TIMSS und IGLU: Mehr Migrantenkinder – Leistung gehalten

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BERLIN. Die Leistungen der Viertklässler stagnieren seit 2001. Dennoch sehen die Kultusminister einen Erfolg bei den Schulleistungsstudien TIMSS und IGLU – weil es unter den Grundschülern heute mehr Migrantenkinder gibt.

Rund ein Viertel mehr Kinder aus Einwandererfamilien als vor zehn Jahren gibt es heute in den Grundschulen. Foto: VinothChandar / Flickr (CC BY 2.0)
Rund ein Viertel mehr Kinder aus Einwandererfamilien als vor zehn Jahren gibt es heute in den Grundschulen. Foto: VinothChandar / Flickr (CC BY 2.0)

An den deutschen Grundschulen ist die Welt noch in Ordnung – zumindest was die durchschnittlichen Schülerleistungen im weltweiten Vergleich angeht. Die Zehnjährigen aus der Bundesrepublik schaffen es beim Lesen, im Textverständnis, in Mathematik und Naturwissenschaften auf der internationalen Leistungsskala knapp ins obere Drittel. Doch die in Berlin präsentierten neuen Studien IGLU und TIMSS zeigen erneut auch die bekannten deutschen Schwächen auf: zu viele Risikoschüler, zu wenig Spitzenleister und nach wie vor eine extrem hohe Abhängigkeit von Bildungserfolg und sozialer Herkunft.

Seit einigen Jahren haben die Kultusminister auch die deutschen Grundschulen mit einer Fülle von Reformen überzogen: Mehr frühkindliche Bildung bereits im Kindergarten, mehr Sprachförderung an allen Grundschulen – wenn auch von Land zu Land mit völlig verschiedenen Konzepten und recht unterschiedlicher Qualität. Zudem gibt es mehr Ganztags-Grundschulen. Seit 2004 haben verschiedene Bundesländer ihren Grundschulklassen regelmäßig landesweite Vergleichsarbeiten (VERA) verordnet. Und seit 2008 wird schließlich bundesweit und flächendeckend nach einem einheitlichen Konzept der Kultusminister getestet. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) spricht von «Testeritis mit zweifelhaftem Nutzen», die Schulminister dagegen von einem notwendigen «Mittel der Qualitätssicherung».

Die aktuellen IGLU- und TIMSS-Untersuchungen von 2011 sollten denn nun auch einen ersten Aufschluss geben, wie weit die bundesweit eingeleiteten Reformen greifen und ob die Kultusminister mit ihrem Reformkonzept auf dem richtigen Weg sind. Doch in der wichtigsten Kernkompetenz für das Lernen, dem Lesen und dem Textverständnis, sackten die Viertklässler aus Deutschland diesmal mit ihren Leistungen gegenüber der letzten IGLU-Untersuchung von 2006 leicht ab, erreichten aber wieder das Ausgangsniveau von 2001.

„Ein Erfolg der Schulpolitik“

Der deutsche IGLU-Chef Prof. Wilfried Bos vom Institut für Schulentwicklungsforschung der TU Dortmund sieht in dem «Halten des Leistungsniveaus über zehn Jahre hinweg» im Lesen wie auch in Mathematik und Naturwissenschaften gleichwohl einen Erfolg der Schulpolitik. Der Schulforscher wie auch der KMK-Präsident, der Hamburger Schulsenator Ties Rabe (SPD), geben dabei zu Bedenken, dass in den deutschen Grundschulen heute 27 Prozent der Kinder einen Migrationshintergrund haben – fast ein Viertel mehr als noch 2001. Vor diesem Hintergrund sieht Bos in der Stagnation der deutschen Gesamtleistungen «keinen Grund zur Klage».

Gleichwohl bleiben hier Fragen offen. Denn die Schulleistungen der zehnjährigen Migrantenkinder sind zwischen 2001 und 2011 erfreulich gestiegen. Über 80 Prozent gaben bei der IGLU-Untersuchung an, dass bei ihnen zu Hause «immer oder fast immer» deutsch gesprochen werde. Bos: «Der ganz große Teil der Migranten ist integrationswillig.» Und auch eine aktuelle IAB-Studie zeigt, dass seit dem neuen Einwanderungsgesetz von 2005 erheblich weniger ungelernte Zuwanderer in die Bundesrepublik kommen, dafür aber deutlich mehr Akademiker mit ausländischem Pass.

Trotz dieser positiven Entwicklung bei den Migrantenkindern gilt der Anteil der «Risikoschüler» insgesamt an den deutschen Grundschulen nach wie vor als zu hoch: Mehr als jeder sechste Zehnjährige kann nicht richtig lesen oder Texte verstehen. Und gar jeder fünfte Viertklässler hat im Heimatland des Rechenkünstler Adam Riese auch mit einfachen Mathematikaufgaben erhebliche Probleme. Im Nachbarland Niederlande ist das nur gut jeder zehnte – bei einer ähnlichen Migrantenstruktur.

Allerdings geht die Bundesrepublik im europäischen Vergleich auch besonders knauserig mit seinen Grundschulen um. Nur 0,6 Prozent des deutschen Bruttoinlandsproduktes (BIP) fließen laut IGLU in die «Primäre Bildung», die ersten, für das weitere Lernen so wichtigen Bildungsjahre. In England sind dies gar 1,7 Prozent, in Belgien 1,5, in den Niederlanden 1,3 und in Finnland 1,2. KARL-HEINZ REITH, dpa

(11.12.2012)

Zum Bericht: „TIMSS und IGLU vorgestellt: ‚Grundschullehrer leisten gute Arbeit“‘

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