Trend zum Gymnasium ungebrochen – Realschule kämpft ums Überleben

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STUTTGART. Baden-Württembergs Kultusminister Stoch hat festgestellt: Das Gymnasium ist die Schule der Wahl. Dagegen erscheint die Zukunft der Realschule als Sandwich-Schule zwischen Gymnasium und Gemeinschaftsschule unklar – nicht nur in Baden-Württemberg.

«Ich sehe die Situation der Realschule als schwierig an.»: Baden-Württembergs Kultusminister Andreas Stoch (SPD). Foto: Staatskanzlei Baden-Württemberg
«Ich sehe die Situation der Realschule als schwierig an.»: Baden-Württembergs Kultusminister Andreas Stoch (SPD). Foto: Staatskanzlei Baden-Württemberg

Der Trend zum Gymnasium ist ungebrochen. Für das Schuljahr 2013/14 wurden in Baden-Württemberg mehr Kinder als im Vorjahr in dieser Schulart angemeldet, während Realschulen sowie Haupt- und Werkrealschulen weniger Anmeldungen verzeichnen. Nach Angaben des Kultusministeriums liegt der Anteil der Grundschüler, die auf das Gymnasium wechseln werden, bei 44,5 Prozent. Das sind 1,4 Prozentpunkte mehr als im Vorjahr. Dagegen verloren Haupt-/Werkrealschulen und Realschulen 4,3 beziehungsweise 1,5 Punkte. «Die Zahlen zeigen, dass Haupt- und Werkrealschulen an vielen Standorten gefährdet sind», erläuterte Kultusminister Andreas Stoch (SPD) in Stuttgart. Die Gemeinschaftsschule kommt auf 6,6 Prozent.

Von derzeit noch 862 Haupt-/Werkrealschulen haben 126 im kommenden Schuljahr keinen einzigen Fünftklässler mehr. An weiteren 223 Schulen wird die vorgeschriebene Klassengröße von 16 Schülern nicht mehr erreicht. Auch wenn mancherorts Schulen noch mit Zusammenlegung von fünfter und sechster Klasse zu überleben versuchten, so seien sie letztlich nicht zu retten, erläuterte Stoch. «Unter pädagogischen Gesichtspunkten ist es nicht sinnvoll, Kleinstschulen zu erhalten.» Sie könnten nicht die nötige pädagogische Vielfalt bieten. Stoch will im Mai ein gemeinsam mit den Kommunalverbänden erarbeitetes Konzept für die regionale Schulentwicklung vorstellen, das möglichst viele Schulstandorte – vor allem im ländlichen Raum – erhalten soll. Dass die Schulwege sich für die Kinder und Jugendlichen verlängerten, sei aber unvermeidlich. Künftig sei die Frage wichtig, ob bestimmte Abschlüsse in zumutbarer Entfernung angeboten werden können – nicht bestimmte Schulen.

Den Schwarzen Peter für eine möglicherweise zu spät begonnene Planung der künftigen Schullandschaft gab er an die CDU-geführte Vorgängerregierung zurück. Entwicklungen wie der Schülerrückgang seien nicht neu, auf sie hätte vor sechs bis acht Jahren reagiert werden können. Die CDU-Fraktion warf Stoch vor, die Schulentwicklung zu verschleppen und auf den «Kannibalisierungseffekt» der Gemeinschaftsschule zu setzen.

Stoch verwies auch auf das immer weniger absehbare Schulwahlverhalten, das Planungen erschwere: Nachdem die Statistiker für 2013/14 einen Schülerrückgang von 51.000 vorausgesagt hatten, lässt sich anhand der Anmeldezahlen nun ein Rückgang von nur 39-000 feststellen. Grund: Immer mehr Schüler entscheiden sich nach einem Werkreal- oder Realschulabschluss für eine weitere Vollzeitschule. Die Lehrergewerkschaft GEW verlangte, im Zuge der regionalen Schulentwicklung auch den von Schließungen betroffenen Lehrern eine klare Arbeitsplatzperspektive zu gewähren. An Grund- und Haupt-/Werkrealschulen arbeiten derzeit 44 000 Pädagogen.

Dass die Realschulen ein Minus bei den Anmeldungen verzeichnen, führt Stoch unter anderem auf die 2013/14 größere Zahl von insgesamt 129 Gemeinschaftsschulen und das breitere Angebot von neunjährigen Zügen an 44 Gymnasien zurück. Bislang hatten die Realschulen davon profitiert, dass auch Familien, deren Kindern eine Empfehlung fürs Gymnasium hatten, diese nicht immer befolgten: Manche wollten ihrem Nachwuchs den Stress des achtjährigen Bildungsgangs nicht antun und setzten auf einen späteren Wechsel auf das berufliche Gymnasium. Stoch sagte: «Ich sehe die Situation der Realschule als schwierig an.» Sie habe sich wie die Gemeinschaftsschule mit dem Problem eines wachsenden Leistungsspektrums der Schüler auseinanderzusetzen, aber weniger Möglichkeiten diese zu bewältigen. Dennoch betonte er: «Ich sehe die Zukunft der Realschule positiv.» Die Opposition wirft Grün-Rot vor, mit der Realschule ein bewährte Schulart aus ideologischen Gründen zerschlagen zu wollen.

Aus Sicht der FDP muss das Ministerium offener für Schulverbünde sein, bei denen Werkreal- mit Realschulen oder letztere mit Gemeinschaftsschulen kooperieren. Indem Stoch dies als «Verlegenheitslösung» abtue, beschleunige er die Schließung von Schulen.  dpa

(15.4.2013)

Zum Bericht: „Baden-Württemberg: Gemeinden ziehen wegen Gemeinschaftsschulen vor Gericht“

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