Im Interview: Wie „beide Seiten“ von Inklusion profitieren

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KONSTANZ. Inklusion war das Schwerpunktthema beim diesjährigen Deutschen Lehrertag in Dortmund und die Redner sparten nicht mit Kritik an der Politik. Der 12-jährige Felix ist geistig behindert und geht seit vier Jahren auf eine Gemeinschaftschule in Konstanz. Dort wird er zusammen mit nichtbehinderten Kindern unterrichtet. Ein Glücksfall, sagt sein Vater Dirk Tinner – denn dort bekommt er Anreize, die er auf einer reinen Sonderschule vielleicht nicht hätte.

Wie profitiert Felix vom gemeinsamen Unterricht mit nichtbehinderten Kindern?

Ich glaube, allein deshalb, weil das die Situation ist, die das Leben am besten widerspiegelt. Er lebt in einer Welt mit nichtbehinderten Menschen und hat die Möglichkeit, mit anderen Menschen zusammen zu lernen, mit denen er später auch zusammenleben soll. Wir hoffen, dass er so die Möglichkeit hat, sich besser im Leben zurecht zu finden.

Was lernt er von seinen Mitschülern?

Antwort: Er sieht bei ihnen manchmal Anzeize oder Modelle, die er in dieser Art und Weise an einer reinen Sonderschule nicht sehen würde – beispielsweise die Möglichkeit zu schreiben und zu lesen. Er merkt: Man kann so etwas lernen, das ist hier sogar die Regel. Wir haben festgestellt, dass er sich dadurch anspornen lässt, weil er in einer Umgebung aufwächst, in der so etwas alltäglich ist. Er kann mit Sachen umgehen, mit denen er in einer Sonderschule vielleicht weniger gut umgehen könnte.

Und was lernen die Mitschüler umgekeht von Felix?

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Was wir oft zu hören bekommen, ist, dass behinderte Kinder manchmal mit einer sehr großen Mühe und sehr großem Einsatz und viel Arbeit versuchen, sich etwas zu erschließen. Ihre Fähigkeiten sind zum Teil nicht so groß und deswegen müssen sie um kleine Fortschritte viel mehr ringen. Und das kann man auch sehen. Bei den anderen Kindern entsteht dadurch oft eine andere Motivation, sich etwas zu erarbeiten. Und bei vielen ergibt sich ein natürliches Miteinander – je besser man sich kennt, um so mehr bekommt man ein Gespür dafür, was alleine geht und was nicht so gut alleine geht.

Viele Eltern befürchten, dass ein nichtbehindertes Kind in einer Inklusionsklasse nicht so gut vorankommt. Können Sie das nachvollziehen?

Das ist schwer, darauf eine Antwort zu geben. In gewissem Rahmen kann ich das verstehen. Ich glaube allerdings, dass es durch die Arbeitsweise an der Schule von Felix gar nicht erst auftritt. Dort arbeiten sie viel mit individuellen Arbeitsplänen. Ich kann mir das letztendlich auch nur so vorstellen, wie das dort läuft. Dass die Lehrer sich viel Zeit dafür nehmen, welchen nächsten Schritt der Schüler als nächstes tun kann und das mit ihm gemeinsam besprechen. So hat man die Möglichkeit, in einer Gruppe, in der die Fähigeiten so unterschiedlich sind, auch voranzukommen. (dpa)

zum Bericht: Deutscher Lehrertag: Beckmann warnt Politiker vor einem Scheitern der Inklusion

zum Bericht: VBE-Umfrage: Deutsche wollen Inklusion – aber nur in kleineren Klassen

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