Winnenden: Ein Polizist erinnert sich – Stadt eröffnet Gedenkstätte

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WINNENDEN. Kurz vor dem fünften Jahrestag des Amoklaufs von Winnenden hat die Stadt eine öffentliche Gedenkstätte für die 15 Opfer eingeweiht. Das Eingreifen von Streifenpolizisten hatte damals noch Schlimmeres verhindert.

Fünf Jahre nach dem Amoklauf von Winnenden ist in der Stadt eine öffentliche Gedenkstätte eröffnet worden. Der acht Tonnen schwere «Gebrochene Ring» des Künstlers Martin Schöneich erinnert in Sichtweite der Albertville-Realschule an die 15 Opfer der Bluttat des 17-jährigen ehemaligen Schülers Tim K. vom 11. März 2009. Der Ring wurde in einer Schiffswerft in Speyer gefertigt, hat einen Durchmesser von sieben Metern und ist bewusst begehbar. Durch einen engen Bruch kann man hinein. Dort sind die Namen der Opfer und ein Gedicht angebracht. Zu einer Seite scheint sich der Ring aufzubäumen. «Der Ring steckt voller Leben», betonte Schöneich.

Gedenken vor der Albertville-Realschule in Winnenden. Foto: Ra Boe / Wikimedia Commons (CC-BY-SA-3.0)
Gedenken vor der Albertville-Realschule in Winnenden. Foto: Ra Boe / Wikimedia Commons (CC-BY-SA-3.0)

Indes habe sich in Winnenden die Strategie bewährt, das Streifenpolizisten bei Amokläufen sofort eingreifen ohne auf Spezialkräfte zu warten. So wie Sebastian Wolf, der bei dem Einsatz beinahe sein Leben verlor.

Sebastian Wolf ist am Morgen des 11. März 2009 gerade beim Händewaschen, als ihm ein Kollege auf dem Revier in Winnenden aufgeregt den Notruf eines Schülers übermittelt. Amoklauf, lautet der Alarm. Ihm wird eine Maschinenpistole in die Hand gedrückt, und gemeinsam mit zwei Kollegen bricht Wolf sofort zur Albertville-Realschule auf.

Er habe dann nur noch ohne nachzudenken gehandelt, erzählt der 33-Jährige. In seiner Aus- und Fortbildung gehört der Einsatz bei Amokläufen zu den wichtigsten Bausteinen. Für Revierbeamte sind das in zwei Modulen 36 Stunden. Ziel des Trainings ist, dass die Beamten einfach funktionieren. «Das läuft dann nach Schema F», sagt Wolf.

In die Schule dringt das mit Schutzwesten ausgestattete Trio durch eine Glastür ein. Wolf nimmt auf einem Treppenabsatz eine dunkle Gestalt wahr. Dass der junge Mann mit dem Bartflaum der Amokläufer ist, merkt der Polizist erst, als ihm eine Kugel um die Ohren fliegt und der Schütze wegrennt. «Ich hab’s pfeifen hören», erinnert sich der blonde Hüne. Es ist der erste und bislang letzte Schuss, der in seinen 13 Jahren bei der Polizei auf ihn abgefeuert wird. Schusssichere Helme gehören erst nach Winnenden zur Ausrüstung jedes Streifenwagens.

Anschließend flüchtet der Täter, verfolgt von den Polizisten. Sie können den 17-Jährigen aber nicht stellen, der zwölf Menschen in der Schule, drei weitere außerhalb und schließlich sich selbst tötete.

Als vorbildlichen Einsatz lobt der damalige Innenminister Heribert Rech (CDU) das mutige Eingreifen. Es verdiene «allergrößten Respekt». Ansonsten hätte es weitere Opfer in der Schule gegeben, ist Rech überzeugt. «Die haben damals die neue Einsatztaktik umgesetzt.»

Nach dem Amoklauf an einer Erfurter Schule mit 17 Toten im April 2002, bei dem die Polizisten zunächst das Gebäude umstellten und den Tatort für die nachrückenden Spezialeinheiten und Psychologen sicherten, hieß die Devise: sofortiger Zugriff auf den Täter, um damit weitere Tote zu verhindern. Wolf bringt es auf den Punkt: «Es geht ja nicht, dass die Polizei vor der Tür steht und drinnen macht er weiter.» Er fügt hinzu: «Für uns gab es nur ein Vorwärts.»

Wolf gehört zu den Streifenpolizisten, die nichts aus der inneren Ruhe bringen kann. Zwar hat er nicht die Jugendlichen tot in ihren Schulbänken sitzen sehen, doch die zwei erschossenen Referendarinnen auf dem Gang. «Ich habe zu viel mit Leichen zu tun, um von den Bildern verfolgt zu werden.»

Für Wolf, im Polizeijargon ein «Streifenhörnchen» par excellence, reichte es, am Tag nach dem Einsatz dessen Ablauf aufzuschreiben. Ansonsten ging der Amoklauf fast spurlos an ihm vorbei – anders als bei seinen Kollegen. Einer ließ sich in die Unfallaufnahme versetzen, der andere pendelt zwischen Innendienst und Dienstuntauglichkeit hin und her.

Angehörige von Opfern haben sich bei Wolf bedankt. Doch der sieht sich selbst nicht als Helden: «Es ist einfach Beruf, Berufung.» Würde er in ähnlicher Situation wieder sein Leben riskieren? Ohne mit der Wimper zu zucken, antwortet der Mann mit Drei-Tage-Bart: «Natürlich.» News4teachers, Julia Giertz, dpa

zum Bericht: Im Jahr gibt es 400 Amokdrohungen an deutschen Schulen

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