Der Frankfurter Uni-Turm vor dem Abriss: gruselig – aber auch Kult

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FRANKFURT/MAIN. Mit dem neuen Semester ist für Frankfurter Psychologen und Pädagogen eine Ära zu Ende gegangen. Statt im runtergekommenen Turm in Bockenheim finden die Lehrveranstaltungen jetzt in einem schicken Neubau im Westend statt. Nicht alle halten das für einen Fortschritt.

War zeitweilig mal das höchste Gebäude der Stadt: der AfE-Turm der Uni Frankfurt. Foto: Jossejonatan / Wikimedia Commons (CC BY-SA 3.0)
War zeitweilig mal das höchste Gebäude der Stadt: der AfE-Turm der Uni Frankfurt. Foto: Jossejonatan / Wikimedia Commons (CC BY-SA 3.0)

Größer könnte der Unterschied gar nicht sein: Wer im «Turm» auf dem Campus Bockenheim der Frankfurter Goethe-Universität lehrte oder studierte, lebte mit defekten Fahrstühlen, verschmierten Wänden, blinden Scheiben. Ab dem nächsten Semester arbeiten 10 000 Studenten und 1000 Dozenten in einem schicken Neubau auf dem Campus Westend. Jetzt, in den Semesterferien, wird der Turm Stockwerk für Stockwerk von oben nach unten geräumt. Auch 400 000 Bücher ziehen um.

Das neue Gebäude ist nur sechs Stockwerke hoch, der Turm hatte 36 Etagen. «PEG» heißt der Neubau, das steht für Psychologie, Erziehungs- und Gesellschaftswissenschaften. Für den Turm hatte sich die Abkürzung «AfE» eingebürgert (Abteilung für Erziehungswissenschaft). Bis auf dreibuchstabige Abkürzungen gibt es kaum Gemeinsamkeiten: Heller Stein hier, dunkler Beton dort; warme Holzvertäfelungen hier, Metall und Plastik dort; Eleganz hier, Brutalismus dort.

Der 116 Meter hohe AfE-Turm wurde 1972 fertiggestellt, ein paar Jahre lang war er das höchste Gebäude der Stadt. Ein Schmuckstück im Stadtbild fanden ihn die wenigsten. 2005 gab es sogar einen Todesfall: Eine Hochschulmitarbeiterin verunglückte in einem der Fahrstühle, der zwischen zwei Stockwerken stecken blieb. Als die Frau versuchte herauszuklettern, stürzte sie in den Tod.

«So alle fünf bis zehn Tage» sei einer der Fahrstühle stecken geblieben, sagt Portier Nimon Besner und zeigt den Steckschlüssel, mit dem er die festsitzenden Studenten und Dozenten dann befreite. Über den Aufzügen prangt ein Schild, das darauf hinweist, dass die Lifts «ab dem 21.3.1991» nur noch folgende Stockwerke anfahren: 9., 17., 25. und 33. Wer in eine Etage dazwischen wollte, musste laufen.

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«Das Gebäude hatte schon seine Schwächen», sagt Professor Gerhard Büttner beim Kistenpacken schmunzelnd. An die Schmierereien habe er sich nie gewöhnen können, in der Vorlesungszeit musste man oft 20, 30 Minuten vor den Fahrstühlen warten, im Sommer brüteten die Wissenschaftler bei über 30 Grad in ihren Büros, Einbrüche waren an der Tagesordnung. Trotzdem fällt dem Psychologen der Abschied aus seinem Büro im 36. Stock schwer: «Die Aussicht war phänomenal.»

„Freiräume für die Studierenden fallen weg“

Auch manche Studenten gehen mit Wehmut. Der AStA (Allgemeine Studierenden Ausschuss) trauert nicht nur einem «geschichtsträchtigen Gebäude» nach, sondern erwartet auch, dass auf dem Westend-Campus «Freiräume für die Studierendenschaft wegfallen», wie AStA-Sprecher Florian Muhs sagt. Von Studenten betriebene Einrichtungen wie das selbstverwaltete Turm-Café «TuCa» seien dort nicht vorgesehen.

Dabei wurde im Westend nicht nur für 120 Millionen Euro der schicke PEG-Neubau gebaut – das Exzellenzcluster «Herausbildung normativer Ordnungen» bekam nebenan einen eigenen Neubau. Dort arbeiten hoch dekorierte Wissenschaftler wie der Philosoph und Politikwissenschaftler Rainer Forst und der Rechtsphilosoph Klaus Günther. Deren verranzte Büros im Turm standen in eklatantem Gegensatz zu ihrem wissenschaftlichen Renommee.

Die ABG Holding bereitet derzeit die Abrissgenehmigung vor. Sie hat das Grundstück, auf dem der Turm steht, 2011 zusammen mit anderen Liegenschaften in Bockenheim für 90 Millionen Euro vom Land Hessen gekauft. Fallen werde der Turm frühestens im Spätsommer, sagt ABG-Sprecher Frank Junker. Danach darf die ABG Holding dort erneut in die Höhe bauen: Der Bebauungsplan erlaubt an dieser Stelle zwei Hochhäuser á 100 und 140 Meter Höhe. SANDRA TRAUNER, dpa

(1.4.2013)

 

 

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