Streit ums Sitzenbleiben kehrt nach Bayern zurück

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MÜNCHEN. Mit kritischen Worten zu den niedersächsischen Plänen hat Bayerns Kultusminister Ludwig Spaenle eine bundesweite Diskussion um das Sitzenbleiben losgetreten. Nun fordert auch SPD-Spitzenkandidat Christian Ude Verzicht auf die „Ehrenrunde“. Unterschiedlich äußern sich indes die Lehrerverbände.

Nach der Abschaffung des Sitzenbleibens in mehreren Bundesländern verlangt SPD-Spitzenkandidat Christian Ude einen Verzicht auf das Wiederholen auch in Bayern. «Ich habe es schon in meiner Schulzeit nicht begriffen, warum Mitschüler, die in einigen wenigen Fächern nicht mitkommen, alle Fächer wiederholen müssen», sagte Ude. «Inzwischen ist herrschende Meinung auch in der pädagogischen Literatur, dass das Durchfallen unsinnig ist.»

Achtung, jetzt komm ich! Christian Ude, Oberbürgermeister von München. Foto: SPD in Niedersachsen/Flickr (CC BY 2.0)
Christian Ude verlangt auch in Bayern auf das Sitzenbleiben zu verzichten. Foto: SPD in Niedersachsen/Flickr (CC BY 2.0)

Ude kritisierte, dass Schulminister Ludwig Spaenle (CSU) sich bislang gegen eine Abschaffung des Sitzenbleibens wehrt: «Die Repetenten sind beklagenswerte Zeitgenossen und kein bildungspolitisches Aushängeschild», spottete Ude.

Spaenle betonte seinerseits, dass jeder Schüler in Bayern die individuelle Lernzeit bekommen solle, die er brauche – ohne, dass das als Sitzenbleiben zählt. «Wir wollen alles tun, damit wir das Pflichtwiederholen verhindern», sagte Spaenle. Eben deswegen sei die Forderung der SPD «populistischer Unsinn».

Spaenle hat sich in den vergangenen Jahren selbst in eine SPD-ähnliche Richtung bewegt. So hatte er 2009 erklärt, leistungsschwache Kinder müssten bei Bedarf fünf Jahre in der Grundschule lernen dürfen, ohne dass das als Sitzenbleiben zählen sollte – inzwischen ist das unter dem Motto «flexible Grundschule» umgesetzt. Das geplante «freiwillige» Intensivierungsjahr am G8 soll ebenfalls nicht als Sitzenbleiben zählen.

Der Kultusminister will das Sitzenbleiben nicht ganz abschaffen, sondern als letztes Mittel «in besonderen Situationen» beibehalten. Laut Ministerium ist die Zahl der Sitzenbleiber an den Volksschulen in den vergangenen zehn Jahren um knapp zwei Drittel von 1,4 auf 0,5 Prozent gesunken. An an Gymnasien und Realschulen bleiben demnach heute wesentlich weniger Schüler sitzen als zu Beginn des vergangenen Jahrzehnts.

Unterschiedliche Stimmen aus den Lehrerverbänden

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Für die Abschaffung des Sitzenbleibens in seiner klassischen Form hatte sich vor einem Jahr auch der Bayerische Philologenverband (bpv) ausgesprochen. Die Vertretung der Gymnasiallehrer steht den bildungspolitischen Forderungen der SPD ansonsten eher fern.

Deutliche Kritik äußerte dagegen der Verband Deutscher Realschullehrer (VDR) an der Absicht mehrerer Länder, das Sitzenbleiben auf mittlere Sicht abzuschaffen: «Mit dieser leistungsfeindlichen Einstellung kann man im internationalen Wettbewerb um die besten Köpfe nicht bestehen und wird langfristig im Mittelmaß enden», kritisierte der Vorsitzende des Verbandes Deutscher Realschullehrer (VDR), Jürgen Böhm.

