein, warum viele ihr Leistungsvermögen nicht abrufen konnten.“ In ihren Augen seien drei Punkte dabei ganz entscheidend: Zum einen müsse über eine gezielte Förderung schon zu Schulzeiten nachgedacht werden. Zum anderen sei ein laufbahnbegleitender Übergang in den Beruf wichtig. „Und letztlich müssen wir genau überlegen, wie die A-Kader ihre Vorbereitung auf Großereignisse wie Olympia gestalten und wohin die 130 Millionen Euro der Sportförderung des Bundes fließen.“

Zuerst gelte es, Talente davon zu überzeugen, sich in den Sport reinzuknien. Nasse-Meyfarth: „Wir müssen die Schulen dahin bringen, dass sie sich mit den Sportlern abstimmen und sich auf sie einlassen. Wenn Deutschland ein Sportland bleiben möchte, muss es diesen Weg konsequent gehen.“ Nach der Schule verzeichneten die Vereine  eine hohe Drop-out-Quote, weil viele Sportler mit Perspektive andere Prioritäten setzten. „Deswegen müssen wir ihnen aufzeigen, dass sie nach ihrer aktiven Zeit auch im Hinblick auf ihren Beruf gefördert und unterstützt werden.“ Ulrike Nasse-Meyfarth (56) wurde 1972 und 1984 Olympiasiegerin im Hochsprung.

Die für Leistungssport zuständige Vizepräsidentin des Deutschen Olympischen Sportbundes, Christa Thiel, würdigte die Rolle der Eliteschulen des Sports für die Nachwuchspflege. Es sei „besonders erfreulich, dass 104 Sportlerinnen und Sportler und damit 26,6 Prozent aller Mitglieder des Teams aktuelle oder ehemalige Eliteschüler des Sports sind. An diesen Einrichtungen wird schulische Bildung und parallel dazu sportliche Förderung ermöglicht.“ Thiel: „Hier erfolgt die Grundsteinlegung für eine duale Karriere, die Erfolg im Sport und im Beruf bedeutet.“

Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht (CDU), auch für Sport zuständig, will dagegen alle Schulen stärker einbeziehen. Wie die „Mitteldeutsche Zeitung“ berichtet, fordert er „eine Rückkehr der Talentesichtung an Schulen, wie es sie zu DDR-Zeiten gegeben hat“.

Britische Sportförderung – vorbildlich?

Der Aufschwung des britischen Sports gilt vielen als vorbildlich. Bei den olympischen Spielen von Atlanta 1996, als britische Sportler nur eine Goldmedaille gewannen, pumpten die Briten Milliardensummen in den Ausbau vom Spitzensport. Der britische Premier David Cameron kündigte an, die finanzielle Sportförderung in bestehender Höhe bis 2016 beibehalten zu wollen: jährlich rund 125 Millionen Pfund (rund 159 Millionen Euro) – 87 Millionen aus Lottogeldern, der Rest direkt von der Regierung.

Die neue Zusage sei eine «Belohnung für den Erfolg des außergewöhnlichen britischen Systems des Spitzensports», heißt es in einer Mitteilung der Downing Street. «Das Motto der Spiele war, eine ganze Generation zu inspirieren – nichts ist inspirierender, als unsere Spitzensportler Gold gewinnen zu sehen», wird Cameron zitiert. Es gebe eine direkte Verbindung zwischen Erfolgen im Spitzensport und der Bereitschaft bei der Jugend, selbst Sport zu treiben.

Als Gegenleistung für die großzügige Förderung müssen britische Spitzenathleten fünf Tage pro Jahr bereitstehen, um Schulsportprogramme zu unterstützen.

Gleichwohl hat laut „Tagesspiegel“ auch in Großbritannien eine Debatte über Schulsport begonnen: Labour-Chef Ed Miliband fordert, dass wieder zwei Stunden Sport in den Lehrplänen verbindlich vorgeschrieben werden. Premier Cameron will dem Bericht zufolge dagegen den Schulen mehr Freiheit geben und weniger Vorschriften machen, fordert aber wieder „mehr Kampfsportarten und weniger indisches Tanzen“ in den Schulen. Denn in den letzten Jahrzehnten seien von vielen Schulen Kampfsportarten aus dem Lehrplan gestrichen, weil Wettbewerbe von vielen Lehrern als pädagogisch nicht sinnvoll erachtet würden.

