Wohlfühletat oder Wahlbetrug? Rot-grüner Finanzplan erzürnt Lehrer

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HANNOVER. Knapp fünfeinhalb Monate nach seinem Wahlsieg in Niedersachsen hat SPD-Ministerpräsident Weil erstmals eine Finanzplanung vorgelegt. Trotz Milliardenschulden und drohender Schuldenbremse will Rot-Grün 2014 kräftig investieren, vor allem in Bildung. Trotzdem sind vor allem die Lehrer jetzt sauer.

«Es ist nicht hinnehmbar, dass die Beschäftigten in den Schulen die Reformen im Wesentlichen selbstfinanzieren»: Stephan Weil steht in der Kritik der Lehrerverbände . Foto: Ralf Roletschek / Wikimedia Commons (CC BY 3.0)
«Es ist nicht hinnehmbar, dass die Beschäftigten in den Schulen die Reformen im Wesentlichen selbstfinanzieren»: Stephan Weil steht in der Kritik der Lehrerverbände . Foto: Ralf Roletschek / Wikimedia Commons (CC BY 3.0)

Von Gewinnern oder Verlierern will Stephan Weil an diesem Tag nicht sprechen. «Das ist ein Kraftakt, finanziell und politisch», fasst der niedersächsische SPD-Ministerpräsident die Haushaltsplanung seines rot-grünen Kabinetts zusammen. Dennoch sei – bei allen sicher unbefriedigten Wünschen einzelner – mit dem 27,7 Milliarden Euro schweren Budgetplan für 2014 der Spagat zwischen Sparen und Investieren gelungen.

Die Botschaft des ersten rot-grünen Etatentwurfs nach der Landtagswahl ist klar: Trotz fast 60 Milliarden Euro Schulden und ab 2020 gesetzlich verankerter Schuldenbremse im Nacken wird mehr Geld in die Bildung investiert und gleichzeitig in keinem anderen Ressort etwas gestrichen. «Es wird niemandem etwas weggenommen», betont Finanzminister Peter-Jürgen Schneider (SPD).

Obwohl einige das Zahlenwerk aus Schneiders Feder «Wohlfühlhaushalt» nennen, kommt schnell vehemente Kritik. Für CDU und FDP steht ebenso wie für einige Gewerkschaften und Bildungsverbände fest: den Preis für einen rund 200 Millionen Euro größeren Etat für Forschung, Bildung und Wissenschaft – insgesamt knapp 7,7 Milliarden Euro – zahlen in erster Linie Niedersachsens Beamte und Lehrer. Der Philologenverband spricht gar von einer «Provokation», die nicht ohne Antwort aus den Schulen bleiben werde.

Anlass für die Empörung sind «Umschichtungen», wie Schneider sie nennt. Gymnasiallehrer sollen ab dem Sommer 2014 24,5 statt wie bisher 23,5 Stunden unterrichten. Zudem soll die für 2014 vereinbarte Arbeitszeitermäßigung für Lehrer ab dem 55. Lebensjahr auf zunächst nicht absehbare Zeit ausgesetzt werden.

Der Chef des Philologenverbandes Horst Audritz spricht von einer «schäbigen» Aktion und Wortbruch, hatte doch vor der Jahrtausendwende die SPD-Kultusministerin Renate Jürgens-Pieper die Ermäßigung noch versprochen. Bei so massiver Kritik fällt der Ärger über die von Januar 2014 auf Juni verschobene Tariferhöhung für Beamte um 2,95 Prozent beinahe hinten runter.

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«Der Kritik müssen wir uns stellen, aber das tun wir mit gutem Gewissen», sagt Weil. Wie sein Kabinett sei auch er damit nicht glücklich, aber letztlich sei es eine Frage der Prioritäten. Mit Blick auf die generell steigenden Arbeitszeiten sei das Opfer aber auch nicht unverhältnismäßig groß. «Es ist durch diese Maßnahme niemandem etwas genommen worden, außer der Hoffnung», betont Schneider. «Wir reden hier über etwas, was es gar nicht gegeben hat.»

„Ideologiereiche Bildungspolitik“, so kritisiert die Opposition

«Es ist nicht hinnehmbar, dass die Beschäftigten in den Schulen die Reformen im Wesentlichen selbstfinanzieren», sagt dagegen der Chef der Lehrergewerkschaft GEW, Eberhard Brandt. Dennoch fänden sich in dem Etatplan auch gute Ansätze – etwa der Wegfall der Studiengebühren Ende 2014 oder die 100 Millionen Euro für 49 000 neue Studienplätze oder mehr Zuschüsse für die Ganztagsbetreuung.

Ob aber etwa die Ankündigung, 5000 zusätzliche Betreuungsplätze für Kleinstkinder zu schaffen, neben der Quantität auch die notwendige Qualität bedeute, müsse sich zeigen. «Und genau das steht im Koalitionsvertrag», betont Brandt. Insgesamt könnten die Gelder die Ansprüche des Koalitionsvertrags nicht erfüllen, weil CDU und FDP «riesige Haushaltslöcher» hinterlassen hätten.

CDU und FDP streiten das ab und sehen stattdessen ihre schlimmsten Befürchtungen im rot-grünen Zahlenentwurf bestätigt. Mehr Schulden, spätere Schuldenbremse und Bildungsreformen zulasten der Gymnasien seien die falschen Signale und einer «ideologiereichen Bildungspolitik» geschuldet.

Pünktlich zur ersten Landtagssitzung nach der Sommerpause dürfte es mit der Kritik weitergehen – im Plenum durch CDU und FDP und vor dem Landtag durch die Lehrer. Die GEW hat bereits für den 29. August zu einer Demonstration nach Hannover geladen. MARCO HADEM, dpa

Zum Bericht: „Niedersachsen: Trillerpfeifen und Appelle zum Auftakt der Haushaltsklausur“

 

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wetterfrosch
10 Jahre zuvor

In den vergangenen Jahren haben die Lehrer vielleicht zu sehr gezeigt, dass sie alles mit sich machen lassen und nicht gegen unnötige Bürokratie und unsinnige Reformen aufbegehren.
Dieser Mangel an Gegenwehr lädt dazu ein, ihnen weitere Dinge zuzumuten.
Schade, dass der Öffentlichkeit immer nur Proteste gezeigt werden, wenn es um den Geldbeutel geht und nicht um Schüler und vernünftigen Unterricht.
Dem Ansehen der Lehrer hätte ein Aufbegehren gegen falsche Weichenstellungen sicher gut getan, weil es von autonomem Denken, gesundem Menschenverstand und Fürsorge für die Schüler gezeugt hätte.
Leider legt sich auch die GEW als Sprachrohr der Lehrer immer nur besonders ins Zeug, wenn es um Geld geht. Auch das registriert die Öffentlichkeit und macht sich ihr Bild von der Klientel dieser Gewerkschaft.