Die Tradition der Tüte: Süßigkeiten zum Start in den „Ernst des Lebens“

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BERLIN. In vier Bundesländern beginnt in der kommenden Woche das neue Schuljahr – und damit für Zehntausende von Erstklässlern der „Ernst des Lebens“. Sie alle dürften von ihren Eltern mit einer Schultüte beschenkt werden – eine Tradition, die es nun schon mehr als 150 Jahre in Deutschland gibt. Und sie wächst sich aus: Manche Kinder bekommen gleich mehrere davon.

Klar, zur Einschulung gibt's 'ne große Tüte von Mama und Papa. Foto: Anfuehrer/Flickr (CC BY-SA 2.0)
Klar, zur Einschulung gibt’s ’ne große Tüte von Mama und Papa. Foto: Anfuehrer/Flickr (CC BY-SA 2.0)

Sie ist 70 Zentimeter groß, bunt und gefüllt mit Süßigkeiten: die Schultüte. Auf sie freuen sich dieses Jahr laut Schulbehörde allein in Hamburg rund 14 100 Erstklässler. Am ersten Schultag werden die Fünf- bis Sechsjährigen die Tüte in allen erdenklichen Farben – mit Mickey Mouse, Pferden, Fußballspielern oder Feen drauf – in den Händen halten. Und am liebsten noch mit dem eigenen Namen in Großbuchstaben aufgedruckt. «Der Name auf der Schultüte ist ein Trend der letzten drei bis vier Jahre», sagt Alexandra Schnitzmeier. Die 41-Jährige bastelt und verkauft seit mehr als zehn Jahren Schultüten in ihrem Schreibwarenladen «Papier und Stift» im Hamburger Stadtteil Hoheluft-Ost.

Doch das ist nur eine Veränderung, die die Schultüte im Laufe der Zeit erfahren hat. Ursprünglich komme der Brauch, den es nun schon mehr als 150 Jahre in Deutschland gibt, aus Sachsen und Thüringen, weiß der pensionierte Hamburger Lehrer Hans-Günter Löwe (70). Seit mehr als 30 Jahren beschäftigt er sich mit dem Schulanfang und sammelt Tassen, Ostereier, Bücher und vieles mehr – alles rund um den ersten Schultag. «Die Schultüte ist ein Brauch, der sich entwickelt», sagt Löwe. Erste Erwähnungen einer «Zuckertüte» habe es bereits Ende des 18. Jahrhunderts gegeben. Eltern hätten ihren Kindern den Schulbeginn «versüßen» wollen. Doch die damalige Schultüte sei nicht mit der von heute zu vergleichen, ähnelte sie doch eher einer kleinen Kiosk-Tüte mit Gebäck vom Konditor.

1852 sei in Dresden ein Kinderbuch erschienen, in dem die Geschichte des Zuckertütenbaums erzählt wird. In jeder Schule wachse ein Zuckertütenbaum, von dem der Lehrer den braven Schülern Süßigkeiten pflücken könne. Löwe vermutet, dass diese Geschichte in Sachsen sehr bekannt gewesen sei. In Hamburg jedoch beschenkte zu dieser Zeit noch niemand die Kinder zur Einschulung.

Erst um 1900 habe die professionelle Produktion der Schultüte begonnen. Kartonagefabriken in Sachsen und Thüringen, darunter auch das mittelständische Familienunternehmen Nestler bei Chemnitz, fertigten tausende Schultüten, und nach und nach breitete sich die Schultüte immer weiter aus. In Hamburg habe es die ersten Zuckertüten erst nach dem Ersten Weltkrieg gegeben. «Aber auch dann längst nicht für jeden. Das war immer eine Frage des Geldbeutels», sagt Löwe. In Norddeutschland, vor allem in dörflichen Gegenden, sei der Brauch erst nach dem Zweiten Weltkrieg aufgekommen. Dort habe man mit dem «neumodischen Kram» erst nichts zu tun haben wollen, so Löwe.

Einen markanten optischen Unterschied haben die Schultüten zum Teil noch heute. «Im Osten haben wir eine 85 Zentimeter große Tüte mit sechs Ecken. In Westdeutschland ist sie rund in der Form und nur 70 Zentimeter groß», sagt die Geschäftsführerin des Feinkartonagen-Unternehmens, Ursula Nestler. Die südlich von Chemnitz sitzende Firma sei eine der deutschlandweit größten der Branche und produziere zwei Millionen Schultüten pro Jahr.

Nestler freut es, dass ein Kind mittlerweile mehrere Tüten überreicht bekommt. «Im Osten wird die Einschulung wie eine Hochzeit gefeiert. Dann wollen auch Oma, Opa, Tante oder Onkel dem Kind eine Tüte schenken», sagt Nestler. Nach ihren Berechnungen kommen im Schnitt sieben bis zehn Schultüten auf ein Kind. Ein Trend, der in Hamburg noch nicht ganz angekommen zu sein scheint. Schnitzmeier bietet in ihrem Laden zwar auch kleinere Tüten an, aber die seien meist für Vorschulkinder oder für die Geschwister der Erstklässler, die sonst leer ausgehen würden.

Bei den Motiven auf der Schultüte sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt. Viele Eltern ließen ihre Kinder entscheiden, so Schnitzmeier, die schon seit Mai Bestellungen entgegengenommen hat. In diesem Jahr seien bei den Jungs wieder Fußballer, bei den Mädchen weiß-silberne Pferde in Anlehnung an die Buchreihe «Sternenschweif» gefragt. Bis zu drei Tage dauert es, dann ist die Schultüte fertig zum Abholen.

 

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