Sozialen Chancenausgleich in der Schule muss niemand fürchten, aber jeder wollen

0

Ein Gastkommentar von Lisa Nimmervoll/der Standard

WIEN. Die österreichischen Schulen waren beim „Qualitätscheck“, alle. Getestet wurde, wie es ihnen gelingt, den Schülern in der vierten Volksschulklasse das Mathematik-Wissen zu vermitteln, das „Standard“ für alle sein soll, und wie es bei den Schülern in der achten Schulstufe mit deren Englischkenntnissen aussieht.

Das Ergebnis ist zum Teil no na und beruhigend: Wie anders als klar besser sollten denn die Gymnasien, die auf eine vorsortierte Schülerpopulation zurückgreifen können, bei einer solchen Testung abschneiden?! Alles andere wäre absurd und alarmierend.

Die Fakten: Der Anteil von Kindern mit Eltern, die einen Uni-Abschluss haben, ist in AHS mit 43 Prozent viermal so hoch wie in Hauptschulen (elf) und dreimal so hoch wie in Neuen Mittelschulen (14). Umgekehrt ist der Anteil der Kinder mit sehr hoher bzw. hoher sozialer Benachteiligung in Hauptschulen (19 Prozent) viermal, in NMS (25) fünfmal höher als in Gymnasien (5). Das sind Rahmenbedingungen, die vieles erklären.

Denn noch immer sind die Schülergruppen, die abgehängt werden, sehr klar zu identifizieren. Soziale Nachteile, die die Kinder von außen mitbringen, manifestieren sich noch immer als schlechtere Bildungsleistungen. Wer Eltern mit wenig Bildung hat, wird selbst wenig Bildung haben. Und „mit Migrationshintergrund“ wird es noch schwieriger, in diesem System zu reüssieren. Das verhärtet und reproduziert soziale Schieflagen.

Anzeige

Gesellschaftliche Ungleichheitslagen sind aber kein ehernes Erbe. Die Leistungsdifferenz in Englisch, wo deutschsprachige und nichtdeutschsprachige Kinder quasi von einer Startlinie losrennen, erklärt sich fast zur Gänze aus Unterschieden im Sozialstatus, der Migrationsaspekt wirkt da nicht nachteilig. Das ist ein Ansatzpunkt, den die Politik – nicht nur die Schulpolitik, die kann es nicht allein! – ins Zentrum holen muss.

Dass die Neuen Mittelschulen diesen sozialen Chancenausgleich trotz schwierigerer Ausgangslage (mehr sozial stark benachteiligte Kinder und auch mehr Schüler mit Migrationshintergrund als die Hauptschulen) – und mit mehr Ressourcen, wohlgemerkt! -, schaffen und in Englisch gleiche Leistungen wie die Hauptschulen zustande bringen, zeigt: Wer sich bewusst mit der Zusammensetzung der Schüler und dem Unterricht, noch dazu im Lehrer-Tandem, auseinandersetzen muss, macht viel richtig. Es wirkt.

Die Analyse der Ergebnisse zeigt vor allem eines: Schule bzw. Schulpolitik muss sich stärker mit außerschulischen Rahmenbedingungen konfrontieren, wenn sie leisten will, was sie soll. Es bedeutet einen gravierenden Unterschied, ob man in einer Klasse unterrichtet, in der fast nur Kinder aus bildungsnahen, saturierten Familien sitzen oder in einer babylonischen Versuchsanordnung, in der viele den Kopf mit existenzielleren Problemen draußen vor dem Schultor voll haben.

Da hin müssen in Zukunft mehr Ressourcen. Mut zur Umverteilung – und die privilegierten Eltern müssen keine Angst haben, dass ihre Kinder benachteiligt werden könnten. Wer in einem Haus voller Bücher, CDs und genug Geld aufwächst, dem kann die Schule gar nicht wirklich schaden. Kein Grund zum Konkurrenzneid von oben.

Man möchte sagen: Entspannt euch! Es ist für euch und eure Kinder letztlich viel wichtiger, als ihr vielleicht ahnt, ob die, die jetzt in der Schule an den Pannenstreifen gedrängt werden, danach immer noch nicht fahrtüchtig sind, um durchs Leben zu kommen.

Anzeige


Info bei neuen Kommentaren
Benachrichtige mich bei

0 Kommentare
Inline Feedbacks
View all comments