Skandal in Krippe: Erzieherinnen fesseln Kinder zum Mittagschlaf

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ALTENBURG. Mullbindenfesseln und Tücher auf das Gesicht: Nicht gerade zimperlich gingen drei thüringische Erzieherinnen mit Kindern ihrer Einrichtung um. Mittlerweile sind die Frauen entlassen und die Staatsanwaltschaft wird voraussichtlich ermitteln.

Erzieherinnen einer Kinderkrippe im thüringischen Altenburg haben mindestens drei ihrer Schützlinge mittags zum Einschlafen festgebunden. Wegen Kindeswohlgefährdung wurden die drei Frauen fristlos entlassen. «Sie haben die Kinder beim Schlafen eingewickelt und zugeschnürt, damit sie ruhig bleiben», sagte die zuständige Fachdienstleiterin des Landkreises Altenburger Land, Marion Fischer. «Sie haben ihnen auch Tücher aufs Gesicht gelegt.» Der Vorfall ruft nun das Kultusministerium auf den Plan. Anfang kommender Woche werden sich Fachleute vor Ort informieren, wie das passieren konnte, sagte Ministeriumssprecher Gerd Schwinger. Er sprach für Thüringen von einem «gravierenden Einzelfall».

Sogenanntes Pucken, bei dem kleinen Kindern die Arme eng an den Körper gelegt und sie dann in eine Decke eingewickelt werden, sei legitim, erklärte Behördenleiterin Fischer. In diesem Fall seien die Kinder aber zusätzlich mit Mullwindeln fixiert worden.

Fesseln ist nicht dasselbe wie das sogenannte Pucken.  Foto: My aim is true / Flickr (CC BY 2.0)
Um Kinder ruhig zu stellen haben die Erzieherinnen die Kinder gefesselt. Foto: My aim is true / Flickr (CC BY 2.0)

«Wir sind völlig geschockt, dass so etwas in unserer Einrichtung passieren konnte», sagte der Geschäftsführer der örtlichen Volkssolidarität, Volker Kibisch. Sie ist Träger des Kindergartens. Das Pucken sei nur erlaubt, wenn die Erzieher in unmittelbarer Nähe der Kinder blieben und die Decke wieder lösten, nachdem sich die Kinder beruhigt hätten, erklärte er. Die Kleinen hätte die Tücher auf ihren Gesichtern – etwa wenn sie husten müssen – nicht herunterziehen können. Im schlimmsten Fall hätten sie seiner Einschätzung nach sogar ersticken können.

Praktikantin erzählte ihrem Lehrer von den Vorfällen

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Die Missstände wurden zufällig von einer Schülerin aufgedeckt, die im Oktober in dem Kindergarten ein Praktikum absolvierte. Ihre Lehrer hätten den Träger informiert und dieser wiederum in dieser Woche das Landratsamt. Die drei Frauen, langjährige Erzieherinnen im «Spatzennest», hätten die Vorwürfe eingeräumt, sagte Kibisch. Inzwischen sei Anzeige gegen sie erstattet worden. Über den Fall hatte am Freitag zuerst die «Osterländer Volkszeitung» berichtet.

Wie lange diese rabiate Praktik in dem integrativen Kindergarten mit insgesamt 162 Schützlingen Usus war und wie viele Kinder genau betroffen sind, blieb zunächst unklar. Die nun bekanntgewordenen Fälle betreffen eine Gruppe mit 16 Kindern im Alter von null bis zwei Jahren. Auf Fotos seien drei Kinder zu sehen, die derartig gefesselt wurden. Nur eines davon, das noch nicht einmal ein Jahr alt sei, habe identifiziert werden können. «Wir haben den Eltern psychologische Betreuung angeboten», sagte Kibisch.

Eine Anweisung, die Kinder auf diese Weise ruhig zu stellen, habe es nicht gegeben, beteuerte Kibisch. Das Vorgehen der drei Frauen sei auch zuvor nicht aufgefallen, da die Kinder in einem separaten Schlafraum ihre Mittagsruhe hielten. Zudem habe es keinen Anlass gegeben, den gestandenen Erzieherinnen zu misstrauen. Immerhin: Körperlich verletzt seien die Kleinen trotz des Vorgehens ihrer Erzieherinnen nicht, betonten Amt und Träger unisono.

Ministeriumssprecher Schwinger sagte, dass das Verhalten der Erzieherinnen den Grundsätzen der Kinderbetreuung und frühkindlichen Bildung im Freistaat widerspreche. Es habe sich aber gezeigt, dass der Krisenmechanismus funktioniere: Landratsamt und Eltern seien rasch vom Träger informiert und Konsequenzen gezogen worden. Andreas Hummel/dpa

(16.11.2012)

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9 Kommentare
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Reinhard
11 Jahre zuvor

Nicht mal 2 Jahre alt sind diese Kinder! Was geschieht anderswo, wo keine Praktikantin dabei ist?? Im Westen muss die Kleinkindbetreuung unbedingt schnell weiter ausgebaut werden ….

