Fehlende Motorik – viele Kinder können nur noch schlecht Handschreiben

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NÜRNBERG. Viele Kinder können heute keine Schleife am Schuh mehr binden oder auf einem Bein stehen – und auch nicht mehr mit der Hand schreiben. All das hängt laut einer Forscherin zusammen.

Ein Großteil der Erstklässler kann heute laut einer Forscherin nicht mehr richtig mit der Hand schreiben. Etwa 70 Prozent der Schüler brächten nach dem Kindergarten nicht mehr die nötigen motorischen Voraussetzungen für das sogenannte Kritzel-Alphabet mit, sagte die Nürnberger Bildungsforscherin Stephanie Müller. Diese zeichnerischen Elemente wie kleine Schleifen, Schlangen- oder Zickzacklinien seien die Grundlage für verbundene Schriften mit Buchstaben, die ineinander übergehen wie bei der Schreibschrift. Die Gründe seien unter anderem: Zu wenig Bewegung, fehlende Fingerfertigkeit, keine Eltern als Vorbilder und moderne Geräte wie Smartphones und Tablet-Computer.

Linkshänder, die mit rechts schreiben haben ein Wirrwarr im Kopf. (Foto: Armin Kübelbeck/Wikimedia CC BY-SA 3.0)
Schreiben  mit der Hand werde immer weniger geübt, beklagen Experten. (Foto: Armin Kübelbeck/Wikimedia CC BY-SA 3.0)

«Die Kindheit heute ist nicht mehr so bewegt», sagt Müller. Früher habe man viel draußen gespielt, sei rumgehüpft und auf Bäume geklettert. «Heute können Kinder in der dritten Klasse nicht mal mehr gerade rückwärtsgehen oder freihändig auf einem Bein stehen.» Auch Aufgaben, die Fingerfertigkeit erfordern, wie etwa einen Faden einfädeln oder eine Schleife am Schuh binden, seien meist nicht mehr nötig durch Klettverschlüsse und Druckknöpfe. Grob- und Feinmotorik prägten sich dadurch nicht mehr gut aus.

Außerdem hätten viele Eltern keine Zeit mehr, sich um die Schreibfähigkeit ihrer Kinder zu kümmern. «Es achtet niemand mehr darauf, dass ein Kind Schreiben übt.» Die Kinder würden ihre Eltern auch nicht mehr Schreiben sehen. Zudem seien bei Smartphones und Tabletcomputern ganz andere Handbewegungen und Muskeln nötig als beim Halten eines Stiftes. «Dafür braucht man nur den Zeigefinger oder beide Daumen zum Tippen, oder das Handgelenk, wenn man über das Pad wischt.»

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Die 46-jährige Kunst- und Medienpädagogin plädiert dafür, schon in der Lehrerausbildung mehr Wert auf das Schreiben-Lehren zu legen. «Die meisten Lehrer sind hilflos. Sie wissen nicht, wie man den Kindern das Schreiben beibringt.» Und sie hätten wegen des vielen Unterrichtsstoffs in den höheren Klassen auch gar keine Zeit dafür. «Seit zwei Jahren kommen selbst im Lehrer-Seminar junge Anwärter zu mir, die nicht mehr schreiben können. Und wenn schon die Lehrerin den Stift falsch hält, wie soll es dann der Schüler lernen?», sagt die gelernte Grundschullehrerin.

Zwischen Kita und Grundschule sei daher ein Jahr nötig, in dem die Kinder die Grundfähigkeiten für das Schreiben lernen, sagt Müller. Früher habe man im Kindergarten gespielt, gemalt und gekritzelt und in der ersten Klasse monatelang nur Schwungübungen gemacht, bevor es richtig ans Schreiben ging. Das falle heute aus. «Wenn die Kinder mit sechs Jahren schulreif sind, sollte die Motorik entwickelt sein, das ist sie aber heute nicht.»

