Hart, aber lustig – Neue Glossen der Lehrerin Gabriele Frydrych

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BERLIN. Gabriele Frydrych, Berliner Lehrerin und Autorin von Glossen aus dem Lehreralltag, hat ein neues Buch herausgebracht – ihr mittlerweile drittes. Schon der  Titel ist nicht frei von Ironie: „Die Dümmsten aus meiner Klasse sind Lehrer geworden!“ – so kennt man es von ihr. Leseprobe gefällig?

Frech. Der Titel des neuen Buches von Gabriele Frydrych.
Frech. Der Titel des neuen Buches von Gabriele Frydrych.

Ein Traumjob!

In „Hart, aber fair“ geht es um die Arbeitsbelastung und Streikbereitschaft von Ärzten. Gegen Ende der Sendung verliest die Assistentin Zuschauer-Mails. Ein junger Mann schreibt, sein Vater sei Landarzt und arbeite in der Woche 80 Stunden. Er selber arbeite als Dorfschullehrer nur 30 Stunden pro Woche, verdiene aber mehr als sein Vater. Die Diskussionsrunde schaut verdutzt. Die Assistentin lächelt: „Das steht hier wirklich!“

Wo ist diese Schule? In einem Sprengel auf der schwäbischen Alb? In Bayern hinter den sieben Bergen? In einem Funkloch im Thüringer Wald? Im „Tal der Ahnungslosen“ im Erzgebirge? Ich will sofort dahin! Da scheint die Welt noch in Ordnung zu sein! Kein Internetsignal, kein Privatfernsehen verdirbt das Familienleben. Lehrer und Pfarrer haben das Zepter noch fest in der Hand und die Jugend im Griff. Die Erwachsenen beugen das Haupt, wenn sie dem Lehrer begegnen. Sie bringen ihm Geselchtes und Selbstgebrannten. Die Schüler hacken sein Holz und jäten sein Unkraut.

Sozialisationsarbeit wird von Großfamilie, Karnevalsverein und Schützengilde geleistet. Jugendliche lallen abends nicht vorm Spätkauf rum, sondern engagieren sich im Fanfarenzug und bei der Freiwilligen Feuerwehr. Nur in so einer Umgebung könnte ein Lehrer eventuell mit fünf Arbeitsstunden pro Werktag auskommen… Bei den paar Dorfschülern hat er nicht viel zu korrigieren. Ausführliche Elterngespräche und zeitintensive Konferenzen entfallen. Als Ich-Team fasst er sämtliche Beschlüsse mal kurz beim Bergwandern oder Pilzesuchen. Dieser Dorflehrer braucht in seiner Idylle keine Gewerkschaft, die für ihn Tarifverhandlungen führt und Altersermäßigung erkämpft.

Mein Mann grinst: „So ein Dorf gibt es höchstens bei Asterix und Obelix.“ Das bringt mich noch mehr ins Grübeln. Ist der junge Lehrer aus „Hart, aber fair“ ein Lebenskünstler, ein Zauberer? Schickt er Problemschüler einfach zu seinem Vater, dem Landarzt? Kein Wunder, dass der so überlastet ist. Vielleicht ist der junge Mann ein fauler Sack und es hat nur noch niemand gemerkt, dass sich in seinem Keller die Klassenarbeiten stapeln? Oder bei ihm greift endlich die neue anspruchsvolle Lehrerausbildung? Spitzenkräfte an der Uni vermitteln magische Methoden und didaktische Geheimrezepte, die das Lehrerleben so erleichtern,  dass man nur noch gefühlte 30 Stunden arbeitet?

Schade, dass ich als Studentin solchen pädagogisch-didaktischen Superhirnen nie begegnet bin. Im Gegenteil, ich hatte das Gefühl, dass sich einige geradezu panisch an die Uni geflüchtet hatten, um ja nicht im Schulalltag zu landen – wo neuerdings mein Neffe arbeitet. Als Grundschullehrer in Berlin-Mitte. Er berichtet – als Berufseinsteiger noch halbwegs amüsiert – von seinen Erlebnissen, etwa von Eltern, die hilflose oder überhaupt keine Erziehungsversuche unternehmen.

