Recht in echt: Gerichtsbesuche vermiteln Schülern Werte

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ERFURT/ARNSTADT/MÜHLHAUSEN Das Bild das sich viele Schüler von Gerichtsverhandlungen machen, ist stark durch Gerichtsshows verzerrt. Nicht nur darum halten viele Lehrer der Besuch eines echten Prozesses mit ihren Schülern für wichtig. Besonders mit Unterstützung von Jusristen kann daraus für Jugendliche ein nachhaltiges Erlebnis werden.

Auf leisen Sohlen betreten 20 Mädchen und Jungen aus Ammern bei Mühlhausen einen Verhandlungssaal des Mühlhäuser Amtsgerichts. Die 15 und 16 Jahre alten Regelschüler holen Zettel und Stift aus ihren Taschen, weil sie eine Gerichtsverhandlung protokollieren sollen. Und dann kommt auch schon der Moment, von dem sie viel gehört, aber den sie noch nicht selbst erlebt haben: Der Richter betritt den Saal und alle müssen sich von den Stühlen erheben. Am Ende des Besuchstages werden die Schüler wissen, dass es im Gerichtsalltag nicht unbedingt zugeht wie bei «Barbara Salesch», der früheren Sat.1-Gerichtsshow.

Gerichtsgebäude
Eine echte Gerichtsverhandlung verläuft meist anders als eine Fernsehinszenierung, aber für Schüler nicht minder beeindruckend. Foto: Michael Grabscheit / pixelio.de

Unter dem Namen «Juregio» hat der Freistaat Thüringen vor einigen Jahren ein Projekt für Jugendliche ins Leben gerufen, das ihnen auch Besuche von Gerichtsverhandlungen ermöglichen soll. Es gibt dazu regelmäßig Informationsveranstaltungen am Thüringer Institut für Lehrerbildung und Medien. An jedem Thüringer Gericht und jeder Staatsanwaltschaft kümmert sich ein Ansprechpartner um interessierte Schulklassen. «Die Angebote sind vielfältig», sagt Andrea Ißle-Laib vom Thüringer Justizministerium in Erfurt.

Ob Schulklassen einen Gerichtssaal von innen sehen, hängt laut Ißle-Laib vom jeweiligen Lehrer und von den Möglichkeiten der Schule ab. Vor allem Strafprozesse an Amts- und Landgerichten sind aus Ministeriumssicht geeignet, jungen Leuten Rechtsprechung nahe zu bringen. Viele andere Verfahren könnten zu lange dauern beziehungsweise für Schüler einfach zu langweilig sein.

«Schulklassen sind immer willkommen», sagt Peter Germann, Direktor des Amtsgerichts Arnstadt. Für die Jugendlichen sei es wichtig zu sehen, «dass es ernst werden kann». Die Realität sehe anders aus als in TV-Shows. Germann und seine Strafrichter-Kollegen beobachten allerdings Tendenzen, «dass Angeklagte oder Zeugen das im Fernsehen gesehene Verhalten auch im Gerichtssaal praktizieren.» Gemeint sind Respekt- und Disziplinlosigkeiten.

Die Erwartungshaltung ist bei den jüngsten Gerichtsbesuchern sehr verschieden: «Ich dachte, es wird langweilig. Meine Erwartungen wurden dann aber übertroffen», freut sich etwa die 16-jährige Katharina vom Gymnasium Großengottern (Unstrut-Hainich-Kreis) nach dem Besuch eines Prozesses am Amtsgericht Mühlhausen. In der Verhandlung ging es um Körperverletzung. Zufälligerweise kannten die jugendlichen Zuschauer die fast gleichaltrigen Zeugen, die beim Mühlhäuser Stadtfest 2012 in eine nächtliche Auseinandersetzung geraten waren. «Natürlich wollte ich, dass der Angeklagte verurteilt wird», betont Katharina. Dass die Aussagen der Zeugen zu einer Verurteilung nicht ausreichten, erklärte ihr und ihren Klassenkameraden nach Prozessende der Staatsanwalt, der zuvor einen Freispruch beantragt hatte.

Die Möglichkeit, nach der Urteilsverkündung Fragen zu stellen oder sich Prozessabläufe aus berufenem Munde erläutern zu lassen, nutzen viele Schulklassen gern. Richter und Staatsanwälte sind auch regelmäßig in Thüringer Schulen zu Gast und erklären in Projektwochen beispielsweise, in welchen Fällen es zu einer Anklage kommt und wo diese dann verhandelt wird.

«So ein Gerichtsbesuch am Schuljahresende ist der Höhepunkt des Unterrichtsjahres im Fach Wirtschaft und Recht», erläutert Gymnasiallehrerin Angelika Hoffmann aus Großengottern. Zu diesem Zeitpunkt wissen die Schüler schon, was der Unterschied zwischen Zivil- und Strafrecht ist, wie ein Prozess abläuft und wer wo im Gerichtssaal Platz nimmt.

Für die 10. Klasse sucht Hoffmann nach einem geeigneten Verhandlungstag am nahen Amtsgericht Mühlhausen. Wenn möglich mit mehren Verhandlungen und nicht unbedingt Wirtschaftsstrafsachen. Nach dem Gerichtsbesuch wird die Verhandlung im Unterricht ausgewertet und das Thema Strafzumessung behandelt. In der 11. und 12. Klasse besuchen die Gotterschen Gymnasiasten das Mühlhäuser Landgericht. Die Lehrer hoffen dann stets, dass die besuchten Prozesse am selben Tag zu Ende gehen. «Die Urteilsverkündung mitzuerleben ist wichtig für die Schüler», sagt Hoffmann.

Neuntklässler der Regelschule Unstruttal in Ammern sind seit vielen Jahren Stammgäste am Mühlhäuser Amtsgericht. Laut den Lehrerinnen Gudrun Kiesel und Hella Gebhardt nutzen die Schüler das Erlebte für vier Fächer: Ethik, Religion, Sozialkunde sowie Wirtschaft und Recht. «Es geht immer um Normen und Werte sowie Konfliktbewältigung und Bestrafung», sagt Kiesel. (Claudia Götze, dpa)

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