„Die Ausbildung ist besser als draußen“

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NEUMÜNSTER. Die Berufsschullehrer kommen auf Hausbesuch, weil die Schüler nicht zu ihnen kommen dürfen: Eine Ausbildung im Gefängnis erhöht die Chance, nach der Entlassung nicht wieder auf die schiefe Bahn zu geraten. Experten bescheinigen den Azubis gute Fähigkeiten. Doch diese Form der Resozialisierung gibt es nicht zum Nulltarif.

Es riecht nach frischem Brot, dem Urkunden an der Wand beste Qualität bescheinigen. Ein Azubi schiebt einen Wagen mit Backblechen herein. In der Backstube sieht es aus wie in anderen auch – wären da nicht die Gitter an den Fenstern. Wir sind in Neumünster im größten Gefängnis Schleswig-Holsteins. Der Azubi ist einer von momentan 382 Häftlingen. 307 gehen einer Beschäftigung nach, 377 könnten es maximal. Der 20-Jährige lobt, wie seine Bäckerlehre läuft. «Die Ausbildung ist besser als draußen, dort schrubbt man erstmal ein Jahr lang.»

Ausbilder und Jugendlicher - Gefängnisse bieten Jugendlichen oft gute Ausbildungsbedingungen. Foto: ctmoraga /flickr (CC BY-NC 2.0)
Gefängnisse bieten Jugendlichen oft gute Ausbildungsbedingungen. Foto: ctmoraga /flickr (CC BY-NC 2.0)

Wenn der Azubi nach seiner Gesellenprüfung im August und dann mehr als zweieinhalbjähriger Haft in Freiheit einen Job als Bäcker bekommt und dort Fuß fasst, wäre das Ziel erreicht. Das ist nicht immer so, die Rückfallquote ist hoch. Doch mit Berufsabschluss wächst die Chance, nicht wieder auf der schiefen Bahn zu landen. «Unseren Azubis bescheinigen Innungsmeister sehr gute handwerkliche Fähigkeiten», sagt der Leiter der Arbeitsverwaltung in Neumünster, Markus Braubach.

Das geht nur, weil sich die Ausbilder intensiver um relativ wenige Azubis kümmern können, als es draußen möglich ist. Das kostet. «Die Resozialisierung gibt es nicht für Null», sagt Anstaltsleiterin Yvonne Radetzki (43), seit Jahresbeginn im Amt. «Die Gefangenen sind draußen durchs Netz gefallen und brauchen mehr Hilfe als andere.»

Die Hilfe nimmt ein Trockenbaulehrling gern an. «Die Ausbildung bringt Spaß, der Meister nimmt sich Zeit, was zu erklären», sagt der 22-Jährige beim Bauen einer Kommode. Nach der Entlassung möchte er eine Ausbildung zum Zimmermann dranhängen. «Draußen will ich Gas geben und meinen Platz im Leben finden.» Ein Tischlerlehrling blieb freiwillig länger hinter Gittern, um dort die Ausbildung zu beenden.

Weil Arbeit und Ausbildung Abwechslung bringen, drücken sich nur wenige. Es besteht Arbeitspflicht für 38,7 Wochenstunden. Wer «blaumachen» will, muss sich krankschreiben lassen. Der Krankenstand ist gering. Ein weiterer Grund zu arbeiten ist das Geld. 2986,20 Euro erhalten Strafgefangene in der mittleren Vergütungsgruppe – im Jahr. Wer grundlos nicht arbeitet, bekommt kein Geld. Der Fernseher kann ihm ebenfalls entzogen werden.

Von 68 000 Gefangenen in Deutschland fielen 2012 rund 61 Prozent in die Rubrik «beschäftigt». Schleswig-Holstein lag bei fast 1300 Häftlingen – derzeit 1200 – leicht darüber und bei der Ausbildung noch viel besser. «Darauf haben wir den Schwerpunkt gelegt», sagt Abteilungsleiter Johannes Sandmann aus dem Justizministerium. Auch Hauptschulabschlüsse, Deutsch als Zweitsprache, Alphabetisierungs- und EDV-Kurse gibt es. Dass ein Jugendlicher in der Anstalt Schleswig Abi machte, blieb natürlich Ausnahme. «Die Gefangenen sollen nach der Haft mit der Fähigkeit herausgehen, sich eine Existenz aufbauen zu können», sagt Sandmann zum grundsätzlichen Anliegen.

Zentrale Ausbildungsanstalt ist Neumünster mit Trockenbau, Tischlerei, Bäckerei, Schlosserei, Maschinenbau, Küche und anderen Gewerken. Besonders gefragt sind Gebäudereiniger. «Wir achten darauf, dass die Berufe auch draußen nachgefragt werden», sagt Sandmann.

In Neumünster kommen bis zu 20 Berufsschullehrer ins Gefängnis. Hat jemand eine Ausbildung hinter Gittern absolviert, ist das aus seiner Bescheinigung nicht ersichtlich. Manch Azubi verlor eine Lehrstelle draußen wegen Disziplinlosigkeit. Da es drinnen an Ablenkung mangelt, fällt die Konzentration auf Arbeit und Lehre leichter. Oft kommen Gefangene mit großen Defiziten. Eignungstests offenbaren ihre handwerklichen und motorischen Fertigkeiten; danach wird über die Art der Arbeit oder Ausbildung entschieden.

Gearbeitet wird auch an modernem Gerät: 100 000 Euro kostete eine CNC-Drehmaschine, die in Neumünster steht. Um acht Azubis kümmert sich Meister Lars Friederici im Maschinenbau. «Unsere Ausstattung soll den Anforderungen einer modernen Ausbildung genügen», sagt Arbeitsverwaltungsleiter Braubach.

Was drinnen gebaut wird, reicht von Möbeln für die Gefängnisse über Schränke für Gerichte oder Grillkörbe für Private bis zu Vordachkonsolen für Häuser. Kunden sind oft lokale Handwerks- und Industriebetriebe, wenn sie Auftragsspitzen nicht mit eigenem Personal schaffen. So verdienen die Gefängnisse Geld, aber es bleibt ein Minusgeschäft. Der Landesbetrieb Vollzugliches Arbeitswesen erzielte 2012 Umsatzerlöse von 2,7 Millionen Euro, benötigte aber noch einen Landeszuschuss von 920 000 Euro.

Nach Eindruck der CDU-Landtagsabgeordneten Barbara Ostmeier, die im Beirat der JVA Neumünster sitzt, leisten die Gefängnisse gute Arbeit und pflegen Kontakte zur Wirtschaft. Sie wünscht sich, dass auch Frauen zeitgemäße Angebote nutzen können. «Das alte Frauenbild nach dem Motto „Stricken, Nähen, Kochen“ sollte nicht mehr gelten.»

Auch Politiker bestellen bei der JVA Neumünster. Gern essen sie Weihnachtsstollen von dort. Und das Kabinett von Torsten Albig lässt sich das Mittagessen aus der dortigen Lehrküche schmecken. (Wolfgang Schmidt, dpa)

zum Bericht: Lieber Unterricht als Zelle: Schule im Gefängnis

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