Inklusion – FDP wirft Regierung „Maulkörbe“ für Lehrer vor

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DÜSSELDORF. Alle sind für Integration. Wie das beim gemeinsamen Unterricht mit Behinderten konkret aussehen soll, ist aber umstritten. Vor allem für Lehrer, meint die FDP. Die dürften dazu gar nichts Kritisches sagen. 

Die FDP-Opposition hat dem nordrhein-westfälischen Schulministerium vorgeworfen, Lehrern keine offene Kritik zum geplanten Unterricht mit Behinderten zu erlauben. Die rot-grüne Koalition will möglichst viele behinderte Kinder in Regelschulen bringen. Lehrer, die sich öffentlich kritisch zu dem Gesetzentwurf äußerten, würden von Vorgesetzten einbestellt, sagte FDP-Landtagsfraktionschef Christian Lindner in Düsseldorf. Entsprechende Vorwürfe seien auch schon vor den Sommerferien in einer Anhörung des Schulausschusses erhoben worden.

Das Ministerium wies das zurück. Einen «Maulkorb» gegen kritische Äußerungen gebe es nicht, sagte eine Sprecherin auf Anfrage. Sie forderte Lindner auf, konkrete Fälle zu benennen. Der meinte, nur Lob am Ministerium sei Lehrern noch erlaubt.

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Sieht das Gymnasium in Baden-Württemberg und in Nordrhein-Westfalen von Rot und Grün bedroht: Christian Lindner. Foto: Dirk_Vorderstraße / flickr (CC BY 2.0)
Christian Lindner . Foto: Dirk_Vorderstraße / flickr (CC BY 2.0)

Die Landesregierung will für behinderte Kinder schrittweise ab dem Schuljahr 2014/15 einen Rechtsanspruch auf Unterricht in Regelschulen verankern. Der Gesetzentwurf ist in Fachkreisen höchst umstritten. Dennoch soll das Gesetz schon in diesem Monat verabschiedet werden. Da Deutschland die UN-Konvention über die Rechte Behinderter unterzeichnet hat, muss die «Inklusion», also die Einbeziehung von beeinträchtigten Menschen in allen gesellschaftlichen Bereichen von Geburt an, auch in der Schule umgesetzt werden.

Lindner forderte die Regierung auf, den Entwurf zurückzuziehen und zu überarbeiten. Er schaffe nicht die Voraussetzungen für den Rechtsanspruch, kritisierte der FDP-Politiker. Auf die Kommunen kämen Mehrkosten in Millionenhöhe zu, für die die Landesregierung keine Verantwortung übernehmen wolle. Über eine finanzielle Beteiligung müsse aber mit den kommunalen Spitzenverbänden geredet werden. In dem Entwurf fehlten zudem qualitative Vorgaben für die Umsetzung der Inklusion.

Laut einer repräsentativen Befragung im Auftrag der FDP sind die meisten Bürger in NRW – 42 Prozent – für eine schrittweise Umsetzung des gemeinsamen Unterrichts, 13 Prozent wollen das möglichst schnell. Ein Drittel will getrennten Unterricht. «Das ist ein Weckruf», interpretierte Lindner die Ablehnungsquote. Das Vorhaben eigne sich nicht für Schnellschüsse. Das Schulministerium sieht sich durch die Ergebnisse hingegen auf seinem Weg bestätigt. dpa

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Nathalie
10 Jahre zuvor

Lindner hat Recht, aber nicht nur für NRW. Eine Freundin von mir berichtete aus Niedersachsen. Ihr Schulamtsdirektor hat den Lehrern seines Amtsbereichs deutlich zu verstehen gegeben, dass es Konsequenzen hätte, sollten sie sich in der Öffentlichkeit negativ über die Inklusion äußern.
Hier ist es zwar „nur“ eine Behörde und nicht das Schulministerium, doch jeder kann sich denken, dass da engste Zusammenarbeit stattfindet. Keine Behörde handelt gegen den Willen der Obrigkeit.
Hier bei news4teachers fällt auch immer wieder auf, wie schwer sich Lehrer tun, die Inklusion in Frage zu stellen. Sie wird immer wieder grundsätzlich bejaht und Kritik richtet sich auf zu wenig Geld und mangelndes Personal.
Auch Herr Lindner kritisiert nur halbherzig. Offenbar wagt auch er nicht die Bildungsideologie von Rot/Grün in Frage zu stellen. Zu leicht ist jeder in Gefahr, dann als kaltherzig den „schwachen Schulern“ gegenüber zu gelten. Im Bildungswesen haben Grüne und SPD eindeutig die Meinungshoheit.

