Flüchtlingsorganisation kritisiert Asylverfahren als „organisierte Desintegration“ – Städte und VHS organisieren eigene Sprachkurse

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FULDA. Für Flüchtlinge ist es oft nicht leicht, in Deutschland Fuß zu fassen. Die Asylverfahren dauern lang. In dieser Zeit haben die Migranten nur geringe Chancen, Deutsch zu lernen. Der Flüchtlingsrat kritisiert deshalb die Politik. Hilfe kommt aber aus der Bevölkerung.

3303 Migranten haben allein von Januar bis April Zuflucht in Hessen gesucht. Die meisten von ihnen kamen aus Syrien – einem Land im Nahen Osten, in dem Krieg zum Alltag gehört. In Deutschland leben diese Flüchtlinge oft wie Fremde, die nur geduldet werden. Inzwischen solidarisiert sich die Bevölkerung immer stärker mit den Migranten. Zum Beispiel auch in Fulda, wo der Landkreis und die Volkshochschule kostenlose Deutschkurse anbieten.

«Guten Tag, ich komme aus Syrien», sagt der zehnjährige Amir (Name von der Redaktion auf Wunsch geändert) in gebrochenem Deutsch. Dabei grinst er stolz seinen Vater an. Vor fünf Monaten flüchteten die beiden nach Deutschland. Ohne Geld, Sprachkenntnisse und Ahnung, was sie erwarten würde. Dass sie bald in der Volkshochschule sitzen und mit zehn weiteren Flüchtlingen Vokabeln lernen würden, hätten sie damals nicht gedacht.

Für Flüchtlinge wie Amir und seinen Vater gibt es nur geringe Chancen, während ihres Asylverfahrens Deutsch zu lernen. Dabei hat sich die Politik ein klares Ziel gesetzt: Zugang zum Arbeitsmarkt für Asylbewerber und Geduldete nach drei Monaten. Das Hessische Ministerium für Soziales und Integration sagt dazu, dass der frühe Erwerb der deutschen Sprache eine unabdingbare Voraussetzung dafür sei. Doch die Realität sieht anders aus.

«Derzeit beobachten wir in einzelnen Kreisen, dass Sprachkurse, die von Asylbewerbern und Flüchtlingen besucht wurden, aus finanziellen Gründen abgebaut werden», teilt das Ministerium mit. Ein Widerspruch, auf den Hessens Sozialminister Stefan Grüttner (CDU) auf Bundesebene hinweisen wolle. Zwar gebe es vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) berufsbezogene Sprachkurse. Von Erstorientierungskursen zur Einführung in die deutsche Sprache für Asylbewerber sei jedoch keine Rede.

Ein Missstand, der auch Timmo Scherenberg vom Hessischen Flüchtlingsrat nicht entgangen ist. Der Geschäftsführer der Organisation, die sich für die Belange von Flüchtlingen einsetzt, geht sogar soweit, von einer «organisierten Desintegrationspolitik» zu sprechen. «Es sind noch viele Gesetze aus den 1990ern in Kraft. Eine Zeit, in der man noch den Gedanken hatte, dass wir es den Flüchtlingen hier ungemütlich machen müssen, damit sie nicht alle zu uns kommen.»

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Scherenberg sieht deshalb Handlungsbedarf. Kommen Flüchtlinge nicht aus als gefährlich eingestuften Ländern, befänden sie sich im Durchschnitt 17 Monate im Asylverfahren. «Sie hocken in den Asylheimen, dürfen nicht arbeiten, bekommen sehr wenige Leistungen und schlagen die Zeit tot», sagt er. Dabei sei es klüger, die Migranten von Anfang an zu integrieren. «Sie bleiben ja sowieso hier. Und meist sind es junge, leistungsfähige Menschen, die die Flucht hierher schaffen.»

Flüchtlinge
Viele Asylbewerber aus Syrien kommen zurzeit nach Deutschland. Hier: Flüchtlinge auf Lampedusa. Foto: noborder network / flickr (CC BY 2.0)

Einige Kreise und Kommunen haben das erkannt und bieten Sprachkurse für Flüchtlinge an, helfen bei Behördengängen und im Alltag. So wie in Fulda: Dort ging die Initiative vom Netzwerk Integration aus, zu dem auch Reinhardt Asche gehört. «Zwar bieten wir von der Kampagne „save me Fulda“ bereits Kurse an, in denen Studierende den Flüchtlingen Deutsch beibringen. Doch das hat den Bedarf nicht gedeckt», sagt er.

Gemeinsam mit der Fachbereichsleiterin Sprachen der Volkshochschule Fulda, Heidemarie Franzmann, ist er dann auf die Caritas zugegangen. Und dort gab es Geld, um einen solchen Kurs zu unterstützen. Die Gebühren teilen sich nun Landkreis und Caritas. Für Amir und seinen Vater bedeutet das, dass sie nun endlich die Sprache lernen, mit der sie sich in ihrer neuen Heimat verständigen können.

Auch innerhalb der Bevölkerung sei die Solidarität mit den Flüchtlingen sehr groß geworden, findet Scherenmann. Beispiele dafür gibt es viele: So bieten im Kreis Offenbach Ehrenamtliche des Arbeitskreises Asyl Hainburg seit Dezember 2011 Sprachkurse für Flüchtlinge an. In der Wetterau wurde ein Arbeitskreis organisiert, der versucht, sie vor der Abschiebung zu schützen. Die Ausländerbehörde wurde hier in eine «Willkommensbehörde» umgewandelt. Ehrenamtliche des Ausländerbeirats in Kelkheim (Main-Taunus-Kreis) begleiten die Flüchtlinge neben den Sprachkursen sogar zum Arzt und besorgen Kleidung für die Kinder der Asylanwärter.

Im Odenwald geht die Hilfe sogar so weit, dass die Initiativgruppe «Runder Tisch für Internationale Verständigung» ausrangierte Computer wieder fit gemacht hat, damit die Migranten Kontakt zu ihren Familien aufnehmen können. Suria Reiche

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Bianka
9 Jahre zuvor

Danke für den Informativen Artikel zum Thema!
Ist es wahr, das die EU uns dazu zwingen möchte, Sprachkurse abzuschaffen, bei Ehegatten zuzug ?
Das wäre doch wirklich wieder nur eine weitere Sprachliche Barriere oder ?

Gruß Bianka