Azubi-Mangel: Unternehmen suchen Lehrlinge jetzt auch im Ausland

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FRANKFURT/MAIN. Geht der deutschen Wirtschaft der Nachwuchs aus? Immer weniger junge Menschen gehen ins international so gepriesene duale Ausbildungssystem. Die Betriebe strecken ihre Fühler nach Europa aus.

Immer mehr Firmen klagen darüber, keine Auszubildenden zu finden. Foto: ME-Arbeitgeber / Flickr (CC BY 2.0)
Immer mehr Firmen klagen darüber, keine Auszubildenden zu finden. Foto: ME-Arbeitgeber / Flickr (CC BY 2.0)

Während in einigen südeuropäischen Ländern sechs von zehn jungen Menschen ohne Job sind, gehen der deutschen Wirtschaft die Nachwuchskräfte aus. Im Land mit der niedrigsten Jugendarbeitslosigkeit Europas und einer der schwächsten Geburtenraten haben sich im vergangenen Jahr nur noch 548 000 junge Menschen für eine Ausbildung im vielgelobten dualen System entschieden – so wenige wie noch nie seit der Wiedervereinigung. Die wenigen Schulabgänger erlangen zudem häufiger die Hochschulreife und streben stärker an die Hochschulen.

In den Ballungsräumen tun sich Betriebe immer schwerer, geeignete Bewerber zu finden. Im Handwerk der Boom-Region Stuttgart beispielsweise sind 2012 viele hundert Lehrstellen unbesetzt geblieben. Die Großindustrie reißt sich um die besten Bewerber, kleine Betriebe können kaum noch mithalten. Immerhin konnte 2012 eine steigende Zahl von Abiturienten für eine Handwerkslehre begeistert werden. «Offensichtlich haben viele aus dem doppelten Abiturientenjahrgang die Aussage aus der Imagekampagne des Handwerks richtig verstanden: Mach erstmal was Sinnvolles. Studieren kannst du später noch», freut sich Kammer-Geschäftsführer Bernd Stockburger. Doch das hilft im kommenden Jahr auch nicht mehr weiter.

«Der Trend der Leistungsstärkeren zum Studium ist ungebrochen», klagt aber Achim Dercks vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK). 2012 gab es schon fast so viele Studienanfänger wie Ausbildungsanfänger. Dercks befürwortet eine Doppelstrategie: «Jugendliche, die sich in ineffektiven schulischen Maßnahmen finden, müssen motiviert und fit gemacht werden für eine Ausbildung im Betrieb. Für die Leistungsstärkeren müssen duale Studiengänge weiter ausgebaut sowie mehr Auslandsaufenthalte und Zusatzqualifikationen schon während der Ausbildung angeboten werden.»

Eine wichtige Nachwuchsquelle der Wirtschaftszentren ist nahezu versiegt. Der Geburtenknick nach der Wende bringt Jugendliche in Thüringen oder Mecklenburg-Vorpommern in die komfortable Lage eines auskömmlichen Lehrstellenangebots vor der eigenen Haustür. Sorgen machen müssen sich Ausbildungswillige eher in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein, aber auch in der Hauptstadt Berlin mit ihrem besonders ungünstigen Verhältnis zwischen Stellen und Bewerbern.

Nach wie vor hadern die Betriebe mit der Qualität der Schulabgänger vor allem in den Ballungsräumen, wettern aber auch gegen die aus ihrer Sicht überflüssigen Warteschleifen nach dem Schulabschluss, die doch nur in eine Lehre münden. «Aber wir jammern nicht mehr, wir geben Nachhilfe», sagt der Sprecher des Zentralverbands des Handwerks, Alexander Legowski. Allerdings stelle man sich drauf ein, dauerhaft nicht alle Plätze besetzen zu können.

Hohe Jugendarbeitslosigkeit in Südeuropa

Angesichts der verheerenden Jugendarbeitslosigkeit in Südeuropa und der eigenen Nachwuchsnöte werben Arbeitsagentur und Arbeitsministerium im Süden nicht nur um Fachkräfte und junge Akademiker, sondern nehmen potenzielle Auszubildende ins Anwerbevisier. Erste Ansätze sind Projekte wie in Frankfurt, wo am Montag 40 potenzielle Klempnerlehrlinge aus Madrid zum Kennenlern-Praktikum erwartet werden. «Für das Jahr 2013 haben wir keine einzige inländische Bewerbung erhalten. Wir erhoffen uns von dem Austausch motivierte Auszubildende», sagt Sonja Feucht, Chefin der Sanitär- und Klimafirma Bruder & Feucht GmbH aus Bad Homburg.

Die Frankfurter IHK-Ausbildungsexpertin Brigitte Scheuerle aber bleibt schon wegen der hohen Sprachbarriere skeptisch. Noch viel mehr als bei älteren Fachkräften müssten sich Ausbilder um das soziale Netz ihrer jüngsten Mitarbeiter kümmern. «Davor scheuen die allermeisten zurück.» In Grenzgebieten etwa zu Frankreich oder Tschechien versprechen transnationale Ausbildungsprojekte mehr Erfolg, glaubt Scheuerle. «Da sind die jungen Menschen aber auch abends wieder bei Familie und Freunden.» Bei der Arbeitsagentur in Nürnberg rechnet man bislang vorsichtig mit ein paar hundert Bewerbern, die den Schritt zu einer deutschen Ausbildung wagen.

Doch auch im Inland gibt es noch Reserven: Die Jobcenter wollen sich verstärkt um diejenigen kümmern, die in den «verlorenen Jahrgängen» massenhaft durch das Ausbildungsnetz geschlüpft sind. Die Arbeitsagentur nennt 300 000 Arbeitslose und 500 000 Beschäftigte ohne Berufsabschluss zwischen 25 und 35 Jahren, die mit ungewissen Aussichten ins Erwerbsleben sehen. Der Job im Handy-Shop oder beim Kurierdienst taugt nicht als Dauerlösung. «Auch für einen 25-jährigen macht eine Lehre noch Sinn», sagt BA-Vorstand Heinrich Alt. «Er hat noch viele Berufsjahre und eine Karriere vor sich.» CHRISTIAN EBNER; dpa

(11.4.2013)

Zum Bericht: „Berufsbildungsbericht: Jeder vierte Azubi bricht ab“

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