Umfrage: Immer mehr Grundschüler gehen zur Nachhilfe

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SCHWERIN. Der Nachhilfemarkt in Mecklenburg Vorpommern boomt. Institute nennen Unterrichtsausfall, Ehrgeiz und Überforderung der Eltern als Gründe.

Jeder vierte Schüler in Deutschland schafft statistisch gesehen den Lehrstoff nur noch mit fremder Hilfe im teuren Nachmittagsunterricht. In Mecklenburg-Vorpommern werden Nachhilfeschüler immer jünger, sie kommen aus allen Schularten und sozialen Schichten, wie eine Umfrage bei Nachhilfeinstituten ergab. Mit leicht steigenden Schülerzahlen gehe auch die Zahl der Nachhilfe-Teilnehmer nach oben, sagte Cornelia Sussieck, Sprecherin des Bundesverbandes der Nachhilfe- und Nachmittagsschulen. Mit zunehmendem Bedarf gründeten sich immer mehr kleine private Lerninstitute.

Zwei Nachhilfeschüler am Schreibtisch
In Deutschland schießen Nachhilfe-Einrichtungen we Pilze aus dem Boden. Foto: VNN Bundesverband der Nachhilfe- und Nachmittagsschulen e.V.

Längst nicht mehr nur die versetzungsgefährdeten Schüler drückten nach dem regulären Unterricht auch nachmittags und samstags die Schulbank, betonte Sussieck. Viele leistungsstarke Kinder und Jugendliche wollten bereits bei kleinen Unsicherheiten oder Wissenslücken in nur einem Fach mehr üben, um Stoff aufzuholen oder für Prüfungen besser gerüstet zu sein. Schon ab Klasse eins werde Nachhilfe genutzt, um Lücken gar nicht erst entstehen zu lassen. Ältere motiviere die Aussicht auf einen guten Studien- oder Ausbildungsplatz zum Zusatzunterricht, erklärte die Verbandssprecherin.

«Bei dem sehr hohen Bildungsniveau in Deutschland kommen Eltern mit dem Schulstoff ihrer Kinder oft nicht mehr mit», sagte Sussieck. Sie könnten vor allem in der Oberstufe kaum mehr bei den Hausaufgaben helfen. «So wie Leistungssportler einen guten Coach brauchen, wollen Spitzen-Schüler einen professionellen Trainer.» Das ließen sich Familien im Schnitt bis zu 1200 Euro pro Schüler und Jahr kosten. Die Preise für Nachhilfeunterricht lägen je nach Gruppenstärke bei etwa 10 bis 30 Euro je Stunde.

Zugleich räumte der Verband eine zunehmende Anzahl von Anbietern ein. Neben den Marktführern, den Franchise-Ketten Schülerhilfe und Studienkreis, gründeten vermehrt Einzelunternehmer Nachhilfeschulen. In jedem Bundesland und jeder Region gebe es andere Anforderungen an Schüler; darauf könnten kleine Einrichtungen individueller eingehen. «Nachhilfe ist der Schatten des öffentlichen Schulsystems», erklärte Sussieck. «Wir decken nur den wachsenden Leistungsbedarf ab.»

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Steigende Teilnehmerzahlen am Nachhilfe-Unterricht beobachtet auch Susanne Gieding von der Schülerhilfe Rostock. Allmählich greife das Bildungs- und Teilhabepaket des Bundes trotz hoher bürokratischer Hürden, sagte sie. In ihren Instituten in Rostock, Bad Doberan und Güstrow werde jeder zehnte Nachhilfeschüler übers Bildungspaket gefördert. «Ehrgeiz und Motivation bei sozial benachteiligten Kindern sind mitunter größer als bei Schülern aus gut situierten Familien.»

Ein Grund für den zusätzlichen Nachmittagsunterricht seien zum einen Wissenslücken, die durch Krankheit, familiäre Probleme oder auch häufigen Unterrichtsausfall an staatlichen Schulen entstünden, sagte Gieding. Für einen guten Ausbildungs- oder Studienplatz gäben sich aber auch immer mehr Jugendliche nicht mehr mit mittelmäßigen Zeugnissen zufrieden. «Das Image der Nachhilfeschulen hat sich gewandelt», betonte Gieding. Aus Auffangstationen für schlechte Schüler und notorische Sitzenbleiber seien vielfach Trainingsstätten für hoch motivierte junge Leute geworden.

Nachhilfe-Lehrer Ralf Kuchmetzki, Gründer des privaten Lernzentrums Schwerin, registriert einen steigenden Anteil von Grundschülern unter den Nachhilfe-Teilnehmern. Vor allem alleinerziehende Mütter hätten vielfach keine Zeit für die Hausaufgabenbetreuung ihrer Kinder. «Wir erfüllen hier teils Aufgaben eines Schülerhortes», sagte der Unternehmer. «Die klassische Nachhilfe gibt es nicht mehr.» Martina Lorf, Leiterin des Studienkreis-Instituts Schwerin, unterrichtet Nachhilfeschüler von der 1. bis zur 13. Klassenstufe. «In staatlichen Schulen ist der Stoff so umfangreich und dicht, dass keine Zeit zum Üben und Festigen bleibt – hier setzt Nachhilfe an.» (Grit Büttner, dpa)

(09.03.2013)

Zum Bericht: Leistungsdruck und Ehrgeiz: Immer mehr Schüler bekommen Nachhilfe

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5 Kommentare
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mehrnachdenken
11 Jahre zuvor

Ist das nicht eine Bankrotterklärung an die Schulen und ihre Lehrkräfte?

sofawolf
11 Jahre zuvor

Ja, so sehe ich das auch. Nachhilfe übernimmt oft die Aufgaben des Schulhortes. Ich finde nicht schön, wenn der Tagesablauf für Kinder nur noch aus „Lernen & Hausaufgaben“ besteht.

Birgit
11 Jahre zuvor
Antwortet  sofawolf

Sie sagen: „Ich finde nicht schön, wenn der Tagesablauf für Kinder nur noch aus „Lernen & Hausaufgaben“ besteht.“
Da sprechen Sie mir aus dem Herzen.

lehrer/elternsicht
11 Jahre zuvor

…und das Schlimme ist, dass es auf den Privatschulen nicht anders aussieht. Obwohl Eltern teils horrende Schulgebühren zahlen, bleiben die Kinder von Nachhilfe nicht verschont. Die Lehrpläne sind eben die selben. Hier muss endlich ausgemistet werden. Wenn Kinder/Jugendliche sich mit Dingen beschäftigen müssen (und dafür zensiert werden), die später nicht mal im Studium der einzelnen Fachgebiete gemacht werden müssen, läuft etwas gründlich schief!

bolle
11 Jahre zuvor

@lehrer/elternsicht
Ich bin auch für Ausmisten und Rückkehr zum schulischen Kerngeschäft, das nicht zuletzt wieder Fitness in den Kulturtechniken sein sollte.
Die Lehrpläne strotzen vor Inhalten, die irgendwelche Lobbygruppen reingedrückt haben, zu denen auch die Politik gehört.