«Azubi dringend gesucht» – doch an Bewerbern mangelt es nicht

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BERLIN. Die Wirtschaft ruft nach Lehrlingen und klagt, dass viele Stellen nicht zu besetzen sind. Doch an Bewerbern mangelt es noch nicht. Was fehlt, ist der Wunschkandidat am richtigen Ort.

Immer häufiger prangt in diesen Tagen an Betrieben das Schild: «Auszubildende dringend gesucht». Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag spricht von 100 000 unbesetzten Lehrstellen. Bei den Arbeitsagenturen sind wenige Wochen vor Beginn des neuen Ausbildungsjahres noch 146 000 freie Plätze im Angebot. Droht nach dem jahrelangen Mangel an Ausbildungsplätzen nun ein noch drastischerer Mangel an Bewerbern?

Lehrlinge
Anforderungen der Betriebe und Vorbildung der Jugendlichen haben sich drastisch auseinanderentwickelt. Foto: BIBB

«Vorsicht!», sagen Arbeitsmarkt- wie Berufsbildungsexperten und mahnen zu einer differenzierteren Betrachtung. Noch immer sind bei den Arbeitsagenturen aktuell über 200 000 junge Menschen auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz. Weitere 250 000 befinden sich in «Warteschleifen» zwischen Schule und Beschäftigungssystem. Das sind vom Staat oder den Arbeitsagenturen finanzierte Nachqualifizierungen, deren Nutzen von Berufsforschern zum Teil massiv bezweifelt wird.

Anforderungen und Wünsche der Wirtschaft an die Bewerber sowie die schulische Vorbildung der Jugend hätten sich in den vergangenen Jahren immer mehr auseinanderentwickelt, stellt der Sozialforscher Martin Baethge fest, der seit Jahren für Bund und Länder im Bildungsbericht die Ausbildungssituation regelmäßig analysiert.

Der klassische Hauptschüler findet heute unmittelbar nach der Schule äußert selten eine Lehrstelle – selbst mit Bestnoten nicht. Folge sind in der Regel langwierige Nachqualifizierungen – bisweilen sogar über mehrere Jahre hinweg. Im Schnitt sind die jungen Menschen bei Eintritt in eine betriebliche Lehre heute 19,6 Jahre alt. Und dieser Altersschnitt wurde nicht nur durch die vielen Abiturienten in die Höhe getrieben, die heute eine betriebliche Ausbildung beginnen, wie eine Untersuchung des Bundesinstituts für Berufsbildung unlängst belegte.

Die Kammern haben den demografischen Wandel und den drohenden Fachkräftemangel im Blick und tun Einiges, um die Betriebe zu einer Ausbildung «auf Vorrat» zu bewegen. So hat das Handwerk jetzt ein «Lehrstellenradar» eingerichtet: Über eine mobile App werden Schulabgänger und Eltern via Handy zu freien Lehrstellenangeboten in unmittelbarer Nachbarschaft gelotst. Auch der DIHK wirbt massiv bei den Betrieben. Das Bundesbildungsministerium finanziert unter anderem Ausbildungsberater, die in diesen Wochen täglich Unternehmen abklappern.

Gleichwohl fürchten Berufsbildungsexperten für diesen Herbst einen leichten Rückgang des Lehrstellenangebotes und der Vertragszahl – während die Zahl der Bewerber gegenüber dem Vorjahr diesmal noch nahezu konstant bleiben dürfte. Als Ursache gelten mögliche Unsicherheiten über die wirtschaftliche Entwicklung und zunehmende Probleme der Betriebe, ihren «idealen» Wunschbewerber zu finden.

Das deutsche Ausbildungssystem steht derzeit im internationalem Blickfeld, weil hierzulande die Jugendarbeitslosigkeit im Vergleich mit den südeuropäischen Krisenländern relativ niedrig ist und in der Bundesrepublik der Übergang zwischen Schule und Beruf trotz bekannter Probleme insgesamt besser zu gelingen scheint. Euphorisch preisen deutsche Politiker das duale System mit der Kombination von betrieblicher Lehre und staatlicher Berufsschule gar als «deutschen Exportschlager» für das Ausland.

Experten raten zu mehr Gelassenheit. Denn ein dafür notwendiges Kammersystem – ebenso wie das erforderliche Zusammenspiel von Arbeitgebern und Gewerkschaften – das alles lässt sich in anderen Ländern nicht so einfach aus dem Boden stampfen.

Unter großer medialer Begleitung hat die Bundesregierung einige hundert arbeitslose spanische Jugendliche nach Deutschland geholt, die ab Herbst in Regionen mit Bewerbermangel eine Lehre absolvieren sollen. «Die jungen Spanier sind uns natürlich willkommen», sagt die neue DGB-Vize Elke Hannack. «Gleichwohl dürften die Unternehmer aber die vielen Hauptschüler in Deutschland nicht vergessen, die seit Jahren bislang vergebens eine Lehrstelle suchen», mahnt der Deutsche Gewerkschaftsbund. Karl-Heinz Reith/dpa

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