Förderschulen abschaffen: Was Rot-Grün in Niedersachsen bei der Bildung plant

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HANNOVER. Der neue niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) will zwar Schluss machen mit dem seit Jahrzehnten tobenden Streit um Schulstrukturen, wie er in seiner Regierungserklärung betonte. Dennoch wird sich für die landesweit rund 868.000 Schüler an allgemein bildenden Schulen mittelfristig einiges ändern.

Der neue Ministerpräsident von Niedersachsen, Stephan Weil, hat klare bildungspolitische Ziele. Foto: Ralf Roletschek / Wikimedia Commons (CC BY 3.0)
Der neue Ministerpräsident von Niedersachsen, Stephan Weil, hat klare bildungspolitische Ziele. Foto: Ralf Roletschek / Wikimedia Commons (CC BY 3.0)

Nach dem Machtwechsel in Niedersachsen kommt Bewegung in die Schullandschaft. Ziele der rot-grünen Regierung sind nach eigenem Bekunden, für mehr Chancengerechtigkeit zu sorgen und den Druck aus den Schulen zu nehmen. Fragen zur neuen niedersächsischen Bildungspolitik – und Antworten aus bisherigen Verlautbarungen.

Wird Rot-Grün die Gesamtschulen bevorzugen?

Die neue Regierung schafft Weil zufolge die Voraussetzungen dafür, dass die Schulen angeboten werden, die Eltern und Kommunen wollen. Die «Diskriminierung von Gesamtschulen» soll beendet werden, für eine Neugründung müssen nicht mehr so viele Anmeldungen nachgewiesen werden wie bisher. Beim Ganztagsausbau werden Gesamtschulen laut Koalitionsvertrag «vorrangig» berücksichtigt, weil dort das pädagogische Konzept auf den Ganztag ausgerichtet ist.

Will die neue Regierung das sogenannte Turbo-Abitur nach zwölf Jahren wieder abschaffen?

An Gesamtschulen soll wieder das Abitur nach neun Jahren eingeführt werden. Für Gymnasien sieht die Koalition eine Wahlmöglichkeit vor. Die Schulen sollen sich mit den Trägern für ein Abitur nach zwölf oder 13 Jahren entscheiden. Der niedersächsische Philologenverband, die Interessenvertretung der Gymnasiallehrer, hat sich vor einer Woche für viele überraschend für die Rückkehr zum Abitur nach 13 Jahren ausgesprochen. «Die guten Schüler, etwa 30 Prozent, schaffen es mühelos nach zwölf Jahren, aber 70 Prozent haben Probleme», sagte Verbandspräsident Horst Audritz.

Wie sollen Druck und Stress aus den Schulen genommen werden?

Die Regierung will laut Weil «gemeinsam mit den Schulen prüfen, welche Möglichkeiten für eine Entkrampfung des Schulalltags bestehen». Im Koalitionsvertrag ist von einer geringeren Schülerzahl pro Klasse und neuen Formen bei der Leistungsbewertung die Rede. Sitzenbleiben und eine Rückstufung etwa vom Gymnasium zur Realschule sollen durch individuelle Förderung überflüssig gemacht werden. Am Ende der Grundschule will Rot-Grün die förmliche Empfehlung abschaffen. In der ersten bis vierten Klasse können die Zensuren auch durch Lernentwicklungsberichte ersetzt werden.

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Kein Sitzenbleiben, möglicherweise keine Noten in der Grundschule: Wird das Niveau an niedersächsischen Schulen sinken?

CDU-Fraktionschef Björn Thümler warnte im Landtag vor einer «gefährlichen Ideologie der Leistungsfeindlichkeit», die rot-grüne Bildungspolitik führe «ins blanke Chaos». Auch der Vorsitzende des konservativen Philologenverbandes Audritz betonte: «Noten gehören dazu. Leistung muss sich lohnen.» Dagegen begrüßte die eher linksgerichtete Bildungsgewerkschaft GEW die Reformen. Präzise Rückmeldungen wie «Du strengst dich toll an, aber es reicht noch nicht» könnten Schülern besser helfen als starre Noten, sagte GEW-Chef Eberhard Brandt. An Integrierten Gesamtschulen sind bereits jetzt erst ab der 9. Klasse Noten verpflichtend.

Was passiert mit den Förderschulen?

Im Koalitionsvertrag heißt es: «Die rot-grüne Regierung wird die Förderschulen im Dialog mit allen Beteiligten schrittweise in die bestehenden allgemeinen Schulen überführen.» Im Klartext bedeutet das die Abschaffung von Förderschulen. Hintergrund ist die Umsetzung der Inklusion, des gemeinsamen Unterrichts von behinderten und nicht-behinderten Kindern. Die Linie der alten Regierung war, dass Förderschulen parallel angeboten werden, weil manche Eltern ihre Kinder mit Handicap besser auf einer Förderschule aufgehoben sehen.

Welche finanziellen Spielräume gibt es für die Reformen?

Viele Formulierungen im Koalitionsvertrag – etwa zur Klassengröße oder zu mehr Erziehern in Kitas – sind vage. Die rot-grüne Regierung will Bildung zu einem Kernthema machen. Fraglich ist, welche finanziellen Spielräume Kultusministerin Frauke Heiligenstadt (SPD) hat. In der Erwiderung auf Weils Regierungserklärung sagte CDU-Fraktionschef Thümler: «Mit fünf Milliarden Euro pro Jahr haben CDU und FDP zuletzt über 1,2 Milliarden Euro mehr für den Schulbereich ausgegeben als zu SPD-Zeiten vor 2003.» Die Lehrerverbände pochen darauf, alle Gelder im Bildungssystem zu lassen und bei zurückgehenden Schülerzahlen keine Stellen abzubauen. CHRISTINA STICHT, dpa

(25.2.2013)

Zum Bericht: Niedersachsen löst bundesweiten Zoff ums Sitzenbleiben aus

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3 Kommentare
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wetterfrosch
11 Jahre zuvor

Zitat: „Präzise Rückmeldungen wie «Du strengst dich toll an, aber es reicht noch nicht» könnten Schülern besser helfen als starre Noten, sagte GEW-Chef Eberhard Brandt.“
Kaum zu fassen, wie realitätsblind diese Gewerkschaft immer wieder ist. Solche Rückmeldungen sind doch niederschmetternd für jeden Schüler. Schlechte Zensuren nehmen sich dagegen „gnädig“ aus.
Hinter der Verteufelung von Zensuren muss etwas anderes stecken als scheinheilige Kinderfreundlichkeit.

mehrnachdenken
11 Jahre zuvor

@ wetterfrosch

„Realitätsblind“ nach Ihrer Meinung und auch meiner und weiterer user bei News4teachers. Aber bei vielen Lehrkräften kommt das doch prima an. Wieso ist diese Gewerkschaft denn sonst so stark in den Gremien vertreten?
Analog zu dem Satz „Jedes Volk bekommt die Regierung, die es verdient“, könnte es heißen, „Die Lehrkräfte bekommen die Vertretung, die sie verdienen“.

Christian Möller
11 Jahre zuvor

“Die Lehrkräfte bekommen die Vertretung, die sie verdienen”.
Völlig richtig!!!
Ich verstehe die Lehrer schon lange nicht mehr. Voll falsch verstandenem Fortschrittsglauben laufen sie immer weiter auf den Abgrund zu und fühlen sich dabei noch edel und gut.
Nichts gegen Fortschritt, aber man muss schon mit Blindheit oder mangelndem Selbstbewusstsein geschlagen sein, wenn man auf jeden irrwitzigen Zug aufspringt, der die pädagogische Landschaft zerstört.