In vielen Schulen werde mittlerweile nur noch die Druckschrift-ähnliche Grundschrift oder die vereinfachte Ausgangsschrift gelehrt und nicht mehr die lateinische, bei der alle Buchstaben verbunden sind. Müller nennt jedoch mehrere Vorteile der Schreibschrift: «Es ist bewiesen, dass eine verbundene Handschrift mit Richtungsänderungen einen höheren Lerneffekt hat als die Druckschrift.» Mit einer verbundenen Schrift könne man zudem viel schneller schreiben, als wenn man – wie bei der Druckschrift – jeden Buchstaben neu ansetzen müsse.

Die Bewegungsabläufe einer komplexen Schreibschrift müssten automatisiert werden. Erst daraus könne sich dann im Lauf des Lebens auch eine persönliche Handschrift entwickeln, nur eine Druckschrift zu können, reiche dafür nicht. «Wenn ich nur marschieren gelernt habe, werde ich nicht Salsa tanzen können», sagt Müller. Zudem habe eine schöne Handschrift auch etwas mit Wertigkeit zu tun – etwa eine handgeschriebene Geburtstagskarte statt einer SMS. dpa

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Lena
9 Jahre zuvor

Guter Artikel. Auch ich halte die Schreibschrift aus mehreren Gründenfür wichtig und unverzichtbar.
Allerdings verstehe ich diesen Satz nicht: „Außerdem hätten viele Eltern keine Zeit mehr, sich um die Schreibfähigkeit ihrer Kinder zu kümmern.“
Ständig höre und lese ich, dass staatliche Bildung und Erziehung der elterlichen überlegen sei. Sogar in Krippen lernen die Kleinstkinder angeblich schon die tollsten Sachen. Kitas und Schulen sollen möglichst ganztägig besucht werden und Hausaufgaben haben laut Sigmar Gabriel nicht im Elternhaus, sondern in der Schule stattzufinden.
Eltern werden doch schon seit Jahren aus der Erziehung ihrer Kinder rausgeworben bzw. rausgedrängt, weil wahre und richtige Bildung angeblich nur Fachleute können.
Und jetzt lese ich: „Etwa 70 Prozent der Schüler brächten nach dem Kindergarten nicht mehr die nötigen motorischen Voraussetzungen für das sogenannte Kritzel-Alphabet mit, sagte die Nürnberger Bildungsforscherin Stephanie Müller.“ Leider spricht sie die Wahrheit und dazu gehört heutzutage einiger Mut.
Die Bildungspolitik mit ihrer Werbung für die staatliche Rundumfürsorge ist eine einzige Katastrophe. Ohne Eltern und deren Mitarbeit und Mitverantwortung werden Bildung und Erziehung nie funktionieren. Und die Folge dieses Irsinns ist wahrscheinlich der idiotische Ruf nach immer mehr Staat. Je abartiger, desto verheißungsvoller! scheint die Devise.

Kira-2
9 Jahre zuvor
Antwortet  Lena

Liebe Lena,
aus ihren Äußerungen entnehme ich, dass Sie zu den fürsorglichen Eltern gehören. Die sind und bleiben sehr wichtig für die Kinder – und wenn es nur solche Eltern gäbe, wäre der Ruf nach mehr staatlicher Förderung für die Kinder sicherlich auch nicht so laut geworden.
Die heutige Gesellschaft spaltet sich in Kinder mit Eltern, die Zeit und Geduld haben, sich um schulische Belange zu kümmern – in Kinder mit Eltern, die aus beruflichen Gründen (leider heutzutage häufig aus finanzieller Not geboren – in wie vielen Familien reicht ein Alleinverdiener als Familienfürsorger noch aus und in wie vielen Familien gibt es überhaupt nur noch ein Elternteil?) keine Zeit haben, sich aber dennoch für schulische Bildung interessieren und die „richtige“ Einstellung den Kindern zu vermitteln versuchen – und Kinder, deren Eltern keine Lust oder keine Geduld haben, sich um schulische Dinge zu kümmern.
Ich vermute, dass es hauptsächlich die letzte Gruppe ist, die den Staat und die Politik auf den Plan gerufen hat. Leider sind von diesen Eltern (der letzten Gruppe) auch nicht alle bereit, ein freiwilliges längfristiges Schulangebot, wie z,B. die Offene Ganztagsschule, in Anspruch zu nehmen, da diese häufig Kosten mit sich bringen. An diese Kinder kommt man ohne „Verstaatlichung“ der Erziehung nur schlecht heran und es besteht die Wahrscheinlichkeit, dass sich das gleiche Problem in der nächsten Generation fortsetzen wird.

