Wie G8 die Spaltung der deutschen Schullandschaft vertieft

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BERLIN. Das Turbo-Abitur gilt weithin als gescheitert. Überfüllte Lehrpläne, überforderte Schüler, deren Tagesablauf von Ganztagsunterricht und Hausaufgaben geprägt wird. Wo Eltern die freie Wahl haben, entscheiden sie sich überwiegend für das Abitur nach 13 Jahren. Die Schulpolitiker reagieren. Ein Vielzahl von Modellen ermöglicht landauf landab  G9.

Am Donnerstag haben Initiativen aus fast allen Bundesländern die Rückkehr zu G9 gefordert. Die Reaktionen von Experten und in den Medien waren überwiegend positiv. Die Argumente der Turbo-Abitur-Gegner finden Gehör, auch auf Seiten der Bildungspolitiker. Die Klagen der Wirtschaft über das hohe Alter deutscher Uni-Absolventen sind dagegen weitgehend aus der medialen Wahrnehmung verschwunden. Immer mehr Bundesländer öffnen (Rück-)Wege zur längeren Abiturzeit. Ein Überblick:

Fahnen verschiedener Bundesländer
Das Rad zurückdrehen oder das z.T. überstürzt eingeführte Turbo-Abitur reformieren? Die Diskussion um G8 oder G9 hat die Schullandschaft in Deutschland noch weiter verkompliziert. Martin Berk / pixelio.de

BADEN-WÜRTTEMBERG hat 44 Modell-Gymnasien die Rückkehr zur 13. Klasse erlaubt. Die SPD verlangt, dass sogar 120 ganz oder teilweise zum alten Modell zurück dürfen, was die Grünen als Regierungspartner aber bislang vereitelt haben. Die 44 Gymnasien sind völlig überlaufen.

BAYERN hat nach Elternprotesten ein «Flexibilisierungsjahr» eingeführt: Gymnasiasten können in der Mittelstufe auf Wunsch ein zusätzliches Schuljahr mit Förderangeboten einlegen. Das Angebot wird aber bisher kaum angenommen. Die Freien Wähler sammeln Unterschriften für einen Volksentscheid, damit Eltern Wahlfreiheit erhalten. Die erste Hürde ist bereits genommen.

In BREMEN wird das Abi an den Gymnasien nach zwölf Jahren Schulzeit abgelegt, an den Oberschulen – sie sind mit Gesamtschulen vergleichbar – nach dreizehn Jahren. Einen Plan, G8 an Gymnasien abzuschaffen, gibt es nicht.

HAMBURG hat eine ähnliche Regelung wie Bremen. Eine Elterninitiative «G9-Jetzt-HH» will auch an den Gymnasien zum Abitur nach 13 Jahren zurück und hat die dafür notwendige Volksinitiative bereits erfolgreich gestartet.

HESSEN hat Wahlfreiheit eingeführt. Aufgrund der Elternnachfrage wird geschätzt, dass dort bald nur noch jedes fünfte Gymnasium das Turbo-Abi in 12 Schuljahren anbieten wird.

NIEDERSACHSEN strebt eine Reform des Abiturs an. Eine Kommission wird in der kommenden Woche Vorschläge machen. Erwartet wird, dass die Niedersachsen als erstes Bundesland zum generellen Abitur nach 13 Schuljahren zurückkehren. Pläne gibt es für ein «Abitur im eigenen Takt», etwa für Schüler mit Spitzenleistungen, die dann nach 8 Jahren die Reifeprüfung ablegen.

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NORDRHEIN-WESTFALEN hat 13 Gymnasien die Rückkehr zum Abitur nach 9 Gymnasialjahren erlaubt – im Rahmen eines Modellversuchs. An den übrigen 614 Gymnasien ist das Abitur nach 8 Jahren üblich. An Gesamtschulen, Sekundar- und Gemeinschaftsschulen und Berufskollegs wird das Abitur in der Regel nach 13 Schuljahren abgelegt.

RHEINLAND-PFALZ hat bei dem Streit als einziges West-Bundesland gut lachen, weil es auf den generellen G8-Zug nicht aufgesprungen ist. Schon immer gab es für gute Schüler die Möglichkeit, das Abitur nach 7,5 bis 8 Gymnasialjahren abzulegen. Die Regel sind aber 8,5 Jahre.

Das SAARLAND hat ein Zwei-Säulen-Modell: Am Gymnasium gibt es das Abitur nach 12 Jahren, an der Gemeinschaftsschule nach 13 Jahren.

SCHLESWIG-HOLSTEIN hat Wahlfreiheit für die Schulträger eingeführt. Das sind meist die Kommunen. In der Regel bieten die Gymnasien das Turbo-Abi nach 8 Jahren an. Neun Gymnasien sind zum 9-jährigen Bildungsgang zurückgekehrt, an vier Gymnasien kann zwischen G8 und G9 gewählt werden. An den Gemeinschaftsschulen sind 13 Jahre üblich.

BERLIN: Eltern, die 13 Schuljahre bis zum Abitur bevorzugen, können ihre Kinder an integrierten Schulformen anmelden. An den Gymnasien wird das Abitur nach 12 Jahren abgelegt. In Berlin verzeichnen die integrierten Schulen inzwischen mehr Anmeldungen als die Gymnasien.

NEUE BUNDESLÄNDER: An den Gymnasien wird das Abitur in der Regel nach 12 Schuljahren abgelegt. (News4teachers mit Material der dpa)

zum Bericht: Deutschland im Bildungschaos? Wo G9 zurückkehrt – und wo nicht

zum Bericht: “Gute Nacht G8!” – Bundesweit formieren sich Initiativen gegen das “Turbo-Abi”

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4 Kommentare
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GriasDi
10 Jahre zuvor

Die Wirtschaft klagt doch mittlerweile über unreife Absolventen. Der Wirtschaft kann man es also nie recht machen, warum dann noch auf sie hören?

Reinhard
10 Jahre zuvor

G8 im Gymnasium ist also das Druckmittel der Wahl, um Schüler zu den Gesamtschulen zu kriegen.

Aufmüpfer
10 Jahre zuvor
Antwortet  Reinhard

Ja, es fällt auf, dass etliche Bundesländer nur an Gesamtschulen bzw. inklusiven Gemeinschaftsschulen das Abitur wieder nach 13 Schuljahren ermöglichen. Zitat: „In Berlin verzeichnen die integrierten Schulen inzwischen mehr Anmeldungen als die Gymnasien.“
So wird mit Zuckerbrot und Peitsche Schulpolitik gegen das herkömmliche Gymnasium gemacht.
Lesenswert:
http://jungefreiheit.de/kultur/gesellschaft/2014/die-reform-frisst-ihre-kinder/

Cavalieri
5 Jahre zuvor

Hier wird mal klar gesagt, dass auch die Erwartungen, die seitens der Wirtschaft an G8 geknüpft waren, sich nicht erfüllt haben:
http://www.bpb.de/mediathek/272531/g8-hat-klare-nachteile
Immerhin hat die Bundeszentrale für politische Bildung das in ihre Mediathek aufgenommen. Die Realität ist eben nicht zu leugnen. In den neuen Bundesländern sieht man sicher manches anders, aber man sollte sich daran erinnern, wie gering die Abiturquote in der DDR gegenüber der heutigen war. Das wird gern vergessen. Eliteschulen mit viel Leistungsdruck, die kann man auch mit einem Abitur nach 12 Jahren haben.