Grün-Rot will Thema Sexualität im Bildungsplan neu einordnen

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STUTTGART. Wochenlang wurde erbittert über das Thema Homosexualität im Schulunterricht gestritten. Jetzt justiert die Landesregierung nach. Sie will aber trotz der Massenproteste nicht eingeknickt sein.

Nach wochenlangen heftigen Debatten rückt Grün-Rot von dem ersten Entwurf des Bildungsplans 2015 ab und knickt damit nach Ansicht ihrer Kritiker ein. Schüler sollen nach den neuen Plänen der Landesregierung nicht nur die Achtung vor Menschen mit verschiedenen sexuellen Orientierungen lernen. Vielmehr solle auch Toleranz gegenüber unterschiedlichen Nationalitäten, Ethnien, Religionen oder Kulturen gelehrt werden, erläuterten Kultusminister Andreas Stoch (SPD) und Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) am Dienstag in Stuttgart. Mehr als 190 000 Menschen hatten zuletzt mit einer Petition gegen einen «Bildungsplan unter der Ideologie des Regenbogens» protestiert.

Regenbogenfahne
Um die Petition „ Zukunft – Verantwortung – Lernen: Kein Bildungsplan 2015 unter der Ideologie des Regenbogens“ gibt es eine kontroverse Diskussion. Foto: Jonathunder / Wikimedia Commons (CC BY-SA 3.0)

Die «Bildung für Toleranz und Akzeptanz von Vielfalt» soll nun als eigene «Leitperspektive» von insgesamt sechs Grundsätzen etabliert werden. Die FDP im Landtag sprach von einer Kehrtwende der Landesregierung angesichts der Forderungen der Opposition. Der CDU geht die «rein kosmetische Korrektur» nach Einwänden von Eltern und Christdemokraten nicht weit genug.

Von einem Einknicken gegenüber Kritikern könne keine Rede sein, beteuerte Kretschmann. Auch Stoch betonte, das ursprüngliche Anliegen, Schüler nicht heterosexueller Orientierungen vor Diskriminierungen zu schützen, solle nicht «verwaschen» werden. Die zum Teil bewusst geschürten Missverständnisse seien kein Grund, das Thema vom Tisch zu wischen.

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Grün-Rot reagiert mit der Änderung des Entwurfs des Bildungsplan auf Kritik, die Landesregierung werte das Thema «Akzeptanz sexueller Vielfalt» auf und dränge damit Schüler in eine bestimmte Richtung. «Ich bin überzeugt, dass das die Debatte versachlichen wird», sagte Kretschmann. Es habe nie die Absicht gegeben, Schüler «umzuerziehen» oder zu «indoktrinieren». Kretschmann: «Es geht letztlich um nicht weniger als Menschenwürde und das daraus abgeleitete Recht der freien Entfaltung der Persönlichkeit.» Die Landesverfassung gebe der Regierung den Auftrag, dafür zu sorgen, dass an allen Schulen der Geist der Duldsamkeit und der sozialen Ethik walte. Anders als Kritiker glauben machen wollten, gehe es keinesfalls um sexuelle Praktiken.

Am vergangenen Samstag hatten an einer dritten Protest-Veranstaltung gegen den Bildungsplan in Stuttgart rund 600 Bürger teilgenommen. Mit der Einbettung in ein «allgemeines Diversitätsthema» bleibe der Auftrag an die Lehrer bestehen, die einzelnen Aspekte, darunter das Thema sexuelle Vielfalt, im Unterricht verbindlich zu behandeln, betonte Stoch. «Es ist keine Abwertung, sondern Aufwertung des Themas.» Er fügte hinzu: «Schule ist ein Raum, in dem sich die Menschen begegnen. Und das soll in einer Atmosphäre der Toleranz und des gegenseitigen Respekts stattfinden und nicht im Sinne der Ausgrenzung.»

Ob der Bildungsplan fristgerecht im Schuljahr 2015/16 an allen Schulen eingesetzt werde, hänge nicht von diesem Komplex ab. Entscheidend seien vielmehr die Rückmeldungen aus den Erprobungsschulen und die Arbeit der Fachkommissionen. Im Vordergrund stehe die Qualität des Plans für die weiterführenden Schulen außer dem achtjährigen Gymnasium.

Auch Sicht der CDU hat Stoch immer noch nicht verstanden, dass die öffentliche Diskussion um den Bildungsplan sich nicht allein auf die Frage der sexuellen Vielfalt beschränke, sondern auch die «völlig willkürlich» gesetzten fünf Leitperspektiven infrage stelle. Julia Giertz/dpa

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F. H.
9 Jahre zuvor

„Es habe nie die Absicht gegeben, Schüler «umzuerziehen» oder zu «indoktrinieren»“, meint Herr Kretschman. Das erinnert an die häufigste und kindischste aller Ausreden: „Das habe ich aber nicht mit Absicht getan“.
Solche Sätzchen entschuldigen nicht, auch wenn die Täter immer wieder darauf hoffen.

M.
9 Jahre zuvor

F.H. haben sie schon einmal daran gedacht, dass nicht Herr Kretschman sondern pädagogisch ausgebildete Lehrer den Unterricht halten? Trauen Sie ihnen nicht zu, dass sie die Themen pädagogisch angemessen vermitteln können?

F. H.
9 Jahre zuvor
Antwortet  M.

Sollen Lehrer Fragwürdigkeiten in Bildungsplänen ausbügeln oder sollten die Pläne von vornherein in Ordnung sein?
Außerdem ist für mich der Charakter und die Persönlichkeit eines Lehrers wesentlich entscheidender als die pädagogische Ausbildung. Sollten Sie Lehrer/in sein, werden Sie wissen, dass es unter Ihren Kollegen und Kolleginnen himmelweite Unterschiede gibt trotz gleicher oder ähnlicher pädagogischer Ausbildung. Der Lehrerberuf ist kein Handwerk, dessen Gesetze jeder lernen und in gleicher Weise anwenden kann und sollte. Einfühlungs- und Durchsetzungsvermögen oder Phantasie entziehen sich äußerer Lehre. Wer hier „schwach auf der Brust ist“, sollte m. E. trotz Ausbildung vom Lehrerberuf lieber Abstand nehmen.

Reinhard
9 Jahre zuvor

Ob der Ministerpräsident und der Kultusminister nur taktisch-verbale Tricks ausüben oder wirklich auf die berechtigte Kritik eingehen, ob sie ihren Kurs beibehalten oder grundlegend ändern, das beurteilt jeder anders. Ich würde mich freuen, wenn die Redaktion die Vielfalt der Positionen unzensiert darstellen und so die ganze Bandbreite der Diskussion abbilden möchte.
Welche Forderungen wurden z.B. bei der Demonstration in Stuttgart letztes Wochenende aufgestellt?