Lehrerverband warnt: Schüler schlucken zu viele Pillen

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MÜNCHEN. Werden Schulkinder in Deutschland gegen Lernstress regelrecht gedopt? Der Lehrerverband BLLV hat vor steigendem Medikamentenmissbrauch bei Schülern gewarnt – und damit das bayerische Kultusministerium und Eltern gegen sich aufgebracht.

Das ADHS-Medikament Methylphenidat, besser bekannt unter dem Markennamen Ritalin, wird immer öfter in Deutschland verschrieben. Foto: ADHD Center / Flickr (CC BY-NC 2.0)
Das ADHS-Medikament Methylphenidat, besser bekannt unter dem Markennamen Ritalin, wird immer öfter in Deutschland verschrieben. Foto: ADHD Center / Flickr (CC BY-NC 2.0)

Der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnen-Verband (BLLV) warnt vor einem zunehmenden Medikamentenmissbrauch bei Schülern. Jedes fünfte Grundschulkind sei therapiebedürftig, viele nähmen Medikamente zur Beruhigung und zur Leistungssteigerung, kritisierte BLLV-Präsident Klaus Wenzel. Er verwies in diesem Zusammenhang auf eine neue Studie im Auftrag des Bundesfamilienministeriums und der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS). Bayerischer Elternverband und KAS protestierten: Diese Aussage gehe aus der Studie nicht hervor. Allerdings heißt es in einem unlängst von der Barmer BEK veröffentlichten Arztreport, dass immer mehr Kinder in Deutschland – vor allem Jungen – „befristetes Schuldoping“ in Form von Psychopharmaka gegen ADHS bekämen.

Für viele Kinder gehöre der Griff zur Tablette zur Normalität, sagte Wenzel. Vom Kultusministerium forderte er Maßnahmen, um den Leistungsdruck an Schulen abzubauen. Unterricht bedeute für viele Kinder Stress, Überforderung und Angst vor schlechten Leistungen. «Damit sie diesem Druck standhalten können, werden sie regelrecht gedopt», erklärte Wenzel. Der Konsum von Medikamenten führe jedoch weiteren Versagensängsten und schädige das Selbstwertgefühl der Kinder. Gerade an Grundschulen sei der Druck hoch, weil sich viele Eltern zu sehr auf den Übertritt ans Gymnasium konzentrierten und immer weniger Bedenken hätten, die Leistungen ihrer Kinder notfalls mit Tabletten zu verbessern.

Das Kultusministerium und der Bayerische Elternverband (BEV) verwahrten sich gegen die Vorwürfe. Bayerns Schulen «fördern und fordern die Schüler, aber sie überfordern sie nicht», betonte das Ministerium. Für jedes Kind gebe es individuelle Fördermöglichkeiten; die Gesundheitsvorsorge spiele eine große Rolle. «Dass Eltern ihre Kinder gegen diesen Stress mit Pillen füttern, können wir nicht bestätigen», teilte die BEV-Landesvorsitzende Maria Lampl mit. Das gehe auch aus der Studie nicht hervor. Eltern gingen verantwortungsvoll mit der Gesundheit ihrer Kinder um. Allerdings sei auch aus Eltern-Sicht der Schulstress «unerträglich», betonte Lampl und widersprach damit dem Ministerium.

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Die Studie kommt unter anderem zu dem Ergebnis, dass Eltern mit dem Schulsystem unzufrieden sind, sich mehr individuelle Förderung ihrer Kinder und kleinere Klassen wünschen sowie Schule immer öfter als Reizthema innerhalb der Familie empfinden. Das Familienleben wird der Studie zufolge aus Sicht der Eltern durch den gestiegenen Leistungsdruck geprägt. Wenzel appellierte an Eltern, Kindern dabei zu helfen, eine starke Persönlichkeit zu entwickeln. Dazu gehöre auch, «über ausreichend unverplante Freizeit verfügen zu können». dpa

(26.2.2013)

Zum Bericht: „Studie: Elternarbeit wird für Lehrer immer anstrengender“

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1 Kommentar
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Nathalie
11 Jahre zuvor

Diese ach so fürsorgliche Warnerei vor zu vielen Pillen wäre lobenswert, wenn nicht zu deutlich durchschimmerte, dass der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnen-Verband (BLLV) sie nur als Vorwand benutzt, um das bayerische Schulsystem mal wieder als kinderfeindlich durch zu hohe Leistungsansprüche an den Pranger zu stellen.
Dass Kinder heutzutage zu viele Pillen (insbesondere Ritalin) schlucken, ist kein typisch bayerisches Problem, sondern ein allgemeines.
Was ist dieser BLLV für ein seltsamer Verein? Wer zieht hier im Namen von Lehrern und Lehrerinnen die Strippen?
Keine Verleumdung lässt dieser Klüngel aus, um Bayerns Schulen ähnlich leistungsfeindlich zu machen wie im übrigen Bundesgebiet, vor allem in den sozialistisch regierten Bundesländern wie Hamburg, Bremen oder NRW.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass Bayerns LehrerInnen wirklich hinter den scheinheiligen Aktionen stehen.