Warner
10 Jahre zuvor
Antwortet  Nathalie

Ja, die haben sie ganz sicher. Ich fürchte, dass nicht zuletzt auch die Lehrer zu dieser Meinungshoheit beigetragen haben. Wenn ich korrekt unterrichtet bin, sympathisieren überproportional viele von ihnen schon seit Jahrzehnten mit dem Gedankengut dieser Parteien.
Manfred Güllner, der Forsa-Chef, ist der Meinung, dass die angehenden Lehrer/innen bereits in den Hochschulen entsprechend beeinflusst werden. In einigen anderen Studienfächern wie z.B. Politologie soll es ähnlich sein, weswegen Journalisten und Medien ebenfalls stark linkslastig eingestellt sind.

Grias Di
10 Jahre zuvor
Antwortet  Warner

Auch in Bayern gibt es Maulkörbe und da ist seit Jahrzehnten die CSU an der Macht. Hier werden kritische Lehrer bzw. Schulleiter schnell mal an eine 400 km entfernte Schule versetzt.

Rod
10 Jahre zuvor
Antwortet  Grias Di

OMG
In Hamburg kann man zum Glück nicht so weit versetzt werden!

mehrnachdenken
10 Jahre zuvor
Antwortet  Nathalie

Bei einem Blick in die Kataloge vieler Schulbuchverlage ist die Fülle der Inklusionsliteratur kaum zu übersehen. An sich ist das durchaus begrüßenswert. Dass die Verlage damit natürlich eine Menge Geld verdienen wollen, ist ja aus deren Sicht auch nichts Verwerfliches. Zweierlei fällt mir in den Publikationen auf:
Die Inklusion wird als gut und richtig dargestellt. Mithin also auch die Auflösung der Förderschulen.
Wenn es nach den Autorinnen und Autoren dieser Bücher geht, ist gemeinsamer Unterricht mit Kindern unterschiedlichster Handicaps so gut wie problemlos machbar zu sein.
So easy scheint es aber nicht umsetzbar zu sein. Die Beiträge nicht nur in diesem Forum sprechen da eine klare Sprache.
Wie kommt es zu diesen doch sehr unterschiedlichen Sichtweisen? Wird in den Büchern nur alles schöngefärbt dargestellt oder malen die Bedenkenträger einfach zu schwarz?
Mir fällt ebenfalls noch auf, dass auch in diesem Forum die Kritiker mehr oder weniger unter sich bleiben. Ich vermisse den Widerspruch der Bücherschreiber oder starken Anhänger des inklusiven Lernens.

Rod
10 Jahre zuvor

Meine ersten Erfahrungen mit Inklusion haben mich völlig schockiert!:
Liebe Politiker und Befürworter, macht das selbst mal ein paar Wochen mit 8 I-Kindern in einer Klasse von denen die Akten teilweise mehrere cm dick sind, nicht weil sie nicht lernen können, sondern weil sie emotional gestört sind. Ein regulärer Unterricht ist nur selten möglich. Redet nur alle von Chancengleichheit und schickt Eure eigenen Kinder auf Privatschulen oder zumindest an das Gymnasium, da geht noch was?

