Wie viel Internet darf es sein? Debatte um Online-Dienste im Unterricht

0

BERLIN. Die meisten Lehrer nutzen das Internet.  Zurückhaltung und Verbote schränken aber die Nutzung sozialer Netzwerke im Unterricht ein. Dabei geht es nicht nur um Likes: Experten fordern mehr Modernität im Klassenzimmer.

Mr. Langer hat einen neuen Link gepostet. Einen englischen Artikel der US-Zeitung «USA Today» über die Ice Bucket Challenge. Die Geschichte über das Internet-Phänomen sollen vor allem Thomas Langers Schüler lesen. Die versorgt der Englischlehrer des Johannes-Kepler-Gymnasiums in Leipzig über seine Facebook-Seite «Mr. Langer Online» mit spannenden Texten in seiner Unterrichtssprache – als Zusatzangebot zu den Schulstunden.

Dieses Engagement des 40-Jährigen ist damit unter deutschen Lehrern nicht die Regel. Die Kommunikation zwischen Lehrern und Schülern über Online-Netzwerke wird auch im neuen Schuljahr kontrovers diskutiert. Viele Politiker und Pädagogen reagieren zurückhaltend auf eine Verbindung von Schule und Internet.

Kinder und Jugendliche nutzen das Internet meist unkontrolliert. Foto: Spencer E. Holtaway / Flickr (CC BY-ND 2.0)
Pädagogen und das Netz  – die Dosis ist entscheidend. Foto: Spencer E. Holtaway / Flickr (CC BY-ND 2.0)

Viele Bundesländer wollen Lehrer und Schüler im Social Web sogar lieber dauerhaft voneinander trennen. Einige, wie Baden-Württemberg, haben ihren Pädagogen den dienstlichen Kontakt mit Schülern auf Facebook verboten. In anderen Bundesländern gilt dagegen, dass sich die Lehrkräfte auch im Internet «amtsangemessen» verhalten müssen.

Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) fordert einen offeneren Umgang mit den Online-Diensten. «Wir halten nichts davon, wenn Kultusministerien sagen «Wir verbieten das»», sagt der stellvertretende Bundesvorsitzende des Verbands, Rolf Busch. Er hat für den VBE einen Leitfaden zur Benutzung von Social Media an Schulen erstellt und sieht die Netzwerke als Chance. Durch sie könnten Lehrer ihre Schüler dort abholen, wo sie zu Hause sind: Im Netz.

Mit einem Verbot machten es sich die Länder nach Buschs Meinung leicht, nicht auf eine gesellschaftliche Veränderung reagieren zu müssen. Natürlich habe auch er «große Bedenken zum Datenschutz» bei Facebook und anderen Plattformen. «Mir ist aber noch kein Lehrer untergekommen, der Noten bei Facebook postet», sagt er.

Anzeige

Doch es geht es nicht nur darum, dass Noten im Netz landen könnten. Die Kultusministerkonferenz (KMK), das gemeinsame bildungspolitische Organ der Länder, sieht ein weiteres Problem darin, dass sich die Online-Netzwerke über Werbung finanzieren. Es sei bedenklich, wenn Schulen einen Teil ihrer Kommunikation mit den Schülern über Plattformen abwickelten, die mit den Daten der Nutzer Geld verdienten, erklärt KMK-Sprecher Torsten Heil. «Ich denke, dass man da eine ganz klare Abgrenzung schaffen muss.» Eine Vereinheitlichung der verschiedenen Länder-Regelungen sei aber bislang nicht geplant.

Auch Google-basierte Dienste extra für Schulen und Universitäten seien «technisch genial», sagt Jörg Schumacher vom Landesmedienzentrum Baden-Württemberg. Sie seien durch ihre Anbindung an US-Server aber aus Datenschutzgründen im schulischen Kontext nicht benutzbar. Datenaustausch-Software wie das beliebte Dropbox würde von den Bundesländern deshalb ebenfalls nicht zugelassen.

Dabei gibt es eine Reihe von Plattformen außerhalb der populären Netzwerke, die für das Lernen einen Mehrwert bringen könnten, erklärt Schumacher. Er nennt spezialisierte Lernplattformen wie Moodle, die sich auf eigenen Servern der Schulen einrichten ließen. Bei Moodle gebe es aber weniger Kommunikationsmöglichkeiten. «Interessant wäre es, wenn man beide Ansätze, soziale Netzwerke und Lernplattformen, miteinander verknüpfen könnte.»

Damit die Schule nah am Alltag der Kinder und Jugendlichen bleibe, müssten digitale Medien stärker im Unterricht eingesetzt werden, fordert Schumacher. Dieser Prozess komme viel zu langsam voran – vor allem, weil dafür viel Geld in die Ausstattung der Schulen gesteckt werden und die Ausbildung der Lehrkräfte angepasst werden müsste.

«Man sollte sich nicht sperren und sagen, ich kommuniziere mit meinen Schülern wie vor 20 Jahren», sagt auch Lehrer Thomas Langer. Der Pädagoge ist sich der vielen Stolperfallen bewusst, die die Online-Netzwerke mit sich bringen. Persönliche Informationen von sich oder von Schülern teile er nicht mit, auch würde er keine seiner Schüler bei Facebook als Freunde hinzufügen, betont er. Seine Links postet er über eine Facebook-Seite, bei der Schüler auf «Gefällt mir» klicken können, um die Updates zu sehen.

Wichtig ist Langer, der neben Englisch auch Deutsch unterrichtet, dass keiner seiner Schüler zur Anmeldung bei Facebook gezwungen wird. Bei einem anderen, freiwilligen Vorhaben hätten seine Schüler auch offline mitarbeiten können. «Werther postet seine Leiden» hieß das Projekt zum Goethe-Roman, bei dem der moderne Werther seine unglückliche Liebe zu Lotte in Echtzeit-Statusmeldungen mit der Welt teilt. Auf Werthers verzweifelten Post «Ich hab’s echt schon immer gewusst – aber ich kann’s nicht ändern!!!», fragt eine Schülerin: «dass du von anfang an in lotte verliebt warst?» Benno Schwinghammer

Anzeige


Info bei neuen Kommentaren
Benachrichtige mich bei

0 Kommentare
Inline Feedbacks
View all comments