Ich habe auch keine Lösung für diese Misere parat. Auf der einen Seite glaube ich, dass wir in Deutschland um eine verpflichtende Ganztagsschule nicht herumkommen, um alle Bildungsgruppen zu erreichen – auf der anderen Seite kann ich aber durchaus auch die Eltern verstehen, die ihr Kind gerne nachmittags zuhause hätten, zum einen, um den Kindern bei schulischen Dingen zu helfen, zum anderen aber auch, um nachmittägliche Angebote für die Kinder oder mit den Kindern wahrzunehmen (Fußball-Verein, Ballett, Musikschule etc.) Wie gesagt, ich habe da keine Idee.

(Und für alle, die gerne zwischen den Zeilen geheime Wünsche entdecken: Nur, weil ich glaube, dass wir in Deutschland auf Dauer nicht um die verpflichtende Ganztagsschule herum kommen, heißt das nicht, dass ich die haben möchte. Ich sehe die nur als letzte Konsequenz. Mir persönlich wäre eine wie bisher gehabte Halbtagsschule auch lieber…)

Lena
9 Jahre zuvor
Antwortet  Kira-2

Danke für Ihre ausführliche Antwort, Kira-2. Natürlich weiß auch ich um die Eltern, die als „bildungsfern“ bezeichnet werden. Wegen deren Kindern aber eine verpflichtende Ganztagsschule einzurichten und damit all jene Kinder, die interessierte Eltern haben, um ihre großen Chancen durch elterliche Bildung zu bringen, will mir nicht in den Kopf.
Wären die staatlichen Bildungs- und Erziehungsmaßnahmen von auffallend großem Erfolg gekrönt, könnte ich mich trotz weiterer Bedenken vielleicht mit verpflichtenden Ganztagseinrichtungen abfinden. Die Realität zeigt jedoch, dass der Staat nicht annähernd die positiven Einflüsse verantwortungsbewusster Eltern ersetzen kann. Schule ist eben nicht Familie und Lehrer nicht Eltern, auch wenn sie sich noch so sehr anstrengen.
Warum also alle Kinder ins Unglück stürzen, nur weil einige „schlechte“ Eltern haben?
Diese Art von sozialer Gerechtigkeit finde ich pervers. Sie entspricht allerdings unserem Zeitgeist, der mit den Armen und Schwachen so mitfühlend ist, dass er meint, die Bessersituierten und Starken müssten ebenfalls arm und schwach sein, damit Gleichheit und Gerechtigkeit herrsche.
Nein Kira-2, kollektives Unglück ist keine Lösung auf der Suche Gerechtigkeit, im Gegenteil.