vuchs
10 Jahre zuvor

Die UNO Charta zielt auf eine gesellschaftspolitische Veränderung, die unsere Gesellschaft menschlicher macht. Auch wenn Schule ein wichtiger Bereich ist und deshalb in Form der „Inklusion“ einbezogen wird, vermisse ich doch eindeutig die notwendigen gesellschaftspolitischen Initiativen zu einer stärkeren Eingliederung Behinderter in alle gesellschaftlichen Bereiche – oder glaubt jemand ernsthaft daran, gegen die öffentliche Meinungsmache a´la Bohlen oder Heidi Klum mit ihrer unsagbaren Engführung des Menschen auf hübsche Hüllen und rücksichtslose Egomanen oder gar der Diskriminierung Behinderter bei ihrem Versuch der Teilhabe an der Berufstätigkeit könne Schulinklusion bei Kindern ein anderes als diskriminierendes Verhalten bewirken? Hört sich theoretisch an, wird aber brutale Praxis, wenn Behinderte in Schulen als „Opfer“ gemobbt werden! Ob ich mein Kind mit bspw. Downsydrom in den GU schicken würde? Ich weiß es nicht, würde mir aber auf jeden Fall die Schule sehr genau angucken und mir das Elternrecht, mein Kind auf eine Förderschule schicken zu können, auf keinen Fall nehmen lassen. Denn selbst wenn eine Schule ein gutes, soziales Schulklima hat, kann sich dies durch ministerialbürokratische Entscheidungen schnell ändern. So wurden in NRW zum neuen Schuljahr bspw. alle Sonderpädagogen, die in welcher Form auch immer tw. über Jahre in Grundschulen gearbeitet haben, dort heraus gezogen und in den Sekundarbereich geschoben. Nicht, dass sie da nicht auch dringend gebraucht würden. Nur werden stabile Arbeitsbeziehungen, belastbares Vertrauen zwischen Schülern, Eltern und Lehrern dadurch torpediert. Neue Kollegen müssen dies erst wieder neu aufbauen, wenn sie denn die Berufserfahrung haben und nicht erst durch das „Miekätzchen“ FOBASOF eine Schnellausbildung in Sachen Sonderpädagogik absolvieren müssen (und damit den Schulen nur verkürzt zur Verfügung stehen).
Sicher, Inklusion ist auch eine Frage des Geldes, so mache ich bspw. die Erfahrung in Münster, dass viele Schulen weitaus mehr Förderschüler betreuen, als sonderpädagogische Ressource zu Verfügung steht. Aktuell stehen in meiner jetzigen Schule ca 60 Stunden Förderbedarf im ESE – Bereich (ca 20 Schüler mit einem GU-Bedarf von 3 Wochenstunden) meine 25,5 Stunden als ESE-Förderlehrer gegenüber. Der anfangs betonten Beteuerung, dass die Förderung durch die Inklusion nicht gefährdet werde, spricht diese Relation absolut Hohn! Und wenn dann noch völig sinn- und geistfreie Grüne Tisch Maßnahmen stumpf umgesetzt werden, statt sich auf die Suche nach intelligenten Konzepten zu begeben, wie man angesichts des eklatanten Mangels an Sonderpädagogen einer Inklusion schrittweise näher kommt, kann man schon auf die Idee kommen, Inklusion abzulehnen. Tue ich nicht, s.o. Aber alles gegen eine Politik, die gute Förderkonzepte ersatzlos zerstört und Schüler und Lehrer mit dem Problem alleine läßt!

Kinderfreund
10 Jahre zuvor

Machen wir uns doch nichts vor. Die „Inklusion“ ist und bleibt ein willkommenes Sparpaket. Wer das 9. Schuländerungsgesetz richtig gelesen hat, weiß, was da auf unser Bildungssystem zukommt. Bald wird es für Schüler mit dem Förderbedarf Lernen und Emotional-soziale Entwicklung kein Verfahren mehr geben, was einen sonderpädagogischen Förderbedarf feststellt. Demzufolge wird es auch keine Zuweisungen von Förderschullehrern mehr geben. Es wird einen „Pool“ geben bei dem der Sonderpädagoge zwischen den Schulen hüpft, um irgendwas auszurichten, was aber mangels angemessener Rahmenbedingungen nicht oder nur in Ansätzen gelingt. In Wirklichkeit laufen diese „Inklusionsversuche“ schon seit Jahren. Hier habe ich einen Link gefunden. In diesem Tagebuch beschreibt ein/e Sonderpädagoge/in seinen/ihren Arbeitsalltag. Wer sich die Zeit nimmt, um die vielen Tagesberichte zu lesen, weiß wie Realität aussieht.

http://www.lehrerforen.de/board921-lehramt/board6-allgemein/34042-inklusionstagebuch/

Derweil werden gut funktionierende Förderschulen hintenherum ausgeblutet. Von wegen Wahlfreiheit für Eltern. Wer sein Kind demnächst auf einer Förderschule beschult haben möchte, wird die Fahrtkosten in weit entfernte Schwerpunktsschulen selbst tragen müssen.
Was wird bloß aus diesen Kindern, wenn sie die Schule verlassen. Die Förderschulen haben eine hervorragende Berufsvorbereitung geleistet.
Bisher erlebe ich nur das reinste Chaos.Ständig finden Sitzungen statt in denen irgendwelche Konzepte erstellt werden, die an den Rahmenbedingungen scheitern: Wertvolle Zeit, die eigentlich für Unterricht und dessen Vorbereitung genutzt werden könnte.

LaForge2002
10 Jahre zuvor
Antwortet  Kinderfreund

Der Link ist leider tot bzw. ich kann ihn nicht öffnen. Funktioniert er bei Ihnen?

mehrnachdenken
10 Jahre zuvor
Antwortet  LaForge2002

Ja, bei mir funktioniert er.