Wikimedia-Chefin sieht Wikipedia durch Menschenrechts-Urteil bedroht

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BERLIN. Die Direktorin der hinter der Online-Enzyklopädie Wikipedia stehenden Wikimedia-Stiftung, Lila Tretikov, hat sich überaus kritisch zu dem vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) bestätigten „Recht, vergessen zu werden“ im Internet geäußert. Sie schreibt von  „Zensur“. Die Wirkung davon auf Wikipedia sei „direkt und bedeutsam.“

Sieht die Informationsfreiheit in Europa bedroht: Wikimedia-Chefin Lila Tretikov. Foto:  Lane Hartwell / Wikimedia Commons (CC BY-SA 3.0)
Sieht die Informationsfreiheit in Europa bedroht: Wikimedia-Chefin Lila Tretikov. Foto: Lane Hartwell / Wikimedia Commons (CC BY-SA 3.0)

Die Löschung von Links aus den Suchergebnissen von Google und anderen Suchmaschinen schaffe „Gedächtnislücken“ im Internet, kritisierte Tretikov in einem Blog. Das EuGH-Urteil untergrabe die weltweiten Möglichkeiten, „korrekte und überprüfbare Informationen über Menschen und Ereignisse zu erhalten“. Wikipedia ist von ersten Löschungen durch Google betroffen – 50 Artikel der Online-Enzyklopädie werden aktuell von der Suchmaschine nicht mehr angezeigt.

Der EuGH hatte im Mai geurteilt, dass Bürger ein „Recht, vergessen zu werden“ im Internet haben, wenn nicht ein besonderes öffentliches Interesse an der Berichterstattung besteht. Deshalb müssen Suchmaschinenbetreiber nun auf Antrag Links aus ihren Suchergebnissen streichen, wenn Angaben auf den verlinkten Seiten die Persönlichkeitsrechte von Betroffenen verletzen. Tretikov spricht von „Zensur“. Das Gericht habe eines der wichtigsten und grundlegendsten Menschenrechte beeinträchtigt: nämlich das Recht Informationen zu suchen, zu empfangen und zu übermitteln. In Europa würden damit Suchergebnisse verschwinden „ohne öffentliche Erklärung, ohne echte Beweise, ohne juristische Überprüfung und ohne Berufungsmöglichkeit“.Tretikov kündigte an, jede Entfernung eines Wikipedia-Links aus Suchmaschinenergebnissen öffentlich zu machen.

„Das Recht, sich eine Meinung zu bilden und diese zu äußern und das Recht, unangefochten Informationen zu suchen und zu bekommen, gehört nach wie vor zu den häufig verletzten Menschenrechten. (…)  Der Schutz dieser Rechte stellt daher ein wichtiges Element für eine funktionierende Demokratie dar und ist eine wichtige Voraussetzung, um andere Menschenrechte ausüben zu können“, so schreibt die Informationsplattform humanrights.ch zum Artikel 19 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Weiter heißt es dort: „Allerdings darf das Recht der Meinungsäußerung nicht absolut verstanden werden und seine Ausübung unterliegt einer besonderen Verantwortung: Eine Schranke findet das Recht etwa bei der Achtung des Rufes anderer Personen, bei der rassistischen Hetze oder beim Aufruf zu Gewalthandlungen.“

Tatsächlich ging es bei der Entscheidung des EuGH im Mai konkret um den Ruf eines Betroffenen:  Ein Spanier hatte sich dagegen gewehrt, dass Google bei der Eingabe seines Namens noch heute einen Artikel über die Zwangsversteigerung seines Hauses vor 15 Jahren anzeigt. Google hat einem Bericht der „Zeit“ zufolge bereits von mehr als 91.000 europäischen Internetnutzern einen Antrag auf das Entfernen von unliebsamen Suchergebnissen bekommen. Insgesamt sei bis Mitte Juli die Löschung von 328.000 Links beantragt worden.  Die meisten Anträge seien aus Frankreich und Deutschland gekommen, hieß es.

Offenbar ist Tretikovs Position auch unter Wikipedia-Aktiven umstritten. „Die Entscheidung des Gerichts bedeutet nicht, dass Informationen aus dem Internet oder aus Wikipedia entfernt werden müssen, sondern gibt normalen Bürgern nur das Recht, gegen die intransparenten Ranking-Algorhithmen der Suchmaschinen anzugehen“, kommentiert etwa ein Unterstützer mit dem Pseudonym Stankov den Blog-Eintrag. Eine Unterstützerin, „Schneeflocke“, meint: „Das EuGH-Urteil war ein wichtiger Schritt, um Menschenrechte im Internet gegenüber großen Unternehmen zu wahren. Es tariert das Recht auf freien Zugang zu Informationen und das Recht darauf, vergessen zu werden, in einer fairen Weise aus.“ News4teachers

Zum Kommentar: Internet über alles? Gott bewahre

 

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Reinhard
9 Jahre zuvor

Informationsfreiheit als „eines der wichtigsten und grundlegendsten Menschenrechte“ ?? Das ist eine ziemlich kranke Bewertung. Sieht Frau Tretikov es auch als ein Menschenrecht, andere anonym verleumden und mobben zu dürfen?