„Oguz hat immer dunkle Ringe unter den Augen? Weil er mit seinen älteren Brüdern bis 24 Uhr fernsieht? Das ist typisch mein Sohn! Er weiß genau, dass er um 21 Uhr ins Bett soll!“ Eine andere Familie wird gewarnt, dass ihr überalteter Viertklässler auf dem besten Weg in den Jugendknast ist. Die Mutter antwortet nicht ohne Stolz: „Ist gut so, da wird er ein richtiger Mann!“

Mein Neffe bringt seinen Schülern Dinge bei, für die früher mal Eltern oder Geschwister zuständig waren: Fahrradfahren. Eine ganze Drehung ohne umzufallen oder gegen eine Wand zu torkeln. Rückwärts laufen, Schnürsenkel binden, Nase putzen. Eine Schere, eine Gabel und einen Stift richtig halten. Er berichtet von einem Schüler, der in der Pause einen anderen anpinkelt. Und von einer Familienhelferin, die dazu meint: „Wir müssen uns fragen, was Malcolm damit zum Ausdruck bringen will!“

In der Klasse meines Neffen sind fünf Kinder mit offiziell anerkanntem Förderbedarf. Und weitere zehn, die eine Anwartschaft auf diesen Status hätten, wenn ihre Eltern am selben Strang wie die Lehrer ziehen würden. Der Kollege, der zur Unterstützung für die Förderkinder eingesetzt ist, wird vom Schulleiter häufig zum Vertretungsunterricht geschickt. Mein Neffe googelt, beamt und white-boarded nur so. Kopiert stapelweise fürs individuelle Lernen, bastelt Diktate, je nach Fehlerschwerpunkt der einzelnen Kinder. Hat im Lehrerzimmer 24 leere Keksdosen, für jeden Schüler eine. Bei der „Keksdosenmethode“ bekommen die Kinder 20 laminierte Sätze. Jeder andere! Wenn sie einen fehlerfrei abschreiben können, werfen sie den Streifen in ihre Keksdose. Dieses Wegwerfen soll ungemein motivieren! Das ist nur eine der genialen Methoden, die mein Neffe beherrscht. Nebenbei schreibt er Förderpläne, Elternbriefe, Anträge für Klassenfahrten, Wandertage und Projekte. Rennt zu Fortbildungen auf der Suche nach dem ultimativen Ratgeber für verhaltensoriginelle Schüler wie Paul (11): „Nee, mach ick nich, schreib ich nich ab. Is  mein  Leben!“  Mein Neffe ist verzweifelt, dass Berlin trotz all seiner Anstrengungen bei einem Leistungsvergleich der Viertklässler auf dem letzten Platz gelandet ist.

„30-Stunden-Woche? Ein Lehrer???“ Mein Neffe zeigt mir einen Vogel. „Dass ich nicht lache. Dieser Leserbrief bei ‚Hart, aber fair’ war fingiert. Von einem Neidbürger, vermutlich einem Landarzt, der immer noch an den tollen Lehrer-Halbtagsjob glaubt!“ GABRIELE FRYDRYCH

Das Buch ist bei „Books on Demand“ erschienen, kostet 11,90 Euro und ist zum Beispiel hier erhältlich.

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3 Kommentare
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John
11 Jahre zuvor

Sehe ich das richtig und die Autorin hat hier selbst eine Rezension verfasst?!
*LOL*

Birke
9 Jahre zuvor

Diesen Traumjob gibt es wirklich! Ich arbeite am Gymnasium in Zwiesel, da passt die Beschreibung der Dorfschule ganz gut. Nur zu empfehlen.