Partyzone Karzer: Heidelbergs Studi-Knast schloss vor 100 Jahren

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HEIDELBERG. Bis vor 100 Jahren gaben sich aufmüpfige Studenten im Heidelberger Karzer die Klinke in die Hand. Rein wollten viele. Denn am Ende hieß es hier für die meisten: Party statt Wasser und Brot.

Für viele Heidelberger Studenten gehörte es einfach dazu, hier einmal einzusitzen. Die kunstvoll bemalten Wände und Decken zeugen davon, dass es alles andere als ehrenrührig war, einige Zeit im Uni-Karzer zu verbringen. Vor 100 Jahren verbüßten die letzten Studenten ihre Strafe in einer der Zellen, oft Mitglieder der damals sehr verbreiteten Verbindungen. Heute ist der Karzer ein touristischer Höhepunkt Heidelbergs.

Schon Mark Twain schrieb nach einem Besuch 1878 begeistert: «Ich glaube nicht, dass ich jemals in üppiger mit Fresken geschmückten Räumen war.» Studenten-Gefängnisse waren früher an den Unis verbreitet, Karzer-Führungen gibt es heute etwa auch in Göttingen.

Nackt und betrunken in Heidelberger Brunnen baden, Fechten oder Laternen mit Steinen auswerfen: Die studentischen Insassen brüsteten sich geradezu mit den Taten, die sie in die Zellen gebracht hatten. «Die Damen geliebt, manch ein Liedlein gesungen, Polypen gefoppt, den Säbel geschwungen. In Karzer geflogen eh ich’s gedacht. Da hab‘ ich die lustigsten Tage verbracht», schrieb ein gewisser Kurt Seyberth im Jahr 1910 an eine der Wände. «Damals hatten die Leute noch sehr viel mehr übrig dafür, schön zu schreiben», sagt Charlotte Lagemann vom Heidelberger Universitätsmuseum.

Wandmalerei der Heidelberger Burschenschaft von 1901: Damals hatten die Studentenverbindungen noch kein Rechtsradikalenproblem. (Foto: Stefan Kühn/Wikipedia CC BY-SA 3.0)
Wandmalerei der Heidelberger Burschenschaft von 1901 im ehemaligen Karzer. (Foto: Stefan Kühn/Wikipedia CC BY-SA 3.0)

Frauen kamen nur als Besucher vorbei. «Das hier war, wenn man so möchte, ein Gentlemen’s Club. Wenn man an der Uni Heidelberg ein echter Kerl sein wollte, dann sollte man mal hier gewesen sein», erzählt Historiker Kristian Willenbacher, der Karzerführungen anbietet. Für die Studenten war es selbstverständlich, Farbe, Kerzen und Kohle mitzubringen, um sich gebührend zu verewigen – mit Karzer-Graffiti. «Die haben schon gewusst, dass sie hier sowas wie Kunst produzieren.» Der Historiker spricht von einem «fidelen Gefängnis». «Es sieht ja aus wie besetzt, wie eine Partyzone.»

Die Studenten hätten so manch ein Vergehen nur mit Blick auf die anschließende Karzerzeit begangen. «Gerade die Verbindungsstudenten benahmen sich vorsätzlich daneben.» Das Essen ließen sich viele liefern, von Freunden oder einem Restaurant. Nur wer sich verschärften Arrest eingehandelt hatte, bekam in den ersten drei Tagen tatsächlich Wasser und Brot.

Neben Sprüchen, Namen und Jahreszahlen sind die Wände übersät mit Zeichnungen von Männerköpfen. «Der Schattenriss ist das Selfie der damaligen Zeit», sagt Willenbacher. Die Malereien wurden vor allem deshalb geduldet, weil die Heidelberger Studenten ein überaus wichtiger Wirtschaftsfaktor für die Uni-Stadt waren. Klagen gab es aber auch: So beschwerte sich das damalige Justizministerium in Karlsruhe 1908, der Karzer sei eine «oft verhöhnte und ins Burleske gezogene, daher zu Strafzwecken wenig geeignete Einrichtung».

Im Heidelberger Karzer – über die Jahrhunderte an unterschiedlichen Orten – ging es allerdings nicht immer so locker zu wie in den Jahren vor seiner Schließung 1914: Bis Mitte des 19. Jahrhunderts hatte er den Charakter einer Strafanstalt. Spätestens als die Gerichtsbarkeit der Unis 1879 abgeschafft war, wurde die Zeit in den Zellen aber immer mehr zum Jux, wie Willenbacher erzählt. Seither habe die Haftzeit auch nur noch maximal 14 Tage betragen – davor bis zu einem Jahr. Standard waren am Ende drei bis fünf Tage. Manchem mag das zu kurz gewesen sein. Aber er konnte ja wiederkommen. Christine Cornelius

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