ysnp
9 Jahre zuvor
Antwortet  Lena

@ Lena
Wie Kira schon schilderte, nimmt die Anzahl der sich um schulische Belange kümmernden Eltern kontinuierlich ab. (Oft zu stressig.) In meiner Klasse gehen 3 Mütter nicht arbeiten, mit Aufwand schaffen nicht einmal die Hälfte der Eltern eine regelmäßige Begleitung und das in einem Einzugsgebiet, das hauptsächlich aus bildungsnahen Elternhäusern besteht. Ich denke, die Ganztagesschule muss kommen, wenn der Bildungs- und Erziehungsstandard langfristig erhalten bleiben soll. Und zwar sollten entsprechend der Lage in der Gesellschaft die Halbtagesklassen Ausnahme werden. Natürlich darf die Ganztagesklasse kein Sparmodell sein, wie es bisher fast überall aussieht und auch nicht auf dem Rücken der Lehrer ausgetragen werden. (Die Lehrer, die im Ganztageszug arbeiten, haben einen wesentlich höheren Stressfaktor und Arbeitsaufwand.) Es muss wesentlich mehr Personal für die qualifizierten Übungsphasen eingestellt werden. Doch im Augenblick können die Ganztagesklassen schlecht mithalten mit dem, was – wenn sie geschieht – eine solide elterliche Betreuung ausmacht. So oder so muss in die Schule noch viel mehr investiert werden.

ysnp
9 Jahre zuvor

„Zudem habe eine schöne Handschrift auch etwas mit Wertigkeit zu tun – etwa eine handgeschriebene Geburtstagskarte statt einer SMS.“
Dieses Argument überzeugt mich nicht als Grund, eine schöne Handschrift zu entwickeln. Wenn ich einmal ganz pragmatisch denke – der Stellenwert einer Handschrift ist nicht mehr der, den er einmal hatte. Letzendlich braucht man eine Handschrift nur noch verstärkt in der Schule und zwischendurch im privaten Bereich um sich Notizen zu machen und mancher Beruf erfordert noch die Fähigkeit zu handschriftlichen Notizen. Ich selbst neige dazu schöne Dinge hauptsächlich mit dem Computer zu gestalten.
Man müsste ganz andere Argumente für das Erlernen einer „schönen“ Handschrift sammeln:
– ganz praktisch: in der Schule muss der Lehrer das lesen können, was ich schreibe (ist wahrscheinlich das Hauptargument)
– vielleicht noch die Entwicklung einer Feinmotorik durch die Handschrift, dadurch entwickeln sich auch gewisse Hirnregionen
Vor 25 Jahren vertrat man noch vehement die Auffassung, dass die gute Entwicklung einer Feinmotorik überhaupt die Voraussetzung guter Schulleistungen wäre, doch über diesen Zusammenhang lese ich nur noch wenig. Vielleicht ist diese These schon überholt. Denn, wenn das so wäre, dann wäre eine komplizierte Schrift wie die lateinische Ausgangsschrift ideal, weil diese viele motorische Bewegungsabläufe, sogar Überkreuzbewegungen, beinhaltet.

Ursula Prasuhn
9 Jahre zuvor

@ysnp Lena spricht wichtige Wahrheiten an. Ganztagskitas und -schulen haben Folgen, die wir sehr gut an Ländern ablesen können, die uns diesbezüglich Jahrzehnte voraus sind und die uns seltsamer Weise immer wieder als leuchtende Beispiele für gutes Funktionieren vor die Nase gehalten werden. Leider wird dieses Urteil meist unbesehen weitergereicht. Nur selten gibt es kritische Stimmen – und wenn, dann stammen sie aus den angeblich nachahmenswerten Ländern selbst. Dort machen sich allmählich Frust und Ernüchterung breit.
Als Leuchtturm in der Bildungslandschaft wird immer wieder Schweden genannt. Dieser Staat gibt Unsummen für Bildung und Soziales aus. Noch bessere Rahmenbedingungen für Ganztagsschulen als in Schweden kann es also kaum geben. Sie würden den Staatshaushalt sprengen.
Schweden ist uns mit der sog. „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ und der staatlichen Kindererziehung gut 30 Jahre voraus. Wohin das Ganze geführt hat, beschreibt ein Fachmann und Vater in der WELTWOCHE, einer Zeitung aus der Schweiz. Dort war am 6. Juni 2012 ein Interview mit dem schwedischen Familienexperten Jonas Himmelstrand zu lesen.
Daraus 4 Zitate:

1) „Eine Studie der schwedischen Regierung zeigte, dass sich in den letzten 25 bis 30 Jahren die psychische Gesundheit der Jugendlichen stark verschlechtert hat, verglichen mit elf anderen europäischen Ländern. Die Schulleistungen haben dramatisch abgenommen.“