«Wenn die wenigen Kinder oder Jugendlichen, die in einem gewissen Zeitraum trotz aller angebotenen Fördermaßnahmen die gestellten Standards nicht erfüllt haben, dann müssen diese die Möglichkeit der Wiederholung wahrnehmen können», betonte Böhm. Der VDR vertritt nach eigenen Angaben etwa 20 000 Lehrer an Schulen im Sekundarbereich.

Differenziertere Töne kommen aus Sachsen Anhalt: Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) sehe im Abschaffen des Sitzenbleibens in der Schule nicht den Königsweg, um lernschwachen Jungen und Mädchen zu besseren Leistungen zu verhelfen: «Wir brauchen vielmehr ein richtiges Konzept, damit sie das Schuljahr schaffen», sagte der GEW-Landesvorsitzende Thomas Lippmann. Kultusminister Stephan Dorgerloh (SPD) hatte das geplante Aus für das Sitzenbleiben in Niedersachsen begrüßt und sich zugleich für mehr individuelle Förderung ausgesprochen. Das setze aber genügend Personal voraus, sagte der Gewerkschafter. (dpa)

(18.02.2013)

 zum Bericht: Niedersachsen löst bundesweiten Zoff ums Sitzenbleiben aus

zum Bericht: Sitzenbleiben: Stoch schlägt sich auf die Seite der Reformer

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4 Kommentare
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Wolfram
11 Jahre zuvor

(8.Klasse) Drogen/ Gang /Null-Bock-auf (scheiß) alles – aber:
Klassen“ziel“ erreicht!!! Was will man mehr auf dieser Welt . Scheiß auf die Chinesen,die dafür auch noch arbeiten müssen. Wir sind viel viel weiter… Ich wähle alle, die mir mein Abitur ohne Anstrengung versprechen (auch schon mit 16 Jahren)

Knut M.
11 Jahre zuvor

@Wolfram
Sie sagen es absolut richtig!
Gesamtschulen, Inklusion und jetzt auch noch die Abschaffung des Sitzenbleibens: Alles läuft auf eine kommunistische Gleichmacherei im Klassenzimmer hinaus. Und wenn man nicht alle gleich gut machen kann, dann wenigstens gleich schlecht. Ist doch klar, dass unsere rot-grünen Gutmenschen auf ständig sinkende Anforderungen und immer schwächere Leistungen setzen zum Zwecke allgemeiner Angleichung.
Ich könnte mir vorstellen, dass Ihnen dieser Artikel gefällt:
http://www.jungefreiheit.de/Single-News-Display-mit-Komm.154+M5cc9c7f99b4.0.html

mehrnachdenken
11 Jahre zuvor

Der Link gefällt mir ausgezeichnet.
Zufällig habe ich heute die Bundestagsdebatte eingeschaltet, als es gerade in der Rede einer Abgeordneten der Grünen um das Thema „Sitzenbleiben“ ging. Diese Forderung verkaufen die SPD/Grünen als fortschrittliche Bildungspolitik. Eine richtig qualifizierte Antwort habe ich von der Opposition aber auch nicht darauf gehört. Sitzen da denn nur ahnungslose Volksvertreter? Gegen die Pläne der rot-grünen Regierungen müsste doch ein Sturm der Entrüstung losgetreten werden. Argumente dagegen gibt es doch genug.

Knut M.
11 Jahre zuvor

@mehrnachdenken
Zitat: „Gegen die Pläne der rot-grünen Regierungen müsste doch ein Sturm der Entrüstung losgetreten werden. Argumente dagegen gibt es doch genug.“
Ich warte auch immer auf den Sturm der Entrüstung, aber woher soll er kommen, wenn sogar die Mehrheit der Lehrer angeblich mit diesen beiden Parteien und der GEW sympathisiert, um ja auf der Seite des „Fortschritts“ und der „Bildungsgerechtigkeit“ zu stehen.
Übrigens gibt es bei der angegebenen Zeitung „Junge Freiheit“ gerade eine anonyme Abstimmung bezüglich der Inklusion. Es wäre gut, wenn hier möglichst viele ihren Unmut zum Ausdruck brächten.