Noch viele offene Lehrstellen – Betriebe halten Bewerber oft für wenig reif

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BERLIN. Anfang September beginnen viele Lehrlinge ihre Ausbildung. Trotzdem sind allein in Berlin nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit noch über 4000 Ausbildungsplätze frei. Betriebe halten Bewerber oft für nicht reif genug.

Rund eine Woche vor dem Start des neuen Ausbildungsjahres sind in Berliner Betrieben noch zahlreiche Lehrstellen unbesetzt. Gleichzeitig haben viele Jugendliche aber noch keinen Vertrag in der Tasche. Unternehmen und Wirtschaftsvertreter bemängeln, viele Bewerber seien nicht ausbildungsreif. Im Kampf um die qualifiziertesten Azubis winken manche Betriebe gar mit dem ersten eigenen Dienstwagen. Aber auch Schulungsprogramme, um junge Menschen auf eine Ausbildung vorzubereiten, gibt es immer mehr.

Immer mehr Firmen klagen darüber, keine Auszubildenden zu finden. Foto: ME-Arbeitgeber / Flickr (CC BY 2.0)
Immer mehr Firmen klagen darüber, keine Auszubildenden zu finden. Foto: ME-Arbeitgeber / Flickr (CC BY 2.0)

Allein für Berlin zählt die Bundesagentur für Arbeit jüngsten Daten zufolge noch 4750 freie Ausbildungsstellen. Allerdings sind dort auch noch 7860 unversorgte Bewerber registriert. Der Pressesprecher der Industrie- und Handelskammer (IHK) Berlin, Leif Erichsen, warnt aber: «Diese Zahlen sind mit Vorsicht zu genießen. Ein klares Bild ergibt sich erst Ende September.» Dann muss per Gesetz Bilanz gezogen werden.

Erichsens Pendant bei der Bundesagentur für Arbeit Berlin-Brandenburg, Olaf Möller, versteht diese Bedenken nicht. Es gebe eben keine Pflicht, sich zu melden. «Die Nachfrage ist höher als das Angebot. Das ist nach den vorliegenden Zahlen einfach so», betont er.

Einige Betriebe und Experten sehen das aber anders. «Wir haben noch nicht das gravierende Problem, unsere Plätze zu besetzen. Die Bewerbungen haben in der Qualität aber schon nachgelassen», sagt Sabine Thümler, Sprecherin der Berliner Stadtreinigungsbetriebe (BSR). «Junge Menschen gehen oft mit den falschen Vorstellungen an eine Ausbildung heran», bemängelt auch Erichsen. «Viele bekommen hier Disziplin nicht vorgelebt.» Erschwert wird die Suche nach dem passenden Auszubildenden auch durch den demografischen Wandel. Weniger Schulabgänger gleich weniger potenzielle Kandidaten – so die einfache Rechnung. Sind die wenigen auch noch schlechter?

«Nein», sagt Martin Baethge, der Soziologie-Professor an der Ernst-August-Universität Göttingen ist. «Die Klage, viele Jugendliche seien nicht ausbildungsreif, konnte man schon die letzten 50 Jahre immer hören.» Baethge analysiert seit Jahren für Bund und Länder regelmäßig im Bildungsbericht die Ausbildungssituation. Die ganz große Aufgabe des nächsten Jahrzehnts bestehe darin, die Jugendlichen, die am unteren Ende der allgemeinbildenden Abschlüsse stehen, in die Ausbildung zu integrieren, sagt er. Dies sei aber auch Aufgabe der Betriebe.

Und die Botschaft scheint angekommen zu sein. Programme für eben diese Jugendlichen werden auf die Beine gestellt. «Gemeinsam schaffen wir das» und «Berlin braucht Dich!» heißen die Initiativen der Stadtreinigungsbetriebe in der Hauptstadt.

In einen Fachkräftemangel laufe man trotzdem hinein, mahnt Leif Erichsen von der IHK Berlin. Die beste Lösung sei, die Fachkräfte selbst auszubilden. Für die großen Unternehmen kein Problem, sagt er, «aber für den kleinen Mittelstand, der Berlin prägt», schon. Festgestellt hat dieses Problem auch die Handwerkskammer in Berlin. Kurz vor Toreschluss sind dort noch 388 freie Lehrstellen verzeichnet. Genug Bewerber? Fehlanzeige. «In Berlin würde ich noch nicht alle Alarmglocken läuten. Allerdings könnte man langsam zum Schalter gehen, um sie anzuschalten. Es gibt aber auch Regionen, wo es deutlich schlechter aussieht», sagt die Referatsleiterin für Ausbildungsberatung Katharina Schumann.

Im Kampf um die besten Azubis setzen Betriebe vermehrt auf zusätzliche Anreize für die Jugendlichen – vom eigenen Dienstwagen bis hin zum Handy. Während Erichsen beobachtet, dass immer mehr Unternehmen auf solche Zusatzangebote zurückgreifen, hält Schumann das für «Einzelerscheinungen». Der klassische Handwerksbetrieb könne und wolle sich solche Dinge nicht leisten. Mario Geisenhanslüke/dpa

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