Kantinenexperte: „Schulessen wird oft als unwichtig abgetan“

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BERLIN. Zu viele Amateure, Billigkultur und mangelnde Hygiene: Nach den rätselhaften Massenerkrankungen durch Brechdurchfall kritisiert Ernährungswissenschaftler Volker Peinelt die Schulessen-Verpflegung.

Frisch geschmierte Brötchen neben Schmutzwasser: Die Hygienezustände in vielen deutschen Schulküchen sind nach Ansicht des Ernährungswissenschaftlers Volker Peinelt haarsträubend. Peinelt ist Professor an der Hochschule Niederrhein. Nach vielen Studien zum Schulessen fordert er nicht nur die Professionalisierung und Zertifizierung von Großküchen. Er verlangt auch ein besseres Management der Kommunen. «Die Leute haben entweder keine Ahnung oder sind hoffnungslos überfordert», sagte er.

Ein bischen was hat sich doch getan: So ähnlich sah eine Kantine in der ehemaligen DDR aus, hier nachgestellt im Industriemuseum Brandenburg. (Foto: Judith74/Flickr CC BY-NC-SA 2.0)
Ein bischen was hat sich doch getan: So ähnlich sah eine Kantine in der ehemaligen DDR aus, hier nachgestellt im Industriemuseum Brandenburg. (Foto: Judith74/Flickr CC BY-NC-SA 2.0)

Brechdurchfall bei mehr als 10 000 Kindern und Jugendlichen, vermutlich durch Essen von Großküchen. Haben Sie damit gerechnet?

Peinelt: «Das habe ich schon längst erwartet. Ich finde selten eine Schule, in der es einen vernünftigen Hygieneplan gibt. Es ist mir schleierhaft, wie die durch die öffentlichen Kontrollen kommen. Offensichtlich wird das alles als völlig unwichtig abgetan. Es liegt aber auch an den Anbietern.»

Wo sehen Sie Fehler bei den Anbietern?

Peinelt: «Wir brauchen eine Professionalisierung der Branche. Es geht nicht, dass sich da Laien und Amateure tummeln, die Essen für wenig Geld anbieten. Das müssen Profi-Firmen sein, die ihre Leute entsprechend ausbilden.»

Und wie sollte es aus Ihrer Sicht besser laufen?

Peinelt: «Es geht um die beste Art der Zubereitung. Wir nennen das Temperatur-Entkopplung. Dabei wird das Essen in regionalen Zentralküchen erst fast zu Ende gegart und dann weit runtergekühlt oder tiefgekühlt. Erst unmittelbar vor dem Verzehr wird es dann wieder erhitzt und zu Ende gegart. Dann ist es so gut wie frisch. Dafür brauchen Schulen, Kitas oder Horte nur eine Aufbereitungsküche mit einem Heißluftdämpfer. In 10 bis 15 Minuten ist das Essen fertig – und frisch. Und man schafft das für 4,50 Euro pro Portion. Das Hauptsystem in Deutschland ist aber die Warmverpflegung. Da werden Mahlzeiten vier bis sechs Stunden gewärmt, das schmeckt nicht nur schlimm. Oft wird das Essen nicht richtig bei 65 Grad heiß gehalten. Da lauert dann zusätzlich eine Bakterien-Gefahr.»

Viele Eltern träumen vom frisch gekochten Essen aus der Schulküche.

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Peinelt: «Solche Frischkost wird immer wieder gefordert. Das würde aber ein massives Aus- und Weiterbildungsprogramm erfordern. Das schaffen wir nicht. Es ist auch nicht finanzierbar. Es gibt keinen Verzehrzwang an unseren Schulen. Manchmal geben sie da nur 50 Essen aus. Das würde bei Frischkost rund 10 Euro pro Portion bedeuten.»

Was läuft beim Thema Schulessen schief in der Politik?

Peinelt: «Die Politik müsste sich dazu bekennen, dass es nur ein gutes System gibt – eben die Temperatur-Entkoppelung. Aber das tut sie leider nicht. Sie tut so, als ob man alles machen könnte.»

Was empfehlen Sie noch?

Peinelt: «Eine verpflichtende Zertifizierung. Auch bei den Profi-Küchen muss man kontrollieren. Das kostet nur einen Cent pro Essen mehr. Man muss auch sagen, dass es sehr gute Firmen gibt. Doch selbst bei denen muss manchmal nachgebessert werden. Auf Anhieb schaffen die Wenigsten eine Zertifizierung. Die anderen bemühen sich gar nicht erst, weil das ja freiwillig ist.»

Gucken die Kommunen beim Schulessen zu sehr auf den Preis?

Peinelt: «Ja. Ich habe gerade wieder die Ausschreibung einer Stadt gesehen. Sie gab beim Schulessen vor, zu 60 Prozent nach den Preis zu schauen und zu 40 Prozent nach der Qualität. Und mit Qualität meinten sie allein den Geschmack. Die Leute haben entweder keine Ahnung oder sind hoffnungslos überfordert. Sie müssten ein komplettes Qualitätsprogramm fordern. Wir verlangen nicht nur die Vollwertigkeit des Essens. Wir fordern eine Verkostung und wir wollen auch eine Akzeptanz-Befragung der Schüler und ein Beschwerdesystem. Damit meine ich keinen Zettelkasten, sondern ein Management.»

Der Interviewpartner: An der Hochschule Niederrhein beschäftigt sich Peinelt seit Jahren mit der Qualität des Schulessens. Bei Schulen stieß Peinelt mit dem kostenlosen Angebot, das Essen zu checken, bisher kaum auf Resonanz. In sieben Städten interessierten sich nur 35 Schulen. «Dieses Thema wird links liegen gelassen und als völlig unwichtig eingestuft», kritisiert der Professor. Auch bei Studien für Diplom- und Bachelorarbeiten seien Schulen mit ihrem Essensangebot reihenweise durchgefallen. dpa

(4.10.2012)

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