2) „Weil die Kinder fünf Tage die Woche betreut werden, glauben die Eltern, die Leute dort seien verantwortlich für ihr Kind. Ganz normale schwedische Mittelklasse-Eltern, sagt die Autorin, wüssten nicht mehr, wie man Kinder großziehe. In einer vierten Studie (vom renommierten Karolinska Institutet) wurde die Gesundheit der Frauen um die fünfzig untersucht. Über die Hälfte dieser Frauen hört frühzeitig auf zu arbeiten. Teilweise schon mit fünfzig. Das ist die erste Generation von Frauen, die Mutterschaft und Vollzeitarbeit kombinieren mussten. Die Gründe sind psychosozialer Natur. Sie sind erschöpft.“

3) „Alle wissen, dass es unseren Kindern nicht gutgeht, aber niemand sagt etwas. Wir leben in einer dysfunktionalen Gesellschaft.“

4) „Wenn aber die schwedische Regierung recht hätte und ihre Familienpolitik so super wäre, wie sie sagt, müssten die Kinder und Jugendlichen gesünder sein, besser lernen, glücklicher sein, und das ist definitiv nicht eingetreten. Außerdem dürfen wir eines nicht vergessen: Auch Soziales wird von Generation zu Generation weitergegeben. Wenn diese Kinder nicht erleben, wie Familie und Elternschaft funktioniert, werden sie es später, sobald sie eigene Familien haben, noch schlechter machen. Und bald könnte das ganze Wissen um Elternschaft verloren sein, was für den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft gefährlich wäre.“

ysnp
9 Jahre zuvor
Antwortet  Ursula Prasuhn

Im Prinzip gebe ich Ihnen Recht. Allerdings glaube ich nach meinen Beobachtungen über die Jahre hinweg, dass die Entwicklung nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Die wenigsten Frauen wollen zuhause bleiben – Männer sind eher eine Ausnahme. Es stellt sich noch die Frage, was wäre, wenn Familien besser finanziell unterstützt werden, ob hier Elternteile bereit wären sich schwerpunktmäßig um die Erziehung und Betreuung ihrer Kinder zu kümmern.
Punkt 4 sehe ich ebenfalls als großes Problem. Schon bei der jetzigen Elterngeneration machen sich erklatante Mängel für das Gefühl von Kindererziehung bemerkbar. Allerdings ist das bei uns nicht dem (nicht vorhandenen) Ganztagesschulsystem geschuldet, sondern der Situation eben, dass wenig Betreuung zuhause geschieht, weil beide Elternteile arbeiten bzw. beruflich gestresst sind. Da wir bei uns das ja auch beobachten, kann der Grund ja nicht die Ganztagesschule sein. Im Gegenteil, da sind die Kinder wenigstens betreut und nicht sich selbst überlassen.
Übrigens von Frankreich, wo es ja sehr lange das Ganztagesschulsystem gibt, habe ich noch nie etwas Negatives gehört, ebenso von England nicht. Was ich in England super finde, sind die Colleges, wo die Lehrer mit im Schulgebäude wohnen und für die Schüler ansprechbar sind.
Jetzt sind wir etwas vom Thema abgekommen; es ging um die mangelnde Motorik. Wenn ein Elternteil wenigstens bis zur Grundschule zuhause bleibt, dann kann er in Ruhe zuhause mit dem Kind solche Dinge machen. Im Augenblick sind es doch noch viel Mütter, die am Anfang zuhause bleiben. Allerdings geht der Trend dahin, dass viele wieder früher anfangen zu arbeiten; es gibt ja jetzt die Kitas, wo man die Kleinen hinbringen kann.

F. H.
9 Jahre zuvor
Antwortet  ysnp

Hier ein Artikel über Frankreichs Schulen mit der Überschrift „In der Grande Nation“ verblöden die Schüler“:
http://jungefreiheit.de/service/archiv/?jf-archiv.de/archiv13/201310030154.htm

mehrnachdenken
9 Jahre zuvor
Antwortet  F. H.

