Mädchen beim Lesen vorn, Jungen beim Rechnen – Rollen festigen sich

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BERLIN. Besorgniserregend nennt der Verband Bildung und Erziehung (VBE) die geschlechtsbezogenen Unterschiede: Jungen rechnen besser, Mädchen können dagegen besser lesen und schreiben. Diese Befunde werden vom Vergleich von Leistungen der Viertklässler in Deutschland bestätigt, den das Institut für Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) im Auftrag der Kultusministerkonferenz vorgenommen hat.

Jungen basteln, Mädchen backen: Illustration von 1953. Bild: libertygrace0 / Flickr (CC BY 2.0)
Jungen basteln, Mädchen backen: Illustration von 1953. Bild: libertygrace0 / Flickr (CC BY 2.0)

Insbesondere die Defizite der Jungen beim Lesen führten dazu, dass Jungen bei der Schullaufbahn sichtbare Nachteile bei der Empfehlung für das Gymnasium hätten, meint der VBE. Daher sollte stärker als bisher die Lesemotivation der Jungen gefördert werden.

Für den Kompetenzbereich Lesen ergibt sich ein Kompetenzvorsprung zugunsten der Mädchen von im Schnitt 24 Punkten.  Im Fach Mathematik liegt der Kompetenzvorteil der Jungen in Deutschland insgesamt bei 16 Punkten. 60 Punkte entsprechen dem Lernfortschritt eines Schuljahres. Die Autoren der Studie kommen zu dem Schluss, „dass gezielte Förderung im Primarschulbereich zur Reduktion geschlechtsbezogener Kompetenzunterschiede nach wie vor erforderlich ist. Diese sollte sich im Fach Deutsch auf die Stärkung der Lesekompetenz und die Unterstützung der Entwicklung der orthografischen Kompetenz der Jungen richten“. Im Fach Mathematik wiesen die Ergebnisse darauf hin, „dass eine gezielte Förderung der Mädchen insbesondere die Bereiche Muster und Strukturen sowie Größen und Messen in den Blick nehmen sollte“.

„Unterschiede nicht zu sehr in den Vordergrund rücken“

Allerdings warnen die Bildungsforscher davor, geschlechtsbezogene Unterschiede in der Unterrichtsgestaltung oder durch besondere  Förderprogramme zu sehr in den Vordergrund zu rücken. „Dies könnte zu einer verstärkten Stereotypisierung der Mädchen und der Jungen führen, die der tatsächlichen Heterogenität der Schülerinnen und Schüler nicht gerecht wird. Denn Geschlechtergerechtigkeit bedeutet nicht nur, Jungen wie Mädchen im schulischen Kontext gleiche Chancen einzuräumen und ihnen die bestmögliche Förderung zukommen zu lassen, sondern auch, Stereotype abzubauen“, so heißt es in der Studie.

Mädchen sollten sich nicht einreden lassen, dass sie schlechter rechnen können als Jungen. Denn sonst bewahrheitet sich dieses Vorurteil am Ende tatsächlich. «Das ist wie eine self-fulfilling prophecy», sagt auch Carmen Ruffer vom Kompetenzzentrum Technik-Diversity-Chancengleichheit. Hinzu komme, dass auch Lehrkräfte Kinder oft in klischeemäßigen Rollen sehen. Schließlich glauben die Mädchen selbst daran. «Es wird zum Selbstbild der Mädchen.»

Dagegen helfe, die Mädchen schon früh und spielerisch an Mathe heranzuführen. So  könnten Lernspiele den Spaß an Mathe wecken. Wichtig sei, dass Frauen den Mädchen als Vorbilder dienen, sagt Ruffer. So könnten Mütter zum Beispiel bei den Mathehausaufgaben helfen.  Eine weitere Möglichkeit: der getrennte Mathe-Unterricht. «Mädchen fühlen sich nicht nur in der Zuschauerrolle, wenn sie unter sich sind», erklärte Ruffer. Eltern können den getrennten Unterricht bei den Grundschulen anregen. Auch Zusatzangebote wie Mathe-AGs, in denen die Mädchen unter sich sind, können den Unterricht sinnvoll ergänzen.

Um vor allem Jungen besser ans Lesen heranzuführen, sollten sich Väter am Vorlesen für ihre Kinder beteiligen, empfiehlt Simone Ehmig, Leiterin des Instituts für Lese- und Medienforschung der Stiftung Lesen. Besonders für die Söhne sei das wichtig. Für sie sei Lesen sonst sehr weiblich geprägt: Mütter, Erzieherinnen, Grundschullehrerinnen – in ihrer Welt lesen meist nur Frauen. Zu ihrem eigenen Rollenbild gehört Lesen dann nicht dazu. «Väter müssen als Vorbild aktiv werden», fordert Ehmig.

Wenn Jungs sich mit dem klassischen Buch nicht locken lassen, bieten sich auch andere Medien, zum Beispiel E-Book oder Zeitschriften. «Über Technikangebote gibt es ein Einfallstor, Jungs anzusprechen», erklärt Ehmig. Wird aus dem staubigen Buch plötzlich ein cooler E-Reader, wird das Lesen attraktiver und bekommt bei den Jungen ein besseres Image.  Auch Zeitschriften werden von Jungen akzeptiert und können zum Lesen motivieren, denn sie bieten kürzere Texte und mehr Themen. Die Medienvielfalt macht’s. bibo / mit Material von dpa

(6.10.2012)

Hier ist die IQB-Studie vollständig oder in einer Zusammenfassung herunterladbar.

Zum Bericht: „Grundschul-Ranking: Bayern ist spitze. Doch was nützt die Erkenntnis?“

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2 Kommentare
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Reinhard
10 Jahre zuvor

Warum ist das besorgniserregend, lieber VBE, was man seit Jahrzehnten weiß? Ich finde es an der Zeit, dieses Stereotyp der angeblichen Gleichartigkeit endlich abzulegen. Es stimmt eben nicht.

mehrnachdenken
10 Jahre zuvor

„Insbesondere die Defizite der Jungen beim Lesen führten dazu, dass Jungen bei der Schullaufbahn sichtbare Nachteile bei der Empfehlung für das Gymnasium hätten, meint der VBE.“

In der Regel entscheidet der Elternwille über die zukünftige Schulform. Das ist mittlerweile bundesweit politisch wohl so gewollt. Diese Entscheidung bedeutet für viele HS das Ende. Auch der VBE ist für diese Entwicklung mit verantwortlich.

Für das so genannte „gemeinsame Lernen“ brauchen die SchülerInnen auch keine Empfehlung mehr.