«Zu starken, selbstständigen Frauen erzogen» – Mädchenschule gewinnt Deutschen Schulpreis

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MÜNCHEN/BERLIN. Die Anne-Frank-Realschule für Mädchen gewinnt in diesem Jahr den Deutschen Schulpreis der Robert Bosch Stiftung. Individuelle Logbücher bestimmen die Kurswahl. In Lernbüros wird klassenübergreifend gelernt. Jungs gibt es keine.

Vor dem grauen Schulgebäude aus den 1950er Jahren sitzen die Mädchen in der Sonne, einige waten barfuß durch einen Brunnen, andere sitzen auf der Tischtennisplatte, am Teich oder auf einer Bank im Schatten. Es ist große Pause in der städtischen Anne-Frank-Realschule für Mädchen im Münchner Stadtteil Pasing, die sich seit diesem Freitag darüber freuen kann, Deutschlands beste Schule zu sein. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) hat die Schule mit dem Deutschen Schulpreis ausgezeichnet – als erste Realschule in Bayern.

«Diese Schule verliert niemanden», lobte die Jury. Foto: Robert Bosch Stiftung / Theodor Barth
«Diese Schule verliert niemanden», lobte die Jury. Foto: Robert Bosch Stiftung / Theodor Barth

«Diese Schule verliert niemanden», lobt die Jury. «Alle Jugendlichen werden hier zu einem Abschluss geführt, über 60 Prozent haben nach der Mittleren Reife die Möglichkeit, ihr Abitur zu machen.» Tatsächlich kann sie sich nicht daran erinnern, dass in ihrer Zeit als Schulleiterin ein Mädchen den Abschluss nicht geschafft hätte, sagt Eva-Maria Espermüller-Jug, die Chefin der 635 Schülerinnen und ihrer 65 Lehrer. «Es ist uns wichtig, dass niemand durchs Raster fällt.»

Darum gibt es an der Schule das, was Schulsprecherin Clara Nies aus der 9c (15, Lieblingsfächer: Deutsch und Geschichte) eine «neue Art des Lernens» nennt. «Unser Konzept ist einfach viel moderner und viel effektiver und ich habe das Gefühl, wir werden hier nicht darauf vorbereitet, gerade so die nächste Jahrgangsstufe zu schaffen, sondern wir werden aufs Leben vorbereitet», sagt sie. Ihre Co-Schulsprecherin und Klassenkameradin Sophia Lintner (15, Lieblingsfächer: Sport und Musik) meint: «Wir werden hier zu starken, selbstständigen Frauen erzogen.»

Von 7.55 Uhr bis 16.05 Uhr sind die Mädchen in der Schule, die seit zwei Jahren eine Ganztagsschule ist. Und diese Zeit verbringen sie nicht einfach in ihren Klassen, sondern in Lernhäusern und Lernbüros – ein ausgeklügeltes, individuelles Konzept zwischen Unterricht und Selbststudium. Die Klassen sind in sogenannten Lernhäusern organisiert, die die Schwerpunkte Physik, Französisch oder Sozialwesen haben und auch farblich durch verschiedene Wandbemalungen zu unterscheiden sind. Klasse 5 und Klasse 9 sind dabei stets nebeneinander, damit die Großen den Kleinen als Mentoren zur Seite stehen können.

Neben dieser Arbeit im Klassenverbund gibt es dann noch die sogenannten Lernbüros, in denen die Schülerinnen klassenübergreifend und weitgehend für sich allein Englisch, Mathe oder Deutsch lernen. Jeweils zwei Schülerinnen aus jeder Klassenstufe sind dabei. Auch hier sollen die Großen den Kleinen helfen. Die Kurswahl findet am Computer statt. Dort können die Schülerinnen ihre Lernbüros regelrecht buchen. Welches Fach und welchen Lehrer sie wollen, entscheiden sie selbst – es sei denn, der Kurs ist schon voll. Am Ende des Halbjahres muss nur alles abgearbeitet sein, was das persönliche Logbuch vorschreibt. Alle zwei Wochen gibt es dann ein Vier-Augen-Gespräch mit einem der beiden Klassenlehrer über den persönlichen Lernfortschritt.

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«Dadurch entsteht eine ganz andere Empathie zwischen Schülerinnen und Lehrern», sagt Schulleiterin Espermüller-Jug. Die Stimmung in der Schule, in der Zeitungen in den Fluren hängen und es Regelungen für Handy-Zonen gibt, wirkt auf den ersten Blick entspannt, die Schülerinnen gelöst, das Verhältnis zwischen ihnen und den Lehrern vertrauensvoll.

Ob das auch daran liegt, dass es keine Jungs gibt in der Mädchenschule? «Das Ganztags-Konzept mit Logbuch, den Lernhäusern mit unterschiedlichen Schwerpunkten und Lernbüros würde so sicher auch an einer ko-edukativen Schule funktionieren», sagt Espermüller-Jug. «Aber ich denke, es ist gar nicht so schlecht, Mädchen und Jungen in der Pubertät getrennt zu unterrichten.» Auch Clara und Sophia meinen, dass sich Mädchen in den Naturwissenschaften und der Technik mehr zutrauen, wenn sie nicht unter jugendlich-männlicher Beobachtung stehen.

Doch nicht alles ist perfekt an ihrer Schule, wie die Mädchen und auch ihre Lehrerin sagen. Denn es ist einfach nicht genug Platz. Die Mensa ist so klein, dass dort in drei Schichten gegessen werden muss, ein Raum für die Schülervertretung fehlt und auch das Lehrerzimmer platzt aus allen Nähten. Da dürften die 100 000 Euro Preisgeld und noch mehr das mit der Auszeichnung verbundene Prestige gerade recht kommen. (Britta Schultejans, dpa)

zum Bericht: Frankfurter Schule ist Anwärter auf den Deutschen Schulpreis – “Wir sehen das Potenzial, nicht Defizite”

zum Bericht: In Ruhe lernen – Anne-Frank-Schule in Bargteheide gewinnt Deutschen Schulpreis

Deutscher Schulpreis – Preisträger 2014 (Robert Bosch Stiftung)

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4 Kommentare
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alexander
9 Jahre zuvor

.. klingt gut, das mit der Mädchenschule und mit Logbuch, Lernbüro und Empathie; …..bestünde da vielleicht auch für einen Jungen die Möglichkeit aufgenommen zu werden, so im Sinne der „Inklusion“?… ;o)

Robert
9 Jahre zuvor
Antwortet  alexander

Die Inklusion betrifft die Aufnahme von Behinderten in den normalen Schulalltag. Die Trennung von Jungen- und Mädchenschulen entspricht der Geschlechtertrennung im Katholizismus. Es werden auch keine Männer in einem Frauenkloster aufgenommen und Frauen werden dort weder Bischof noch Papst, nicht einmal im Sinne der Inklusion.

alexander
9 Jahre zuvor
Antwortet  Robert

..danke, Robert!… ;o)

m. n.
9 Jahre zuvor
Antwortet  Robert

Da kann ich Ihnen nicht ganz zustimmen. Vielleicht hat die Geschlechtertrennung tatsächlich ihren Ursprung im Katholizismus, doch heutzutage mehren sich Stimmen, die meinen, dass Mädchen- und Jungenschulen durchaus sinnvoll sind, nicht zuletzt für die Jungen. Zusammen mit Mädchen kommen ihre Bedürfnisse und Interessen oft zu kurz.
„Alle Kinder in einen Topf“ hat eben sein Für und Wider, auch wenn das Wider heute verpönt ist.