Internet über alles? Gott bewahre

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Ein Kommentar von ANDREJ PRIBOSCHEK.

Der Bildungsjournalist Andrej Priboschek. Foto. Alex Büttner
Der Bildungsjournalist Andrej Priboschek. Foto. Alex Büttner

Wie würde sich wohl Frau Tretikov fühlen, wenn bei jedem Aufruf ihres Namens bei Google als Vorschlag für die weitere Suche „Lila Tretikov rotlicht“ eingeblendet würde? Bettina Wulff, Noch-Gattin des Ex-Bundespräsidentin, geht es seit Jahren so – ihre Klage gegen Google, diese Verbindungen zu Verleumdungen zu löschen, ist anhängig. Wahrscheinlich ist es gar nicht mehr notwendig, das Verfahren fortzuführen. Mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, nachdem es ein „Recht auf Vergessen“ im Internet gibt, dürften sich die Links ohnehin bald erledigt haben. Lila Tretikov hat Glück. Sie ist offenbar noch nicht allzu häufig zur Zielscheibe von Cybermobbing geworden, sodass über sie nur wenig Ehrverletzendes via Google zu finden ist.

Doch ist es tatsächlich nur Naivität und fehlende Empathie mit Internet-Opfern, die die Wikimedia-Chefin zu ihrer Tirade bringt? Hoffentlich. Zu fürchten ist aber Schlimmeres: Dass sich hier eine neue Internet-Ideologie offenbart. Informationsfreiheit über alles? Ein gefährlicher Weg. Immer dann, wenn Dogmen über das Wohl Einzelner gestellt werden, ist äußerste Vorsicht geboten. Totalitäre Systeme tun dies; ob kommunistische, faschistische oder theokratische Regime – sie unterwerfen die Menschen dem System. Eine Demokratie darf das nicht. Hier dient das System dem Bürger und schützt ihn. Das hat auch für das Internet zu gelten. Es gibt darin gute und schlechte Informationen, und die Kriterien für die Unterscheidung sind Wahrheit und Relevanz. Natürlich ist es „Wissen“, dass mal jemand Frau Wulff mit üblen Gerüchten verleumdet hat. Aber die sind eben falsch, und deshalb ist die Information irrelevant. Auch ein Medium wie Wikipedia kommt nicht umhin, Informationen zu sortieren. Redaktionen wie die von News4teachers tun das tagtäglich. Mit Zensur hat das nichts zu tun. Mit Verantwortung dagegen viel.

Zum Bericht: Wikimedia-Chefin sieht Wikipedia durch Menschenrechts-Urteil bedroht

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