Forscher: Deutschland scheitert beim Fördern von Begabungen

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MÜNSTER (Mit Leserkommentar). Viele Talente bleiben in Deutschland unentdeckt, weil nicht gezielt nach ihnen gesucht wird. Das schade den Betroffenen wie der Allgemeinheit, findet der Begabungsforscher Christian Fischer.

"Auch begabte und leistungsstarke Schüler brauchen eine ihnen angemessene Unterstützung." Foto: Abdullah Al-Naser / Flickr (CC BY 2.0)
„Auch begabte und leistungsstarke Schüler brauchen eine ihnen angemessene Unterstützung.“ Foto: Abdullah Al-Naser / Flickr (CC BY 2.0)

Deutschland verschenkt nach Expertenansicht das bei vielen Schülern vorhandene Potenzial, zu Spitzenkräften und Führungspersönlichkeiten zu werden. «Zur Zeit wird die Begabung eines Kindes in Deutschland im sportlichen oder intellektuellem Bereich oft nur rein zufällig entdeckt», sagte der Experte für Begabungsforschung von der Universität Münster, Christian Fischer. Andere Länder wie zum Beispiel Südkorea würden durch ihre systematische Begabungsförderung dagegen immer stärker an Boden gewinnen.

Daher sollte Deutschland endlich damit beginnen, Schüler gezielt und flächendeckend auf Begabungen zu untersuchen, riet der Professor vor Beginn einer internationalen Tagung von Begabungsforschern in Münster. «Eine Möglichkeit wäre es, bei Schuleintritt in der ersten und fünften Klasse alle Kinder auf ihre speziellen Begabungen zu überprüfen.» Darauf aufbauend könnten begabte Schüler besonders gefördert werden. «Wenn Menschen ihre Begabungen entfalten können, werden sie nicht nur wertvoller für die menschliche Gemeinschaft, sondern steigern auch ihr individuelles Lebensglück.»

Auch begabte Schüler brauchen Unterstützung

Sicherlich seien die Vorbehalte vor solchen Untersuchungen noch groß. «Begabungsförderung hat für viele in Deutschland ein gewisses Geschmäckle von Elite-Forschung», erklärte Fischer. Aber gerade bei Kindern aus sozialen Randgruppen blieben Talente und Begabungen oft unerkannt. «Auch begabte und leistungsstarke Schüler brauchen eine ihnen angemessene Unterstützung», sagte Fischer. Möglich sei dies allerdings nur, wenn das deutsche Schulsystem stärker auf selbstständiges Lernen setze.

Ein Grund, warum Begabungen bei Kindern oft nicht erkannt werden würden, sei die vorherrschende Vorstellung des hochbegabten Überfliegers und Alleskönners. «Auch bei einem einzelnen Kind kann eine Paarung von Stärken und Schwächen auftreten», sagte Fischer. So sei es zum Beispiel nicht ungewöhnlich, dass Kinder mit Lese-Rechtschreib-Schwäche besonders begabt in Mathematik seien. «Das könnte daran liegen, dass das Kind hervorragend visuell-räumlich denken kann und hauptsächlich darüber lernt. Dafür kann es dann aber sein, dass sein verbal-akustisches Lernen weniger entwickelt ist.»

Fischer ist Vorstandschef des Internationalen Centrums für Begabungsforschung an der Universität Münster. Bei der Tagung dort werden sich von diesem Mittwoch an rund 1000 Wissenschaftler und Experten aus 40 Ländern über die neuesten Forschungsergebnisse austauschen. MARIE KLEINE; dpa
(9.9.2012)

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Carsten Haertl
11 Jahre zuvor

„Andere Länder wie zum Beispiel Südkorea würden durch ihre systematische Begabungsförderung dagegen immer stärker an Boden gewinnen.“ heißt es im Artikel. Mit Blick auf die Fakten könnte man die Sache auch schonungslos formulieren: In allen Bildungsvergleichstudien wie PISA, TIMS, etc. schneiden die deutschen Schüler nur noch im Mittelfeld ab. Und die südkoreanischen Schüler liegen seit Jahren vor den Finnen und Japanern an der Spitze. Dasselbe Ranking findet man übrigens auch bei Berufs- und Facholympiaden, Preisen in internationalen Musikwettbewerben, inländischen Patentanmeldungen etc. Also auch im musisch-kreativen Bereich sind die Koreaner und andere Nationen seit langem weit vor den deutschen. Von wegen „immer stärker an Boden gewinnen“.

Carsten60
2 Jahre zuvor

Das Erkennen von Begabungen ist das eine, aber man muss ja dann auch entscheiden, was nun mit den als begabt erkannten Kindern konkret geschehen soll. Und da herrscht nun mal die Ideologie vor, dass jedes „Sortieren“ ganz schlecht ist (Begabtenklassen? Igittigitt), sondern dass die Begabten in inklusiven Schulklassen mit vielen weit weniger Begabten bitteschön mehr Sozialkompetenz erwerben sollen. Und da geraten sie dann auch mal „unter die Räder“, wenn die Lehrer gar keine Zeit haben sich um sie hinsichtlich ihrer spezifischen Begabung zu kümmern.
Bei all diesen Programmen für Begabungsförderung fiel mir auf, dass immer viel von Weiterbildung der Lehrkräfte geredet wird und von Psychologen, die da mitwirken sollen, aber nie davon, was die begabten Kinder denn nun konkret anders machen sollen als die anderen. Zudem steht auch die Begabtenförderung heute unter der Überschrift „Inklusion“. Man könnte den Verdacht haben, dass sie einer Werbung für diese Inklusion dienen soll, wo doch die eigentliche Inklusion mächtig in die Kritik geraten ist („mit den vorhandenen Ressourcen nicht realisierbar“). Und das Thema scheint auch Phrasendrescher anzuziehen.