Kein Job für Helden – Erste Bombenentschärferin in NRW

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ARNSBERG. «Helden sind in diesem Job nicht gefragt», sagt die erste Bombenentschärferin Nordrhein-Westfalens im Staatsdienst, Tanya Beimel. Für die 43-Jährige ist es ein Traumjob.

Ihr Titel nimmt fast die halbe Visitenkarte ein: «Fachtechnische Aufsicht in der Kampfmittelbergung Befähigungsscheininhaberin nach § 20 Sprengstoffgesetz». Tanya Beimel ist Sprengmeisterin, die einzige Frau in diesem Beruf im nordrhein-westfälischen Staatsdienst. Seit dem 1. Juli hat sie schon vier Bomben entschärft. «Für mich ist das wie ein Sechser im Lotto», sagt die 43-Jährige.

Mit Glück hat ihre Arbeit ansonsten wenig zu tun. «Wenn ich vor so einer Bombe stehe, ist meine Aufgabe relativ einfach: Es gibt zwei Möglichkeiten: entschärfen oder sprengen.» Dabei gehe sie kein Risiko ein. «Wir machen nie etwas, wenn die Chancen 50 zu 50 stehen.» Helden seien hier nicht gefragt. Und Beimel zitiert ihren Ausbilder: «Helden sterben in der ersten Reihe. Ich hoffe, Sie sind nicht dabei.»

Ihre erste Handgrnate hat Beimel während ihrer Ausbildung gesehen - hier eine Jugoslawische Handgranate M52, umfunktioniert zu Sprengfalle mit Zug-Auslösung durch Stolperdraht. (Foto: MoserB/Wikimedia public domain)
Ihre erste Handgranate hat Beimel während ihrer Ausbildung gesehen – hier eine Jugoslawische Handgranate M52, umfunktioniert zu Sprengfalle mit Zug-Auslösung durch Stolperdraht. (Foto: MoserB/Wikimedia public domain)

Tanya Beimels Weg war nicht vorgezeichnet. In Bayern geboren und aufgewachsen machte sie nach dem Abitur ein Fernstudium als Sportfachwirtin und leitete später Tennis- und Squashcenter. Dann brachte sie ein schwerer Autounfall ins Grübeln. «Da habe ich überlegt: War das jetzt mein Leben?»

Angespornt durch die Erzählungen einer befreundeten Kriegsreporterin und eine Reportage über die frühere Minenräumerin Vera Bohle krempelt Beimel ihr Leben um. «Als ich das von Vera Bohle im Radio hörte, wusste ich sofort: Das isses.» 2004 meldet sie sich bei der Dresdner Sprengschule an.

Dort haben seit 1992 knapp 5000 Menschen eine Ausbildung zur Kampfmittelbeseitigung gemacht. «Vielleicht 15 davon waren Frauen», sagt Beimels damaliger Dozent Bernd Lausch heute. «Das ist immer noch eine Männerdomäne.» Bei Tanya Beimel hätten die Männer aber schnell gemerkt: «Das Mädel hat was drauf.»

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Beim ersten von drei Lehrgängen sind noch zwei, drei andere Frauen dabei, am Ende ist Tanya Beimel die einzige. «Die Männer haben es leichter, die haben meist Erfahrungen von der Bundeswehrzeit», sagt Beimel. «Ich habe in Dresden zum ersten Mal eine Handgranate gesehen.» Der Familie hat die junge Frau zuerst nichts von ihrer neuen Ausbildung erzählt. «Später hat meine Mutter gesagt: „Mir wird ganz schlecht, kann das nicht jemand anderes machen?“»

Und hat sie manchmal Angst? «Keine Angst, nur Respekt», versichert die Frau mit der blonden Kurzhaarfrisur. Besonders Minen und kleine Munition wie Zwei-Zentimeter-Geschosse seien gefährlich. «Die haben ein filigranes Zündsystem. Wenn das verrottet ist, haben wir schneller ein Problem als mit einer soliden Bombe.»

Keine Regel ohne Ausnahme. Schwer berechenbar seien die Bomben mit chemisch-mechanischem Zünder. Folgendes Szenario: «Ich komme zu einer Baustelle, wo so eine Bombe gefunden wurden. Ich weiß nicht, ob sie bewegt wurde. Wenn ja, dann kann es sein, dass sich das Aceton schon durch die Celluloidplatte frisst», erklärt Beimel. «Dann habe ich noch ein Zeitfenster von 30 Minuten bis zu 144 Stunden.»

2010 sind drei Kollegen von Beimel getötet worden, als so eine Bombe in Göttingen explodierte. Dennoch will die 43-Jährige ihrer Arbeit im Dienste der Bezirksregierung Arnsberg treu bleiben. Die Eltern seien inzwischen ungeheuer stolz auf ihre Tochter. Und auch die drei Patenkinder finden den Job ihrer Tante «cool». «Die basteln mir im Kindergarten Raketen.»

Um ausreichend Arbeit muss sich Beimel keine Sorgen machen. «Wenn die Kampfmittelräumer in Deutschland im bisherigen Tempo weitermachen, haben wir im Westen noch Arbeit für 100 Jahre, in Ostdeutschland sogar für 300 Jahre.» Matthias Benirschke/dpa

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