Experte: Lesekultur entsteht am elterlichen Frühstückstisch

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MAINZ. Kinder, deren Eltern am Frühstückstisch Zeitung lesen, informierten sich später selbstverständlich und regelmäßig über aktuelle Themen und könnten besser über gesellschaftliche Fragen mitentscheiden, so der Mainzer Wissenschaftler Prof. Gregor Daschmann. «Mündige Bürger müssen lesen», sagte Daschmann im Interview. Das Surfen im Internet könne die breite Zeitungslektüre nicht ersetzen. Daschmann forscht und lehrt am Institut für Publizistik der Universität Mainz.

Frage: Wie wird Zeitunglesen gelernt?

Ganz klar im Elternhaus, wenn die Eltern beim Frühstück Zeitung lesen. Es ist ein langsames Lernen. Jungen nehmen als erstes mit zehn oder elf Jahren den Sportteil, die Mädchen schlagen als erstes die Promiseite auf. Die machen dann die Erfahrung, dass es in den Ressorts, für die sie sich in dem Alter interessieren, durchaus gedruckte Nachrichten gibt, die sie interessant finden. Nach solchen positiven Erfahrungen schauen sie plötzlich auch die anderen Ressorts an. Jugendliche aus sogenannten zeitungsfernen Haushalten später noch zu gewinnen, ist außerordentlich schwer.

Zeitungslesender Junge
Zeitungsleser verbessern Wortschatz, Ausdrucksvermögen und Schreibfähigkeit, so der Mainzer Wissenschaftler Prof. Gregor Daschmann. Foto: Stephanie / Hofschlaeger_pixelio.de

Frage: Ist die Zeitung im Internet-Zeitalter noch eine zeitgemäße Informationsquelle?

Die jungen Leute, die sagen, Zeitung lesen sei altbacken und unmodern, die haben es in der Regel nie ausprobiert. Wenn sie im Web etwas lesen, lesen sie ja im Grunde den gleichen Inhalt, das ist ja nur eine andere Distributionsform. Es erscheint ihnen da aber viel moderner. Das eigentliche Problem ist: Die meisten Jugendlichen aus zeitungsfernen Haushalten lesen gar nicht – oder nur, wenn ihnen auf Facebook jemand etwas empfiehlt. Und dieses Verhalten korreliert stark mit Bildung, das heißt Gymnasiasten lesen eher als Jugendliche mit niedrigerem Bildungsniveau. Deshalb haben wir bei den Azubis eine zeitungs- und nachrichtenferne Klientel. Das ist wie bei allen Altersgruppen: Lesen geht mit Bildung einher. Wortschatz, Ausdrucksvermögen und Schreibfähigkeit werden durch regelmäßige Lektüre verbessert und trainiert – alles Fähigkeiten, die heute Bedingungen für beruflichen Erfolg sind.

Frage: Kann man das, was vielleicht im Elternhaus versäumt wurde, nachholen – also kann man Menschen nachträglich für das Lesen gewinnen und begeistern?

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Damit Betroffene selbst die Erfahrung machen, dass ihnen das etwas bringt – das geht nicht in vier Wochen. Und es geht um eine nachgeholte Lesesozialisation. Ob sie später im Netz lesen oder anderswo, ist eine andere Frage. Wenn ich aber nicht rechtzeitig gegen eine Kultur der Lesefeindlichkeit angehe, dann wird es ganz schlimm, denn dann rettet uns auch das Internet nicht. Lesekultur ist unabdingbar, und Lesen macht ja auch noch Spaß.

Frage: Im Netz gibt es alles, was auch in der Zeitung steht – warum dann noch Zeitung lesen?

Man muss zwischen Angebot und Nutzung unterscheiden. Im Internet steht alles drin – eine unendliche Vielfalt. Aber vieles wird wenig oder gar nicht genutzt. Es gibt eine Konzentration. Die größten zehn Anbieter – Facebook, Google und Co. – erhalten 60 Prozent aller Klicks. Im Netz findet man alles, was man sucht, aber vieles wird eben nicht abgerufen. Und auch in Online-Zeitungen wird weniger gelesen als in der gedruckten Ausgabe. Dort wird immer die ganze Seite gescannt, wenn man einen Artikel liest. Und dann fallen auch andere Überschriften ins Auge, die man vielleicht sonst nicht gesehen hätte. Das ist ein großer Vorteil der gedruckten Zeitung. Im Netz müssen Sie aktiv werden und einen solchen Artikel anklicken. Das passiert seltener. In der Online-Gesellschaft weiß man nur gezielt – das, wofür man sich sowieso interessiert. Allgemeinbildung geht verloren.

(Interview: Sabine Ränsch, dpa)

zum Bericht: Lesen und Rechnen gegen den Schulabbruch

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mehrnachdenken
10 Jahre zuvor

Am Frühstückstisch Zeitung lesen? Ja, wenn ich dort alleine sitze. Sobald aber eine zweite Person – egal ob Kind oder Erwachsener – Platz nimmt, halte ich es für ausgesprochen unhöflich, mich dennoch weiter hinter der Zeitung zu „verstecken“. Natürlich wende ich mich dann der anderen Person zu und unterhalte mich mit ihr.
Dieses Bild vom Zeitung lesenden Mann und der Frau, die mehr oder weniger gelangweilt/lustlos das Brötchen mit Konfitüre bestreicht, steht wohl eher für eine Ehe/Partnerschaft, in der sich beide nicht mehr viel zu sagen haben.
Die Eltern lesen beim Frühstück Zeitung, und lassen ihr(e) Kind(er) „links liegen“? Wo gibt’s denn sowas? Konstruiert der Professor den Zusammenhang: Eltern lesen Zeitung – Kind schnappt sich auch eine? Nun ja, das mag wohl vorkommen, aber lieber haben es die Kinder bestimmt, wenn sich die Eltern ihnen direkt zuwenden.
Zeitung lesen am Frühstückstisch? Das gab’s in meinem damaligen Zuhause nicht. Dennoch haben mich die Printmedien seit meiner Kindheit nicht mehr losgelassen.