mehrnachdenken
11 Jahre zuvor

@ Reinhard
Liegt Thüringen nicht in der ehemaligen DDR? Helfen Sie mir bitte: Welchen Zusammenhang gibt es zwischen Ihrem Kommentar und dem Artikel?
Übrigens habe ich zum Ausbau der Kleinkindbetreuung eine grundsätzlich andere Meinung. In meinem Bekanntenkreis leidet eine Mutter aus der ehemaligen DDR noch heute darunter, dass sie ihr Kind nach einem halben Jahr in eine staatliche Krippe geben musste.
Sind Ihnen Forschungsergebnisse zur Kleinkindbetreuung bekannt? Der renommierte kanadische
Entwicklungspsychologe Gordon Neufeld spricht davon, dass Kinder nicht vom Staat, sondern von ihren Eltern erzogen werden sollten. Unter http://www.familie-ist-zukunft.de können Sie Aussagen des Wissenschaftlers auf Youtube sehen. Ebenfalls finden Sie unter der genannten Internet- Adresse einen Beitrag mit der Überschrift „Experten schlagen Alarm: Staat zahlt Prämien für Kindesvernachlässigung. Krippensubvention als ‚Fernhalteprämie‘ von der Elternliebe.“
Genau das ist der Punkt. Der politische Diskurs über die frühkindliche Betreuung dreht sich fast ausschließlich um die Erwachsenen (Vereinbarkeit zwischen Familie und Beruf oder der Arbeitsmarkt braucht die gut qualifizierten Frauen), aber ganz selten wird die Frage gestellt, was für ein Baby und Kleinkind in den ersten Lebensjahren am wichtigsten ist.

ein

sofawolf
11 Jahre zuvor
Antwortet  mehrnachdenken

Hm, eine Mutter MUSSTE zu DDR-Zeiten ihr Kind in eine Krippe geben? Was soll damit gemeint sein? Der Staat zwang sie dazu??? Das ist doch Quatsch! Vielleicht „musste“ sie, um arbeiten gehen zu können, weil sie alleinstehend war und wäre lieber zu Hause bei ihrem Kind geblieben? Das kann schon sein. Aber daran ist nicht die DDR schuld und nicht die Krippe. Wissenschaftliche Studien kann man bekanntlich „in jede Richtung“ finden. Je nachdem, wer sie in Auftrag gegeben hat. Das wissen wir doch alle. Sie kennen eine Mutter, die darunter litt, ihr Kind in eine Krippe gegeben zu haben; was meinen Sie, wie viele Frauen darunter leiden, dass sie zu Hause bleiben müssen, weil sie keinen Krippenplatz finden?

mehrnachdenken
11 Jahre zuvor
Antwortet  sofawolf

@ sofawolf
Haben Sie meine Hinweise vom 23.11. zur frühkindlichen Betreuung gelesen?
In der seriösen Wissenschaft und Kinderpsychologie ist kaum noch umstritten, dass die frühkindliche Betreuung beim Baby oder Kleinkind Stresshormone wie bei einer Misshandlung freisetzen kann. In den Kitas müssten schon sehr ideale Bedingungen herrschen wie z.B. ein ganz enger Betreuungsschlüssel oder selten wechselnde Bezugspersonen. Das ist jedoch aus finanziellen Gründen nicht machbar.
Dass Kindererziehung in der ehemaligen DDR vor allem ideologisch ausgerichtet war, werden Sie ja wohl nicht betreiten wollen.
Ich verweise in meinem Beitrag vom 23. Nov. auf den Artikel „Experten schlagen Alarm: … .“ Viele der UnterzeichnerInnen stammen aus den neuen Bundesländern. Zufall?

mehrnachdenken
11 Jahre zuvor

@ Reinhard
Kann es sein, dass der letzte Satz eher als sarkastische Anmerkung zu interpretieren ist?

Reinhard
11 Jahre zuvor
Antwortet  mehrnachdenken

ja.

mehrnachdenken
11 Jahre zuvor

Irgendwie sollte die Redaktion einmal die Uhrzeit überprüfen. Ich habe meinen Beitrag um ca. 22.45 h abgeschickt.

sofawolf
11 Jahre zuvor

Mein Beitrag, siehe oben.

sofawolf
11 Jahre zuvor

@ mehrnachdenken

Doch, Ihren Beitrag vom 23.11. habe ich gelesen. Darauf bezog ich mich. Es ist aber nicht wahr, was darin steht, nur weil es da steht! Ich habe eben eine andere Meinung dazu. Die frühkindliche Bildung in den Kindergärten und Kinderkrippen in der DDR diente sicherlich auch der ideologischen Beeinflussung, keine Frage, aber sie diente vor allem auch, den Müttern das Arbeiten zu ermöglichen (die Gründe dafür wiederum sind eine andere Diskussion). Dass die ideologische Beeinflussung in der frühkindlichen Bildung nicht so erfolgreich gewesen sein kann, zeigt doch bestens die „friedliche Revolution“ in der DDR 1989 oder die Wahlen 1990, denn da war der Mehrheit die DDR keinen Pfifferling mehr wert. Was „viele“ (=> Unterzeichner) zu bedeuten hat, darf man auch hinterfragen. Oder wie viel Prozent der ehemaligen DDR-Bevölkerung machen diese „vielen Unterzeichner aus den Neuen Ländern“ denn aus? Machen Sie mal eine repräsentative Umfrage. Auf die Ergebnisse bin ich gespannt.