Wow, sehr mutig, aus der Zeitschrift zu zitieren, wird sie z.B. von SPD – Leuten im rechtsextremen Spektrum verortet. Andererseits gab ihr Egon Bahr sogar ein Interview. Ein Herr Braun – ebenfalls SPD – meinte dazu, E. Bahr habe sich missbrauchen lassen.

Wenn auch nur Teile des Artikels stimmen, sieht es für unser Bildungssystem nicht rosig aus. Erschreckend, wie viele Parallelen es jetzt schon mit den Missständen in Frankreich gibt!

Aufmüpfer
9 Jahre zuvor
Antwortet  mehrnachdenken

Was heißt schon „rechtsextrem“? Mit dieser Diffamierung hat doch heute jeder Mensch und jedes Medium zu kämpfen, wenn vom politisch korrekten Meinungsdiktat abgewichen wird. Von da aus ist diese Wochenzeitung tatsächlich ungehorsam, aber eine Freude für kritische Geister. Wer sich für die „rechtsextremen“ Autoren interessiert, kann ja hier mal nachschauen:
http://jungefreiheit.de/informationen/autoren/

Ursula Prasuhn
9 Jahre zuvor
Antwortet  F. H.

@F. H. Zur Ruinierung des französischen Bildungssystems habe ich folgenden Leserbrief gelesen:
„Als Schulleiter eines Gymnasiums im Saarland habe ich diesen Niedergang beobachten und zusammen mit französischen Kollegen beklagen können.
Der Artikel nennt eine Reihe wichtiger Gründe; einige übersieht er, und der Kürze wegen will ich mich auf einen der übersehenen Gründe beschränken: Die Leere in den ehemals so starken französischen Familien, bedingt durch die strikt durchgezogene Berufstätigkeit beider Eltern.
Wie hat man uns im Saarland – und wohl nicht nur uns – über die Jahrzehnte hinweg die „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ vorgehalten, die in unserem Nachbarland so vorbildlich verwirklicht sei…Nur selten einmal eine ehrliche Schilderung der Hetze, der ständigen Bedrängung durch Dutzende von Terminen, der Zerrissenheit zwischen beruflichen und familiären Anforderungen, unter der insbesondere die Frauen zu leiden hatten – und immer noch zu leiden haben. Wie hat man das Vorschulsystem gerühmt, wie hat man davon geschwärmt, dass es in Frankreich keinen „Kindergarten“, sondern eine „école maternelle“ gäbe, praktisch eine aufs Dreijahresalter heruntergezogene Grundschule – wer denkt da nicht an die hiesige Kita-Schwärmerei und an die so hochgepriesene Ganztagsbetreuung, die man uns aufdrängen will. Wie hat man die hohe französische Abiturientenquote gelobt und uns zur Nachahmung empfohlen, dabei geflissentlich – oder willentlich – übersehen, dass Frankreich das duale Berufsbildungssystem nicht kennt, das wir – noch – beibehalten und noch nicht ruiniert haben. Und erst langsam, dann wie ein Flächenbrand hat sich das Privatschulsystem in Frankreich ausgebreitet – und das im Land, das die „égalité“ zu vergöttern vorgibt. Ich glaube nicht, dass dies der Ausgang aus der Misere sein wird; es ist eine Flucht vor dem Problem, keine Lösung des Problems…“

ysnp
9 Jahre zuvor
Antwortet  Ursula Prasuhn

Die Tatsachen werden beobachtet und beklagt.
Was ist aber die Lösung des Problems?

