Studie: Erfahrungen lassen Hirnzellen individuell sprießen

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DRESDEN. Das Gehirn wächst an seinen Aufgaben und verändert sich mit jeder neuen Erfahrung. Persönlichkeit und Verhalten entwickeln sich weiter. Forscher gewannen nun einen Einblick, wie Individualität entsteht.

Individuelle Erfahrungen prägen das Gehirn - und verändern es. Foto: Liz Henry / Flickr (CC-BY-ND-2.0)
Individuelle Erfahrungen prägen das Gehirn – und verändern es. Foto: Liz Henry / Flickr (CC-BY-ND-2.0)

Eine reichhaltige Umwelt fördert die Bildung einer individuellen Hirnstruktur. Das haben deutsche Forscher nun durch neurobiologische Untersuchungen von Mäusen bewiesen. Bei den Tieren beeinflussten Erfahrungen die Neubildung von Nervenzellen und führten zu messbaren Veränderungen im Gehirn. Die Ergebnisse wurden in der US-Fachzeitschrift «Science» veröffentlicht.

«Diese individuellen Unterschiede lassen sich weder auf Gene noch auf die Umwelt zurückführen, denn alle Tiere hatten das gleiche Erbgut und waren gleichen Umweltbedingungen ausgesetzt», sagte Studienleiter Professor Gerd Kempermann vom DFG-Forschungszentrum für Regenerative Therapien Dresden (CRTD).

Die Forscher hatten 40 genetisch identische Mäuse in ein Gehege mit reichhaltigem Angebot zur Beschäftigung und Erkundung gesetzt. Mit Hilfe besonderer Sender an den Tieren erstellte das Team Bewegungsprofile. Starke Aktivität habe zu einer höheren Neubildung von Nervenzellen in der für Lernen und Gedächtnis zuständigen Hirnregion geführt. Das Testgelände war nach Forscherangaben zudem so abwechslungsreich, dass jede Maus ihre ganz individuellen Erfahrungen machen konnte. «Deswegen unterschieden sich die Tiere im Laufe der Zeit immer mehr in ihrer Erfahrungswelt und in ihrem Verhalten», erläuterte Kempermann.

Damit sei ein wichtiger Schritt zur Klärung der Frage gelungen, wie Lebewesen zu Individuen werden, die sich durch ihre persönliche Hirnstruktur und ihr Verhalten von anderen unterscheiden, berichtete das Team. Zu ihm gehörten auch Wissenschaftler der Universität Münster, dem Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz in Saarbrücken und des Berliner Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung (MPIB). In einem weiteren Versuch setzte das Team Mäuse in ein vergleichsweise karges Gelände. Bei diesen Tieren hätten sich wesentlich weniger Gehirnzellen gebildet als bei den anderen.

Die beobachteten Zusammenhänge sind laut Kempermann vermutlich auch für die Nervenbildung bei erwachsenen Menschen gültig. «Die adulte Neurogenese kommt auch im menschlichen Hippocampus vor.» Diese Studie könne auch helfen, zu erklären, warum genetisch identische Zwillinge, die in gleicher Umgebung aufwachsen, sich dennoch teilweise unterschiedlich entwickeln. «Sowohl die Gene als auch die Umwelt haben einen immensen Einfluss auf die Entwicklung; aber hinzu kommt auch die individuelle Erfahrung, weil die gleiche Umwelt nicht immer gleich wahrgenommen wird.»

Die Erkenntnis sei relevant für die Biologie sowie Psychologie, Pädagogik und Medizin. Dabei geht es auch um die Frage, wie das Verhalten die kognitive Leistungsfähigkeit im Alter beeinflusst. Ein aktives Leben könne das Risiko für bestimmte Krankheiten, etwa Demenz, vermindern, erklärte Kempermann. Das Experiment zeige einmal mehr, dass die individuelle Lebensführung einen starken Einfluss auf das Gehirn habe, bis hin zur Neubildung von Nervenzellen. dpa

(9.5.2013)

Zum Bericht: „Hirnforscher können schlechte Lerner am EEG erkennen“

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