Auch in Österreich hat eine Debatte um den Schulsport begonnen – allerdings unter anderen Vorzeichen. Die österreichischen Sportler gewannen bei diesen Spielen keine einzige Medaille. Laut Nachrichtendienst „heute.at“ nehme die Krise laut einer Experten-Umfrage ihren Anfang bereits im Kindergarten. „Kein Sport im Kindergarten, kein Sport in der Volksschule, kein Sport in der Pflichtschule“, beklagt etwa Volleyball-Präsidenten Peter Kleinmann. „Die Schulmisere in Österreich ist auch eine Schulsportmisere“, bemängelte Otmar Weiß vom Zentrum für Sportwissenschaft und Universitätssport in Wien, das schlechte Abschneiden Österreichs bei PISA im Blick. NINA BRAUN

(13.8.2012)

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sofawolf
11 Jahre zuvor

Ehrlich gesagt frage ich mich ja, wozu das überhaupt WICHTIG sein soll: Da kann jemand schneller laufen als andere, weiter springen, weiter werfen, schneller schwimmen etc. Na und? Welches unserer viel gravierenderen Menschheitsprobleme wird dadurch gelöst? Klar, das ist hübsch anzuschauen und dient vielleicht auch der Völkerverständigung. Aber nun lasst uns wieder zur Tagesordnung zurückkehren? Es gibt noch Millionen Menschen, die hungern oder von Hunger bedroht sind, die kein Dach übern Kopf haben und keine Arbeit … (Und warum soll es unbedingt Deutschland sein, das gewinnt? Ist doch egal, wer gewinnt. Der oder die Beste eben.)

pfiffikus
11 Jahre zuvor

Das Zauberwort unserer Zeit heißt Wachstum. Alles strebt nach immer neuen Rekorden. Dieses Denken ist bei uns tief verankert und reicht von der frühkindlichen Förderung über das Abitur nach 8 Jahren, dem dreijährigen Bachelor-Studium bis zu den Bilanzen der Wirtschaftsunternehmen oder immer höheren Besucherzahlen bei diversen Freizeitveranstaltungen.
Dieser Logik folgend passen der Sport und ganz besonders Großveranstaltungen wie die Olympischen Spiele wunderbar
in dieses System. Die Frage nach der Sinnhaftigkeit dieser Großereignisse stellt sich deshalb für die Verantwortlichen überhaupt nicht. Ihr Denken konzentriert sich allein auf die Frage, wie Deutschland in 4 Jahren eine bessere Bilanz als in London vorlegen kann. Offensichtlich gibt es in dieser Hinsicht einen staatenübergreifenden Konsens, denn alle Länder, die bei Olympia vertreten sind, wollen dort möglichst gut abschneiden.
Der französische Baron Pierre de Coubertin verfolgte bei der Neubelebung der Olympischen Spiele im Jahre 1896 eigentlich Ziele, die m.E. heute jedoch nur noch bedingt gelten. Nach Meinung von de Coubertin hat Sport eine große Bedeutung für die geistige und körperliche Entwicklung der jungen Menschen. Da frage ich, ob er damit wohl auch den heutigen Hochleistungssport meint, bei dem doch inzwischen die chemischen Labore oder die Genforschung genauso wichtig sind, wie Erkenntnisse aus der Trainingslehre. Für Ruhm und dicke Werbeverträge sind Athletinnen und Athleten sogar bereit, ihre Gesundheit aufs Spiel zu setzen. Gibt es evtl. in diesem Punkt eine gewisse Paralle zu den antiken Spielen, die auch langsam an Faszination verloren, weil dort immer häufiger betrogen wurde? Für lebenslangen Ruhm waren die Athleten bereits damals bereit, viel zu investieren.
Solange es aber uns ZuschauerInnen gibt, die den mittlerweile in gewisser Weise pervertierten Hochleistungssport „konsumieren“ und junge Menschen sich diesem Leistungswahn in der Hoffnung auf Ruhm, Ehre und evtl. auch viel Geld verschreiben, wird es heißen: „The show must go on!“