ketzer
9 Jahre zuvor
Antwortet  ysnp

Sie schreiben, dass die Entwicklung Ihrer Ansicht nach nicht mehr rückgängig gemacht werden könne. Warum eigentlich nicht?
Ich denke, dass bei mehr Aufklärung statt Fütterung mit falschen Informationen und bei mehr Kritik und Widerstand unselige Entwicklungen durchaus erschwert, wenn nicht gar noch aufgehalten werden können.
Resignation und Hoffnungslosigkeit sind schlechte Ratgeber, wenn es darum geht, nicht sehenden Auges in eine Falle zu tappen, in der jene europäische Nachbarn längst zappeln, die uns fast täglich als Bildungs-Leuchttürme schöngemalt werden.
Wer setzt solche Märchen eigentlich immer wieder in die Welt, warum haben sie eine so große Eigendynamik und warum stoßen sie auf eine Glaubensbereitschaft, die kritische Gedanken mit moralischer Empörung zurückweist?

ysnp
9 Jahre zuvor
Antwortet  ketzer

@ketzer
Wie stellen Sie sich in der Zukunft eine funktionierende Halbtagesschule vor, wo beide Eltern arbeiten? Deswegen meinte ich, dass man die Entwicklung aufgrund der beruflichen Situation der Eltern nicht mehr rückgängig machen kann. Wie will man Eltern dazu bringen, auf berufliche Karriere oder auf das Einkommen zu verzichten? Die einzige Lösung, die mir einfällt, eine Halbtagesschule zu erhalten und die Betreuung durch Eltern zu gewährleisten ist die wahrscheinlich utopische Bezahlung eines soliden „Betreuungsgeldes“ . Vielleicht lassen sich dadurch Eltern motivieren zuhause zu bleiben.
Ich als Grundschullehrerin habe diese Kinder in der Klasse, wo beide Eltern arbeiten. Und ich sehe auch den Unterschied bei Hausaufgaben und Leistung, wo sich Eltern kümmern können und wo nicht. Und: die Anzahl der Eltern, die sich kümmern können, nimmt permanent ab. Aber: Ohne Hausaufgaben und ohne Übung zuhause kann eine Halbtagesschule, die den Anforderungen genügt, nicht überleben.
Der andere Ansatz wäre, und ich denke, das schwebt ihnen vor, Menschen davon zu überzeugen, dass es viel Sinn macht, den Kindern zuliebe auf Karriere und Einkommen und Lebensstandard zu verzichten. Dazu erlaube ich mir keine Einschätzung. Ich weiß nur, dass dies vor alnger Zeit die Regel war, aber aus der Mode gekommen ist und letztendlich für die Kinder besser wäre, aber doch viele Frauen, die da davon am meisten betroffen sind, unzufrieden macht.

Palim
9 Jahre zuvor

In meiner Region gibt es so gut wie keine Ganztagsplätze – weder in den Kitas noch in den Schulen, nur allmählich ändert sich das. Mit einer anderen Region in D bilden wir das Schlusslicht der Statistik.

Dennoch kann ich vieles bestätigen, was in den unterschiedlichen Beiträgen anklingt:

– Die Kinder bringen eine andere Vorbildung mit. Das hieß schon vor Jahrzehnten „veränderte Kindheit“, ist aber m.E. eine Spirale, die immer schneller dreht.

– Die frühere Einschulung (Altersgrenze auf Sept. verschoben) mag ein Punkt sein, weshalb Kinder anderes mitbringen oder noch nicht so fit für die Schule sind wie früher. Galten sonst die Kinder von Juni als „jung“, sind nun auch die von Juli+August+September in jedem Fall schulfreif.

– Die Anforderungen sind erheblich gestiegen. Es gibt Arbeitsweisen, die sich ändern und sog. Kulturtechniken, die an Gewicht verlieren (Schönschrift – was nur ein Teil der Schriftkultur ist), aber es gibt viele Inhalte, die früher erst in der weiterführenden Schule im Lehrplan standen, nun aber mit in die Grundschule gesetzt wurden.

– Auch in ganz anderen Gebieten sind erheblich mehr Inhalte in Schule und KiGa hinzu gekommen: Gesundheitserziehung, Medienerziehung, soziales Lernen in viel höherem Maße, Prävention in allen möglichen Bereichen etc.

