Pädagoge: Zur Abschaffung des Sitzenbleibens fehlen noch geeignete Lehrer

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KARLSRUHE. Der Pädagogik-Professor  Johann Beichel spricht von einer „anthropologischen Wende“ in den Schulen. Sitzenbleiben gehört für ihn in das Schulsystem der Angst.

Die Debatte über den Sinn des Sitzenbleibens ist für den Karlsruher Pädagogikprofessor Johann Beichel überfällig. Sie ist Teil der «anthropologischen Wende», die sich zurzeit in den Schulen vollzieht. «Im Mittelpunkt steht nicht mehr die bloße Vermittlung der Lerninhalte, sondern der Schüler, der sich für die Inhalte begeistern soll», sagte Beichel.

keine Angst
Schüler sollen gerne und ohne Angst zur Schule kommen. Foto: Gerd Altmann/Carlsberg1988 / pixelio.de

Die größte Hürde dieser neuen Ausrichtung sei, dass es noch nicht genügend Lehrer gebe, die das Konzept ausfüllen könnten. Nur sie böten eine Garantie dafür, dass die Rücksicht auf die Kinder nicht zu einem Niveauverlust führe.

Für den Professor gehört Sitzenbleiben in das Schulsystem der Angst, zu der auch Nachsitzen und in früheren Zeiten Arrest und Schläge zählen. «Wir sperren Kinder in eine Institution ein, in der sie sich doch eigentlich wohlfühlen sollten. Das passt nicht zusammen.»

Was Kinder und Jugendlichen unter Zwang lernten, führe höchstens zu kurzfristigem Wissen, aber nicht zur Bildung. «Nur wenn sie gerne zur Schule gehen und Neugierde entwickeln, erschließen sie sich die Welt.» Solange aber eine große Zahl von Schülern vor Prüfungen Tabletten schlucke, um ihre Ängste zu überwinden, laufe etwas schief in der Schule.

Der gesuchte Lehrer für den Systemwechsel muss für Beichel nicht nur fachlich exzellent sein, sondern auch die Geduld und Schülerliebe mitbringen, um die schwächeren Kinder zu stützen. «Ich gehe davon aus, dass bislang etwa 10 bis 15 Prozent der Lehrer das wirklich können.»

Die Ausbildung und die Prüfungen seien auch nicht auf diese Fähigkeiten ausgerichtet. «Bislang haben wir geprüft, wie gescheit ein Lehrer ist, weil sich das gut prüfen lässt», sagte Beichel, der auch in der Prüfungskommission sitzt. «Künftig werden wir in einer längeren Probezeit viel stärker auf das Wollen und das Berufsethos achten.»

Die «anthropologische Wende» sei allerdings nicht zum Nulltarif zu haben. Voraussetzung seien kleinere Klassen und damit mehr Personal. In den neuen Gemeinschaftsschulen mit Klassenstärken von geschätzt 15 Kindern sowie zusätzlichen Lehrern für die Betreuung behinderter Kinder, sei das Konzept gut umsetzbar. An anderen Schulen müssten die Lehrer je zwei zusätzliche Stunden für die Betreuung bekommen. «Das würde schon reichen», sagte Beichel. (dpa)

(23.02.2013)

zum Bericht: Niedersachsen löst bundesweiten Zoff ums Sitzenbleiben aus

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