Mehr Aufmerksamkeit für Blinde – „Tag des weißen Stockes“

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ERFURT/MÜLHAUSEN/GERA. Zum „Tag des weißen Stockes“ wollen Blindenverbände weltweit für die Situation blinder und sehbehinderter Menschen zu sensibilisieren – und mehr Akzeptanz zu erreichen. 

Mit Hilfe von Screenreadern können auch Blinde Texte am Bildschirm lesen. Foto: privat

Der 15. Oktober ist der «Tag des weißen Stocks» – und damit für Verbände, Selbsthilfegruppen und Institutionen Anlass, auf die Belange blinder Menschen und deren Recht auf ein selbstständiges Leben aufmerksam zu machen. Zu den Hauptproblemen der Sehbehinderten zählen weiterhin die oftmals mühselige oder erfolglose Suche nach Jobs und die unzähligen Stolperfallen in Gebäuden.

Der Behindertenbeauftragte der Thüringer Landesregierung, Jürgen Dusel, ist selbst stark sehbehindert. «Kommunikation und Mobilität sind die wichtigsten Faktoren für ein selbstständiges Leben», sagt er. Dank neuer Technik verbessere sich die Mobilität von Betroffenen. Spracherkennungssoftware etwa ermögliche einen souveränen Umgang mit neuester Computertechnik.

Barrierefreiheit gibt es auch für Blinde

Barrierefreiheit sei ein wichtiges Thema, und das meint nicht nur die Rampe für Rollstuhlfahrer. Sehbehinderte müssten sich im Alltag mit vielen Hindernissen herumschlagen, sagt Dusel. Im Straßenverkehr seien sie auf deutliche akustische Ansagen angewiesen, etwa ob ein Bus um die Ecke biege oder welche Haltestelle die nächste sei.

Surfen im Internet? «Websites müssen so gestaltet sein, dass Vorlesesysteme sie problemlos wiedergeben können», erzählt er. Da heißt: Möglichst kein langer Fließtext, wenige Bilder und eine geringe Anzahl von Menüpunkten wären ideal.

Etwa 17 000 Blinde und Sehbehinderte gibt es nach Schätzungen des Blinden- und Sehhilfeverbands in Thüringen. Ein Großteil von ihnen ist nach Angaben des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes älter als 65 Jahre. Der Paritäter geht sogar von etwa 5000 Blinden und fast 15 000 Sehbehinderten im Freistaat aus.

Im Blinden- und Sehbehindertenverband sind rund 1400 Mitglieder organisiert. Dieser Fachverband bietet seit mehr als 40 Jahren auch Hilfe in sozialen und rechtlichen Fragen. Ein enges Netz an Selbsthilfegruppen und der Kontakt zu anderen Leidensgenossen ist immens wichtig, wenn das Augenlicht schwindet oder nicht mehr vorhanden ist. «Das muss in die Köpfe», sagt der Vorsitzende des Thüringer Verbandes, Joachim Leibiger. Es gehe nicht nur um bauliche, sondern zuallererst um geistige Barrieren, die abgebaut werden müssten. «Es geht um den Umgang mit uns und die Akzeptanz unserer Probleme», meint Leibiger.

Die Integration von behinderten Kindern im Schulunterricht sei deshalb wichtig. Nach Angaben des Bildungsministeriums in Erfurt besuchen im Freistaat mittlerweile bereits 80 von 144 sehschwachen und blinden Schülern normale allgemeinbildende Schulen.

pdf-Format bremst Vorleseprogramme aus

Wenn Steffen Humenda, einer von zwei blinden Richtern in Thüringen, im Internet recherchiert, kommt es auf das richtige Suchwort, genaue Links oder die richtige Suchmaschine an. Der Jurist arbeitet am Landgericht Mühlhausen mit einer Vorlesekraft. Nach seinen Worten drohen ihm nun im «elektronischen Rechtsverkehr», der in der Justiz gerade auf eine gesetzliche Grundlage gestellt werde, neue Hürden. Textdateien in pdf-Dateien beispielsweise könne das Blindenlesegerät nicht verarbeiten. Humenda befürchtet auch, dass teure technische Nachrüstungen notwendig werden.

Der Mühlhäuser geht allein einkaufen und bewältigt viele Dinge des Alltags ohne fremde Hilfe. Große Städte bieten seiner Meinung nach bessere Bedingungen für Blinde und Sehschwache – auch zum Arbeiten. Als Beispiel nennt er die «sprechende Straßenbahn» in Erfurt. In Mühlhausen müsse er noch ohne Ansage die richtige Bushaltestelle finden.

Die berufliche Integration ist Sache des Berufsfortbildungswerkes Würzburg. In der Erfurter Niederlassung wurden in den vergangenen vier Jahren ein gutes Dutzend Späterkrankte in einen neuen Job vermittelt. Trainiert würden Arbeitsabläufe und spezielle Software-Kenntnisse, sagt Integrationsberaterin Karola Meißner. Das Bundesarbeitsgericht Erfurt, ein Call-Center und die TÜV-Akademie hätten davon schon profitiert. Vier Sehbehinderte bereiteten sich auf ihre Rückkehr ins Berufsleben vor. Gute Teilnehmer seien auch gut vermittelbar.Ein Computerprogramm, das Texte vorliest, macht auch blinden oder sehbehinderten Menschen Die menschliche Wahrnehmung läuft zu 80 Prozent über das Auge. Blinde oder Sehbehinderte können im Alltag schnell an ihre Grenzen kommen: Wie am Automaten Geld abheben oder im Internet surfen?

Technische Hilfsmittel sind wichtige Begleiter im Alltag

«Einige Menschen sind sehr gut integriert, kommen zurecht und haben gelernt sich zu orientieren», berichtet der Geschäftsführer des Blinden- und Sehbehindertenverbands Brandenburg, Joachim Haar. Andere seien völlig hilflos und könnten mit Hilfsmitteln nichts anfangen. Doch die erleichterten den Alltag, wenn sie richtig gehandhabt werden. Vom Taschenrechner bis zum Fieberthermometer gebe es viele Gerät auch für Sehbehinderte. Spracherkennung zum Beispiel bei Smartphones sei für Blinde kein Schnickschnack. «Das Gerät scannt Barcodes beim Einkaufen, liest die Zeitung vor und verrät, welcher Bus als nächster kommt», erklärt Haar.

Für den Verband ist es auch wichtig, den Dialog zwischen Blinden und Sehbehinderten und Normalsehenden zu fördern. Dazu gehöre auch der gemeinsame Unterricht, sagt Haar. Vor 2018 sei aber nicht mit konkreten Plänen zur Integration von Sehbehinderten zu rechnen, hieß es vom Ministerium.

In Brandenburg gibt es in Königs Wusterhausen bundesweit die einzige Förderschule, an der betroffene Jugendliche alle regulären Schulabschlüsse erwerben können: von der mittleren Reife bis zum Abitur. «Mit Hilfe von Computern schreiben die Schüler das reguläre Zentralabitur mit», sagt Schulleiter Fred Oelschläger. Programme lesen die Aufgaben vor, geschrieben wird auf einer Tastatur.

Nach dem Landespflegegesetz erhalten Blinde in Brandenburg ein monatliches Pflegegeld in Höhe von 266 Euro. An Betroffene, die noch nicht das 18. Lebensjahr vollendet haben, gehen monatlich 133 Euro. dpa

(13.10.2012)

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