Grundschulen sollen den Spagat zwischen den unterschiedlichen Voraussetzungen, die Kinder mitbringen, und den höheren Anforderungen sowie zusätzlichen Inhalten mit weniger Lehrpersonal meistern,
dabei alles dokumentieren, neueste Schulpolitik durch Konzepte ergänzen und in der Praxis umsetzen und ihren Unterricht bzw. die Schulkultur innovieren.

Es ist sicherlich nicht gut, wenn Lehrkräfte dann manches bei Seite schieben,
aber oft haben sie gar nicht die Wahl, weil ganz andere Probleme zu meistern sind.

Das hat wenig mit mangelnder Ausbildung zu tun, sondern viel mehr mit Überfrachtung und Überlastung.

Mehr Zeit oder viele helfende Hände würden sicherlich mehr ausrichten, als hohe Erwartungshaltungen und weitere Aufträge, die den Alltag zusätzlich füllen.

Ursula Prasuhn
9 Jahre zuvor

@ysnp vom 19. Juni 2014 um 11:27
Erst einmal finde ich wichtig, dass überhaupt beobachtet wird und werden kann. War es bisher nicht so, dass immerfort fragwürdige Behauptungen in den Raum gestellt wurden, bis diese durch penetrantes Wiederholen die Gestalt von Wahrheit annahmen? Wer z. B. Einwände gegen die angeblich gut funktionierende Inklusion und die tollen Ganztagsschulen bei unseren europäischen Nachbarn erhob, wurde nicht selten als Fortschrittsfeind bezeichnet oder gar in die rechte Ecke gedrängt, wenn seine Belege aus moralisch verbotenen Quellen stammten, die angeblich „erzkonservativ“ oder gar „rechtsextrem“ waren. Siehe die genannte „Junge Freiheit“, welche nur wenige je gelesen haben, viele aber als böse Zeitung kennen, vor der sich jeder anständige Mensch zu hüten hat.
Ich empfände es schon als gewaltigen Fortschritt, wenn die Tatsachen weniger unter Verschluss gehalten würden und ohne Behinderung ans Licht kämen. Von Ihrer Feststellung „Die Tatsachen werden beobachtet und beklagt“ sind wir m. E. noch meilenweit entfernt. Mehr Aufklärung ist nötig, denn ohne kollektives Problembewusstsein gibt es in der ideologisierten Bildungspolitik garantiert kein Interesse an Problemlösungen, höchstens an Beschwichtigungen und Ausweichmanövern.
In Ihrem Kommentar vom 18. Juni 2014 um 17:42 schreiben Sie: „Die einzige Lösung, die mir einfällt, eine Halbtagesschule zu erhalten und die Betreuung durch Eltern zu gewährleisten ist die wahrscheinlich utopische Bezahlung eines soliden “Betreuungsgeldes“.
Rechenexperten könnten Ihnen sicher die Kosten für Krippen, Ganztagskitas und Ganztagsschulen gegen die Kosten eines Betreuungsgeldes aufrechnen. Wahrscheinlich erwiese sich die häusliche Kinderbetreuung dann sogar als Sparmodell.
Ich denke allerdings, dass ein „utopisches“ Betreuungsgeld gar nicht nötig wäre, wenn an anderen finanziellen Stellschrauben gedreht würde. Im Moment sind sie so eingestellt, dass Durchschnittsfamilien sehr schlecht wegkommen. Die meisten berufstätigen Mütter denken darum nicht an ihre Karriere – wie gern behauptet – sondern als an das Geld, das die Familie braucht.
Außerdem stellen die meisten Berufe gar keine Karriere in Aussicht. Etwa der Lehrerberuf? Es macht sich aber besser, vom berechtigten Interesse der Frauen an ihrer Karriere zu reden als vom berechtigten Interesse der Mütter, ihre Familie vor Armut zu schützen. Der weit häufigere Grund könnte ja entlarvend wirken.